# taz.de -- Roald Dahls „Hexen hexen“ neu verfilmt: Erwachsene sind furchterregend
       
       > Robert Zemeckis hat Roald Dahls Klassiker „Hexen hexen“ neu verfilmt.
       > Anders als im Buch wird nicht geraucht. Disability-Aktivist*innen üben
       > Kritik.
       
 (IMG) Bild: Auftritt der Großen Oberhexe (Anne Hathaway) mit Gefolge
       
       Der Schriftsteller Roald Dahl traut Kindern einiges zu. Die Held*innen
       seiner Bücher verlieren ihre Eltern; sie hungern und werden in Blaubeeren
       verwandelt; [1][sie sind auf der Flucht vor gefräßigen Riesen] – und vor
       Hexen, die sie abgrundtief hassen. „Adults can be scary“, fasste Dahl das
       einst zusammen.
       
       Auch jene Erwachsenen, denen man vertraut, können scary sein: In „Hexen
       hexen“, einem Spätwerk des 1990 verstorbenen Dahl aus dem Jahr 1983, zieht
       der kindliche Ich-Erzähler nach dem Unfalltod seiner Eltern zu seiner
       Großmutter nach Norwegen. Die Oma ist eine versierte Erzählerin und
       vertreibt sich und ihrem Enkel die Zeit mit Geschichten über Hexen.
       
       Dabei raucht sie schwarze Zigarren, verheddert sich ab und an in der
       Dramaturgie und versucht dann, ihren Enkel auf unkonventionelle Art
       abzulenken: „ ‚Willst du mal an meiner Zigarre ziehen?‘, fragte sie. – ‚Ich
       bin erst sieben.‘ – 'Es ist mir egal, wie alt du bist’, antwortete sie.
       ‚Wenn du Zigarren rauchst, kriegst du niemals eine Erkältung.‘ “
       
       Klar, dass eine filmische Adaption aus dem Jahr 2020 den Tipp mit den
       Zigarren nicht übernimmt. In Robert Zemeckis’ neuer, in den 1960ern
       spielender Fassung des Klassikers ist Oma ([2][Octavia Spencer]) eine
       herzliche und beherzte Südstaatenfrau, die ihrem traumatisierten Enkel in
       den ersten zehn Filmminuten bereits drei Riesen-Soulklassiker um die Ohren
       haut, um ihn aus der kummerbedingten Reserve zu locken.
       
       Der Junge reagiert zwar nicht auf „Reach Out (I’ll be There)“ von The Four
       Tops. Aber über Otis Reddings tröstlichen „(Sitting on) The Dock Of The
       Bay“ geht es ratzfatz zum Groove von „It’s Your Thing“ – und Oma und Enkel
       können in neugewonnener Zweisamkeit das Anti-Hexen-Abenteuer beginnen.
       
       Denn das piekfeine Hotel an der Küste, in dem sie absteigen, um eine
       Hexenbegegnung zu Hause zu vergessen, ist zufällig der Tagungsort der
       „Königlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Kindesmisshandlungen“, der
       gemeine Tarnname eines furchtbaren Hexenkonvents, angeführt von der
       snobistischen „Hoch- und Großmeisterhexe“ ([3][Anne Hathaway]). Die bei
       ihrem ersten Auftritt auch stilgemäß zeigt, wo der Besen hängt: Sie betritt
       den Saal in einer schwarz-weißen Retrokombination, die Glenn Close in „101
       Dalmatiner“ alle Ehre gemacht hätte.
       
       Später kommt noch ein Abendkleid mit einer Borte aus einer lebendigen
       Schlange zum Einsatz. Und – neben geräuschvollen Highheels und opulenten
       Kopfbedeckungen – passende Handschuhe.
       
       ## Die Hexe spricht jetzt mit russischem Akzent
       
       Hexen, erzählt Oma in der neuen Adaption, haben nämlich von Natur aus nur
       drei (krallenartige) Finger. Und als ob das nicht ängstigend genug ist,
       haben sich die Macher*innen des Films entschieden, die vom ehemaligen
       Royal-Airforce-Piloten und WWII-Soldaten Roald Dahl als deutschen Akzent
       angelegte Sprechweise der Oberhexe („A vitch who dares to say I’m wrrrong
       / vill not be vith us very long!“), die in Nicolas Roegs vor 30 Jahren
       entstandener erster Verfilmung in Anjelica Hustons Interpretation der
       Oberhexe „Eva Ernst“ klar erkennbar ist, als Russisch zu interpretieren:
       Hathaway rollt die Rrrrs, als ob sie vom Zaren dafür einen Sack Rubel
       bekäme. Den sie gar nicht bräuchte übrigens: In ihrer Hotelsuite, die der
       durch einen Zaubertrank in eine Maus verwandelte Protagonist gemeinsam mit
       zwei weiteren Mäusekindern nach jenem tückischen Trank durchsucht, hortet
       die Oberhexe das Geld.
       
