# taz.de -- Genderbewusste Horrorkomödie „Freaky“: Die Slapstick-Slasherin
       
       > Die Horrorkomödie „Freaky“ nimmt sich das Genrekino aus
       > geschlechterpolitischer Sicht vor. Sie treibt damit vergnüglich-queere
       > Zeichenspiele.
       
 (IMG) Bild: Sieht aus wie eine Schülerin, im Körper der blonden Millie (Kathryn Newton) steckt aber ein Killer
       
       Die Highschool-Schülerin Millie hat eine harte Nacht hinter sich. Als sie
       in einer Garage voller verstümmelter Puppen aufwacht, blickt sie in den
       Spiegel und schaut ins Gesicht eines Serienkillers. Genauer gesagt in das
       Gesicht des Comedy-Darstellers Vince Vaughn, der sich in Christopher
       Landons neuem Film „Freaky“ als großes Kreischtalent erweist und einen der
       aufregendsten Auftritte seiner Karriere bringt. Durch einen mysteriösen
       Dolch haben der „Blissfield Butcher“ (alias Vaughn) und Millie (Kathryn
       Newton) die Körper getauscht und es bleiben nur 24 Stunden Zeit, um den
       Fluch aufzuheben.
       
       Begleitet wird Millies schockiertes Erwachen im Körper des Killers von dem
       Schriftzug „Freitag der 13.“, stilecht in blutigen Lettern. Wer das nur als
       Wochentag und nicht als Filmzitat versteht, wird vieles übersehen, was
       Christopher Landon in „Freaky“ interessiert. Denn der Filmemacher
       kommentiert derzeit mit großem Vergnügen die jüngere Filmgeschichte und
       nimmt sich das Genrekino mit einem Augenzwinkern und aus
       geschlechterpolitischer Perspektive vor.
       
       Nach seinem riesigen Publikumserfolg mit „Happy Deathday“ von 2017 setzt er
       sich mit „Freaky“ bereits zum dritten Mal gründlich mit den Regeln von
       Slasherfilmen auseinander – dem Filmgenre, in dem seit Jahrzehnten
       unheimliche Wahnsinnige auf Teenager losgehen und diese mit scharfen
       Gegenständen meucheln.
       
       Ende der Siebzigerjahre wurde das Genre von Regisseuren wie John Carpenter
       („Halloween“), Wes Craven („A Nightmare on Elm Street“) oder Sean S.
       Cunningham („Freitag der 13.“) kommerziell etabliert und hat sich für
       US-Filmstudios schnell als Erfolgsrezept erwiesen – insbesondere aufgrund
       der formelhaften Dramaturgie zahlreicher Genrebeiträge, die bis heute immer
       wieder liefern, was sie versprechen: Jugend, Pop, Sex und Gewalt.
       
       Zahlreiche Regisseur*innen stellten mit Filmen wie „Scream“ (1996),
       „High Tension“ (2005) oder „The Cabin in the Woods“ (2012) die Normen des
       Genres über die Jahre immer wieder infrage. Christopher Landons Filme
       „Happy Deathday“, „Happy Deathday 2U“ und „Freaky“ reihen sich hier nahtlos
       ein.
       
       ## Verfremdetes Erzählprinzip
       
       Landons Inszenierungsfreude ist hierbei bemerkenswert. So basiert „Happy
       Deathday“ etwa auf dem Zeitschleifen-Kultfilm „Groundhog Day“ von 1993 und
       lässt eine Studentin immer wieder ihren Geburtstag durchleben, an dem sie
       von einem Serienkiller auf fiese Art gemeuchelt wird. Sobald sie stirbt,
       erwacht sie verkatert, aber unversehrt im Bett eines Kommilitonen.
       
       Das US-Studio Universal sah in Landon einen Goldesel und beauftragte ihn
       mit einer Fortsetzung, doch Landon weigerte sich, sein Erzählprinzip
       einfach kassenfreundlich zu wiederholen. In „Happy Deathday 2U“ verfremdete
       er das Szenario durch mehrere Zeitebenen und Dimensionen bis zum
       waschechten Science-Fiction-Film.
       
       Für „Freaky“ bedienten sich Landon und sein Co-Autor Michael Kennedy nun
       bei einem Disney-Kultfilm – dem mittlerweile mehrfach neu verfilmten
       „Freaky Friday“ von 1976 über den Körpertausch einer Mutter mit ihrer
       Tochter.
       
       Während Millies Körper unter der Kontrolle des Killers als Terminator mit
       frostiger Miene an der Highschool sein Unwesen treibt und der riesige
       Butcher unter Millies Kontrolle zum unsicheren Elefanten im Porzellanladen
       wird, versucht sich Landon am denkbar schwierigsten: Er will, dass seine
       Figuren authentisch werden und sein Film dabei berührend und politisch.
       Früh räumt er mit der Naivität auf, die im Genre gern kursiert, klärt die
       Fronten und seine Argumentationslinien.
       
