# taz.de -- Eröffnung des Flughafen BER: Es war einmal ein Monstrum
       
       > Mehr als 20 Jahre haben Planung und Bau des Berliner Flughafens gedauert,
       > nun soll er öffnen. Die Chronologie einer Pannengeschichte Made in
       > Germany.
       
 (IMG) Bild: Immerhin hübsch: der BER bei Nacht
       
       In Berlin wundert sich niemand, wenn man morgens um fünf Uhr auf dem Amt
       sein muss, um im Laufe des Vormittags eine Autozulassung beantragen zu
       dürfen. Wenn auf Baustellen, die Staus auf Hauptstraßen verursachen,
       monatelang kein Arbeiter auftaucht. Wenn man Tage braucht, um eine
       spezielle Mitarbeiterin der Stadtverwaltung ans Telefon zu bekommen. Die
       Schludrigkeit gehört zur deutschen Hauptstadt wie ihre Großkotzigkeit.
       
       [1][Nach 14 Jahren Bauzeit könnte nun bald, am letzten Samstag im Oktober
       2020], der neue Berliner Flughafen eröffnet werden – wegen der Pandemie
       zunächst mit viel weniger Flügen als geplant. Ihn fertigzustellen hat dann
       dreimal so lange gedauert, wie ursprünglich geplant. Die Kosten sind in
       Richtung des Zehnfachen gestiegen, möglicherweise liegen sie bei etwa zehn
       Milliarden Euro. Im Landesparlament des Stadtstaates arbeitet seit Jahren
       schon der zweite Untersuchungsausschuss, der die „Ursachen und Konsequenzen
       der Termin- und Kostenüberschreitungen“ klären soll.
       
       [2][Auf Youtube kann man sich die Pressekonferenz vom 8. Mai 2012
       anschauen.] An diesem Tag wurde die Eröffnung des Airports abgesagt, die
       drei Wochen später stattfinden sollte. Seitdem mussten sich die
       Berlinerinnen und Berliner von ihren ausländischen Gästen immer wieder
       fragen lassen, ob das halbfertige Terminal wegen Überalterung nicht eher
       abgerissen als fertiggebaut würde.
       
       An jenem 8. Mai brachte es Berlins damaliger sozialdemokratischer
       Bürgermeister Klaus Wowereit fertig, den Flughafenbau unter Gelächter der
       Presse als „Erfolgsgeschichte“ zu bezeichnen – obwohl der Geschäftsführer
       und der Technische Leiter der Flughafengesellschaft zuvor eingeräumt
       hatten, dass sie die Entrauchungsanlage nicht in den Griff bekämen.
       
       ## 8 Jahre statt 3 Monate
       
       Die Entlüftung des riesigen Gebäudes im Brandfall, später „das Monster“
       genannt, funktionierte nicht richtig. „Spätestens in der zweiten
       Augusthälfte“ wolle man aber starten, versicherte Matthias Platzeck, der
       damalige Ministerpräsident von Brandenburg. Auch er lag spektakulär
       daneben. Statt drei Monate sollte es weitere acht Jahre dauern.
       
       Über ignorante Verwaltungen wird überall auf der Welt geklagt. Die
       Nonchalance der Berliner Bürokratie hat dennoch eine spezielle Note. Ihre
       Ineffizienz, Inkompetenz und politische Verantwortungslosigkeit sind
       legendär. Die Ursache liegt zum guten Teil in der jüngeren Geschichte der
       bis 1989 geteilten Hauptstadt. Jahrzehntelang wurden die Ämter und
       öffentlichen Bediensteten in Westberlin von der Bundesrepublik
       mitfinanziert, damit die marktwirtschaftliche Insel inmitten der
       sozialistischen DDR überlebte.
       
       Politik und Verwaltung in Berlin wussten, dass sie sich vieles leisten
       konnten, ohne fallen gelassen zu werden. Von dieser Ist-mir-egal-Mentalität
       haben sich die alten Regierungsparteien CDU und SPD noch immer nicht ganz
       befreit.
       
       Die Skandalgeschichte des nach dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt
       benannten Airports begann schon mit der Entscheidung, wo er zu bauen sei.
       Zwei geeignete Standorte rund 60 Kilometer südlich von Berlin im dünn
       besiedelten Brandenburg wurden verworfen. Stattdessen wählte man 1996 den
       ehemaligen DDR-Flughafen Schönefeld direkt an der Stadtgrenze.
       Hunderttausende Anwohner leiden dort künftig unter dem Krach der Flugzeuge.
       Nachts gilt deshalb ein Flugverbot. Das Problem dürfte sich verschärfen,
       weil die Stadt um den Flughafen herum wächst.
       
       ## Wowereits Ende
       
       Im zweiten Schritt entschieden die Regierungen des Bundes, Berlins und
       Brandenburgs, dass die ihnen gehörende Flughafengesellschaft den Neubau
       selbst planen solle. Die Politiker hatten Bedenken, von Baukonzernen wie
       Hochtief über den Tisch gezogen zu werden und hofften, das Projekt in
       Eigenregie billiger als ein privater Generalunternehmer bewerkstelligen zu
       können.
       