       Auf einer symbolischen Metaebene kann man in Zemeckis’ temporeicher und
       bildstarker, aber dennoch erstaunlich actionarmer Adaption also einiges an
       positiven und negativen Emblemen entdecken – wenn man möchte. Dass die
       Hexen die hohen Schuhe nur tragen, um ihre zehenlosen Füße zu verbergen,
       und das Schuhwerk somit bei geschlossenen Türen genauso aufatmend
       abstreifen wie die Tarnhandschuhe und die glatzenverdeckenden Perücken,
       lässt sich zum Beispiel feministisch interpretieren: Sind hohe Schuhe,
       gepflegte Nägel und gemachte Haare nicht auch die Insignien normativ als
       hübsch und gefällig geltender Frauen – und dürfen diese darum nicht auch
       einmal die Hexe herauslassen?
       
       Es ist darüber hinaus kein Zufall, dass Zemeckis’ Hexen (größtenteils) weiß
       sind, seine Protagonist*innen aber schwarz – auch wenn ein
       Rassismusstatement (immerhin spielt der Film in den Südstaaten der 1960er)
       mehr erahnt als getätigt wird. Dass eine US-amerikanische Produktion zudem
       den russischen Akzent als feindlicher empfindet als die britische Adaption
       aus dem Jahr 1990 den deutschen, passt ebenfalls.
       
       Zemeckis’ Film ist neben der (wenn man so will) Russenfeindlichkeit
       übrigens auch noch glatzenfeindlich – und diskriminierend gegenüber dicken,
       britischen Kindern: als „chubby little English kid“ bezeichnet der
       Maus-Protagonist seinen Kumpel.
       
       ## Aktivist*innen kritisieren Behinderung als Kostüm
       
       Die „Stigmatisierung deformierter Hände“ brachte dazu noch kürzlich
       britische Disability-Aktivist*innen gegen den Film auf, die unter dem
       Hashtag [4][#notawitch] Fotos von sich und ihren unterschiedlich geformten
       Händen posteten. Sie warfen dem Film vor, „eine Behinderung als Kostüm zu
       benutzen, um einen bösen Charakter zu kennzeichnen“.
       
       Obwohl dahinter vermutlich eher steht, dass die Klauen unter den
       Handschuhen eine ständige manu cornuta bilden, die auch im Hardrock
       vielgenutzte gehörnte Teufelshand – ein Symbol, das Zemeckis zu subtil
       einsetzt, um sich den Vorwürfen komplett zu entziehen.
       
       Andere Kritiker*innen weisen auf angeblich antisemitische Klischees im
       Buch, in der ersten und auch der aktuellen Verfilmung hin: Die Nasen
       (zumindest im 1990er Film tragen die Hexen menschliche Gesichtsmasken über
       langnasigen Horrorgesichtern), das Geldhorten, und die brutalste aller
       unsinnigen Lügen: der Kindermord.
       
       Diese verabscheuungswürdigen Klischees entdeckt allerdings nur, wer sie
       kennt. Auch durch diese im Gegensatz zum Vorgänger schwächere neue
       Verfilmung zieht sich vor allem Dahls leidenschaftlichste Intention: Kinder
       zu ermächtigen, ihnen beizubringen, in einem gesicherten Umfeld (einer klar
       fantastischen Erzählung) mit ihren Ängsten umzugehen.
       
       Denn den Schrecken, der tatsächlich von Erwachsenen ausgeht, kann man
       manchmal nur verschwinden lassen, wenn man ihm mit eigener Stärke begegnet.
       Und das ist dann echte Hexerei.
       
       26 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kinderbuchverfilmung-von-Roald-Dahl/!5320897
 (DIR) [2] /Kinostart-von-Shape-of-Water/!5481480
 (DIR) [3] /Kampf-gegen-DuPont-als-Filmthriller/!5716268
 (DIR) [4] https://twitter.com/hashtag/notawitch
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jenni Zylka
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Film
 (DIR) Soul
 (DIR) Horror
 (DIR) Komödie
 (DIR) Hexenverfolgung
 (DIR) Kino
 (DIR) Spielfilm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Genderbewusste Horrorkomödie „Freaky“: Die Slapstick-Slasherin
       
       Die Horrorkomödie „Freaky“ nimmt sich das Genrekino aus
       geschlechterpolitischer Sicht vor. Sie treibt damit vergnüglich-queere
       Zeichenspiele.
       
 (DIR) Neuer Film über Hexenverfolgung: Die Inquisition der Frauenhasser
       
       Religiöser Wahn, Angst, Misogynie und Lustfeindlichkeit prägen das
       Verhältnis der Geschlechter im Film „Tanz der Unschuldigen“ von Pablo
       Agüero.
       
 (DIR) Kampf gegen DuPont als Filmthriller: Besser leben mit Chemie
       
       Ein echter Umweltskandal: Todd Haynes schickt in seinem Thriller
       „Vergiftete Wahrheit“ Mark Ruffalo gegen den Chemiekonzern DuPont ins
       Rennen.
       
 (DIR) Spielfilm „Willkommen in Marwen“: Der Crossdresser aus dem Sumpf
       
       Regisseur Robert Zemeckis drehte den Spielfilm „Willkommen in Marwen“ nach
       realem Vorbild. Großartig sind die animierten Miniaturfiguren.
       
 (DIR) Stop-Motion-Film von Wes Anderson: Ein Fuchs in der Midlife-Crisis
       
       Der amerikanische Regisseur Wes Anderson verfilmt Roald Dahls Kinderbuch
       "Der fantastische Mr. Fox" als Animationsfilm und macht daraus ein
       komplexes Beziehungsdrama.