       ## Kastration durch Kettensäge
       
       So reden einige Teens gleich im ersten Dialog Klartext. Eine meint, die
       Gewaltbereitschaft heterosexueller weißer Männer sollte man lieber nicht
       unterschätzen. Ihren Freund wird sie kurz darauf beim Sex verspotten, weil
       er nur an sich denkt. Der „Blissfield Butcher“ mordet gerne sexualisiert,
       rammt als erste Amtshandlung einem der jungen Kerle eine Weinflasche in den
       Hals und wird später besonders harsch bei übergriffigen Typen. Stichwort:
       Kastration durch Kettensäge!
       
       Millies Freund*innen wiederum sehen sich als schwarze und schwule
       Personen allen Serienmördern als erste Opfer ausgeliefert. Für Landon sind
       sie jedoch mehr als bloße Opfer, sondern werden zu Kommentator*innen
       des Genres und seiner überholten Codes.
       
       Landon verbindet in „Freaky“ zwei filmische Standards, die in ihrem
       Aufeinandertreffen hochinteressante Fragen eröffnen. Das Slashergenre mit
       seiner über und über betonten Obsession für junge Menschen, die für ihre
       Sexualität mit dem Tod bestraft werden. Und den Körpertauschfilm, in dem
       ein feinsinniges bis ironisches Spiel mit Körperlichkeit dem
       Mainstreamkino eine neue Möglichkeit eröffnete, Geschlechter- und
       Generationsfragen zu berühren.
       
       „Freaky“ nutzt die Übersexualisierung des Slashergenres und das
       Körpertauschmotiv für vergnüglich-queere Zeichenspiele und driftet dabei
       gern auch mal gekonnt in Slapstik und Quatsch ab.
       
       ## Opferrollen umkrempeln
       
       Landons filmische Wanderungen zwischen den Erzählstandards erinnern in
       ihrer Klarheit an Ari Asters [1][Horrorkommentare „Midsommar“] oder
       „Hereditary“, die Erwartungshaltungen an Erzählweisen im Horrorfilm nicht
       weniger konsequent unterwanderten.
       
       Indem Landon etwa Opferrollen und Blickdramaturgien scharfsinnig umkrempelt
       und ins Leere laufen lässt, befreit er nicht nur seine Figuren, sondern
       auch das Publikum aus einer Wiederkehr des immer gleichen Erzählens, das
       sich wiederholt, weil es sich verkauft, und sich verkauft, weil es sich
       wiederholt. Anders als Ari Aster wählt Landdon allerdings den Weg der
       einfachen und zugänglichen Form, seine Filme schreien: Popcornkino!
       
       Auf gewisse Weise sind sie in ihrem populären Gewand Filme der
       Überdeutlichkeit, durchsetzt von der Outspokenness einer kritischen,
       postfeministischen Jugend, die derzeit auch Serien wie [2][„Sex Education“]
       oder Kinoerzählungen wie [3][„Booksmart“] bevölkert. „Freaky“ ist voll von
       kommentierenden Musikstücken, Vince Vaughn spielt dazu schonungslos
       überdeutlich, tänzelt mit großem, tuntigem Gebaren an der Grenze zu
       homophoben Klischees.
       
       ## Dämliche Gags, die entwaffnen
       
       Was unbeholfen klingt, entwickelt Landon scharfsinnig zur Spezialität: Etwa
       wenn Millies Mitschüler Booker oder ihre Mutter sich trotz des Äußeren des
       Killers dann doch nicht von romantischen Ambitionen abbringen lassen. Oder
       wenn Millie im Killerkörper eine Weichgummi-Männermaske tragen muss, um in
       der Stadt unerkannt zu bleiben. Das Accessoire von Psychokillern wird
       mühelos zum Spiel mit Vaughns Körper und zum dämlichen Gag, der in seiner
       Einfachheit entwaffnet und Charme hat.
       
       Landon legt allen Zeichenspielen zum Trotz seine Aufmerksamkeit auf
       Figuren, die er liebt. Wer hier auftaucht, bleibt nie Schablone und
       offenbart sich der Kamera als verwundbar und liebenswert im Angesicht von
       Mord und Totschlag. Am Ende erzählt Landon von Intimität, Heilung und
       Selbstbehauptung, mit Filmen, die im Grunde zutiefst melodramatisch sind.
       
       Die Dramaturgien werden zu rührenden Gleichnissen: Das genretypische „Hide
       and Seek“ – wegrennen und verstecken – benennt die Heldin von „Happy
       Deathday“ als ihr trauriges Lebensmotto, weil sie Angst davor hat, sich dem
       Tod ihrer Mutter zu stellen. In „Freaky“ klammert sich eine Witwe an zwei
       Töchter und die Fetzen ihrer Existenz. Millie pfählt vor versammelter
       Familie einen Riesen und bekennt sich im Genre der amputierten Körperteile
       zur eigenen Biografie: „I am a fucking piece!“
       
       24 Jun 2021
       
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