# taz.de -- Horrorfilm „Relic“ auf DVD: Die unheimliche Großmutter
       
       > Der australische Horrorfilm „Relic“ von Natalie Erika James handelt von
       > einem Spukhaus. Das klassische Thema bekommt dabei einen matriarchalen
       > Dreh.
       
 (IMG) Bild: Großmutter Edna (Robyn Nevin) verschwindet plötzlich, aber mit dem alten Haus stimmt etwas nicht
       
       Das „Haunted House“-Horror-Subgenre, jenes also, das seine
       Paranoia-Szenarien auf mehr oder minder spukende Häuser zentriert, ist
       erschreckend lebendig. Es ist allegorisch ausgesprochen flexibel, das ist
       vermutlich ein wichtiger Grund für seine aktuelle Beliebtheit. Jordan Peele
       etwa hat in „Get Out“ und [1][„Us“] den amerikanischen Rassismus in
       Haus-Horrorplots mit blutiger Deutlichkeit und Irrwitz durchdiskutiert.
       
       In der [2][deutschen Sky-Serie „Hausen“] dröhnt und dräut Ostdeutsches in
       einem graudunklen Hochhauskomplex. Auf Netflix ist gerade „His House“
       angelaufen, in dem der britische Regie-Debütant Remi Weekes eine aus dem
       Sudan geflüchtete Familie nach ihrer Ankunft im vermeintlich sicheren
       britischen Exil in ein Gespensterhaus steckt. Eher nach innen geht der Weg
       dagegen in „Relic“, dem ersten Spielfilm der japanisch-australischen
       Regisseurin Natalie Erika James.
       
       Im Zentrum stehen drei Frauen aus drei Generationen: Großmutter Edna (Robyn
       Nevin), ihre Tochter Kay (Emily Mortimer) und ihre Enkelin Sam (Bella
       Heathcote). Genauer gesagt: Im Zentrum steht das Haus, einsam, auf dem
       Land, in dem die Großmutter lebt. Oder lebte. Es gibt Grund, sich Sorgen zu
       machen. Die Großmutter ist zusehends vergesslich geworden; als sie
       plötzlich verschwindet, reisen Mutter und Enkelin an, finden ein Haus
       voller Post-Its, mit denen Edna sich über den eigenen Alltag auf dem
       Laufenden zu halten versucht.
       
       Die Großmutter ist weg, aber mit dem verlassenen alten Haus stimmt etwas
       nicht. Es fault und modert, es knarzt und ächzt, es atmet durch die Wände,
       offenbart unerwartete Gänge, Hohlräume, Zimmer, und es macht vom
       Sounddesign stark ausmodellierte Geräusche wie die sich verwindenden
       Planken eines Schiffs auf hoher See. Heimlich ist die Großmutter
       verschwunden, unheimlich kehrt sie wieder zurück. Das Haus knarzt und ächzt
       und atmet weiter, die Großmutter ihrerseits scheint auf gespenstische Weise
       nicht die, die sie war.
       
       Da ist ein dunkler Fleck auf der Brust, den sie mal zu verstecken und mal
       mit dem Messer zu traktieren versucht. Da sind Momente plötzlicher
       Aggression: Ihren Ehering hat sie der Enkelin geschenkt, versucht in ihr
       aber bald darauf brutal vom Finger zu reißen.
       
       ## Im Haus nicht mehr seine eigene Frau
       
       Zu Horrorzwecken kommt die räumliche Begrenzung des Haunted House wie
       gerufen. Irgendwann steckt immer jemand fest, von Wänden bedrängt, in
       bedrohlichen Öffnungen zappelnd. So ist das auf dem Höhepunkt des
       Genre-Zaubers auch hier. Zu allegorischen Zwecken taugt wiederum das
       Ineinander von innen und außen, das die eigenen vier Wände unweigerlich
       sind. Man ist im Haus nicht mehr sein eigener Herr oder – in diesem Fall
       ganz ausdrücklich – nicht mehr seine eigene Frau.
       
       Und dann steckt etwas furchterregend Fremdes im Innern der Mutter. Das Haus
       bedrängt das Ich und ist zugleich Verkörperung des inneren Selbst. Es
       entfaltet sich eine knarzende, mit unsichtbaren Händen nach der Seele
       greifende Psycho-Topografie: Terror des schimmligen Es, das Über-Ich zückt
       das Messer.
       
       Zwischen den Jump-Scare-Topoi, die zum Genre gehören, und allegorischer
       Lesbarkeit oszilliert „Relic“ die meiste Zeit ziemlich geschickt. Der
       Horror der Entfremdung, den die Demenz der nächsten Angehörigen bedeutet,
       das schlechte Gewissen, weil man die Großmutter ins Heim bringen will,
       beides nimmt hier die Gestalt des Unheimlichen an: des Hauses wie der Frau,
       die in ihm haust.
       
       Das Ende, mehr sei dazu natürlich nicht verraten, unternimmt den Versuch,
       die Gegensätze zu vereinen, das Übernatürliche mit dem Realen, den
       Horror-Schrecken mit versöhnlichem Abschied. Das muss letztlich rätselhaft
       bleiben, Natalie Erika James findet aber ein sehr schlüssiges Schlussbild
       für den matriarchalen Horror-Trip, der dieser Film ist.
       
       5 Nov 2020
       
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