       Der Nachteil: Die Flughafenfirma war zwar in der Lage, die drei alten
       Berliner Airports Tempelhof, Tegel und Schönefeld zu betreiben – von der
       Planung und Steuerung eines milliardenteuren Neubaus hatte sie jedoch keine
       Ahnung. „Daraus sprach eine totale Selbstüberschätzung. Die
       Flughafengesellschaft war als Bauherr vollkommen überfordert“, sagt der
       Grünen-Abgeordnete Harald Moritz, der im Untersuchungsausschuss sitzt. „Man
       hätte eine externe Planungsgesellschaft beauftragen müssen.“
       
       So nahm die Misere ihren Lauf. Der Flughafengesellschaft fehlten kompetente
       Mitarbeiter. Ständig mischte sich die Politik mit neuen Wünschen ein. Mal
       wollte sie die Planung in diese, mal in jene Richtung ändern. Moritz
       beschreibt die Konsequenzen: „Teilweise gab es Ausschreibungen für
       Bauaufträge, ohne dass die Planung abgeschlossen war.“ Hinzu kamen
       mangelnde Kontrolle durch den Aufsichtsrat und wohl auch versuchte
       Vertuschung von Fehlern.
       
       Bürgermeister Wowereit, gleichzeitig Chef des Kontrollgremiums, hatte viele
       andere Aufgaben und kümmerte sich nicht ausreichend um die Riesenbaustelle.
       So waren die Einladungen für die Eröffnungsfeier gedruckt, als die
       Gesellschaft die Party plötzlich absagte. Offiziell fiel Wowereit aus allen
       Wolken. Er hätte das Desaster jedoch kommen sehen können.
       
       Man entließ die Chefs der Flughafengesellschaft ebenso wie das planende
       Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner. Auf der Baustelle blickte kaum
       noch jemand durch. Wowereits politische Karriere endete 2014 auch deshalb,
       weil die Flughafen-Geschichte sein Ansehen ruiniert hatte.
       
       Dann passierte einige Jahre wenig. Weitere angekündigte Eröffnungstermine
       verstrichen. Wechselnde Manager und Ingenieure versuchten sich einen
       Überblick zu verschaffen und Lösungsansätze zu finden, unter ihnen zwischen
       2013 und 2015 auch Hartmut Mehdorn, der frühere Vorstand der Deutschen
       Bahn. Kabelschächte wurden wieder aufgerissen, Leitungen neu verlegt. Man
       teilte die monsterhafte Entrauchungsanlage in getrennte Abschnitte.
       
       Anfang 2017 schließlich beriefen die Flughafeneigner [3][Engelbert Lütke
       Daldrup] als neuen Geschäftsführer der Airportfirma. „Er hat
       organisatorisch die Zügel angezogen“, sagt Moritz. Eine externe Firma,
       spezialisiert auf Projektsteuerung, stieg ein. Die Genehmigungsbehörden
       haben dem Flughafen inzwischen die Funktionsfähigkeit bescheinigt. Und es
       gibt einen neuen Eröffnungstermin. Angeblich liegt alles im Plan. Man wird
       sehen.
       
       ## Good German Governance
       
       Wenn Lütke Daldrup es schafft, rettet er auch den Ruf der Ingenieurnation
       Deutschland. Bei manchen Beobachtern waren Fragen aufgekommen, was denn da
       beim Exportweltmeister los sei. Die Deutschen schaffen es nicht, einen
       internationalen Flughafen normaler Größe in Betrieb zu nehmen? Was ist dann
       von der Qualität der Maschinen und Autos zu halten, die sie überall
       verkaufen?
       
       Sollte die Berliner Flughafen-Story doch noch gut ausgehen, ließe sich dies
       auch als Beleg werten, dass staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nicht
       schlecht sein müssen. Es kommt allerdings darauf an, wer sie wie einsetzt.
       In jedem Fall sollten öffentliche Unternehmer die Grundregeln des
       betriebswirtschaftlichen Managements beherzigen. Good Governance ist hier
       das Stichwort. Dazu gehören Kompetenz, vernünftige Projektsteuerung,
       Kontrolle und Verantwortlichkeit.
       
       Dass so etwas selbst in Berlin grundsätzlich möglich ist, zeigte sich Ende
       März. Innerhalb weniger Tage verteilte die landeseigene Investitionsbank
       Hunderte Millionen Euro Hilfsgelder an Zehntausende Firmen, die wegen der
       Covid-19-Pandemie vorübergehend schließen mussten. Der öffentliche Dienst
       funktionierte relativ fehlerfrei und erstaunlich effizient – vielleicht
       doch ein gutes Vorzeichen für eine moderne Bundeshauptstadt inklusive
       Airport.
       
       25 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Flughafen-BER-vor-Fertigstellung/!5680272
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=IpUzuL9Cry0
 (DIR) [3] /Flughafenchef-Luetke-Daldrup-zum-BER/!5702212
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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