# taz.de -- Kinderbuchverfilmung von Roald Dahl: Blubberwasser aus Rotzgurken
       
       > In „BFG – Big Friendly Giant“ treffen zwei Sonderlinge aufeinander. Mark
       > Rylance hüpft durch London und hütet Träume in Gläsern.
       
 (IMG) Bild: Der große und der kleine Sonderling bei einer nächtlichen Begegnung
       
       Die Zeit muss irgendwie stehen geblieben sein in dem verwitterten, leicht
       spukhaften Waisenhaus in einer anonymen Londoner Gasse. Von außen wie von
       innen mufft es dort nach mindestens 100 Jahren. Die leicht vertrottelte
       Leiterin mit matronenhaftem Äußeren, die man bei ihrem allabendlichen
       Rundgang kurz durchs Bild huschen sieht, scheint mitsamt der Ausstattung
       ihrer Institution in den frühen Nachkriegsjahren angesiedelt. Wie man
       später erst erfährt, spielt die Geschichte in den Achtzigern – in einem
       Nebensatz wird Ronald Reagan als Präsident der USA erwähnt.
       
       Etwas aus der Zeit gefallen wirkt auch die zehnjährige Sophie, eine
       Einzelgängerin, die sich unter den Altersgenossinnen verloren fühlt. Nachts
       liest sie im Bett heimlich Bücher oder streift im Schutz ihrer
       Patchworkdecke durch die Flure des Ersatzzuhauses. Für sie ist die
       Geisterstunde nicht um Mitternacht, sondern um 3 Uhr, „wenn ich noch wach
       bin“, wie sie sagt.
       
       Sophie (Ruby Barnhill) ist die menschliche Protagonistin von „BFG“, dem
       jüngsten Kinderfilm Steven Spielbergs. Ähnlich wie seinerzeit in Spielbergs
       „E.T.“ trifft darin ein Kind auf ein fremdartiges Wesen, dessen Rufname ein
       Akronym ist: „E.T.“ stand 1982 für „Extra-Terrestrial“, „BFG“ dient als
       Kürzel für einen freundlichen Riesen, den „Big Friendly Giant“.
       
       Diesem Riesen begegnen Sophie und das Publikum gleich in den ersten Minuten
       des Films. Er ist ebenfalls nachtaktiv: Regelmäßig schreitet er durch die
       Straßen Londons, während alles schläft, um mit einer überdimensionierten
       Trompete seiner Tätigkeit nachzugehen, dem „Traumblasen“. Ein
       gemeinnütziger Beruf, der direkt auf das Unbewusste der Betroffenen
       einwirkt.
       
       ## „Knochenknacker“ mag gern Menschen
       
       Dummerweise wird er während seines Dienstgangs von Sophie erblickt, als sie
       vom Balkon des Schlafsaals nachsehen will, woher die beunruhigenden
       Geräusche draußen stammen. Der Riese schnappt sich die unerwünschte
       Augenzeugin und nimmt sie mit ins Land der Riesen. Sophie soll fortan bei
       ihm bleiben, damit sie den Menschen nichts von der Existenz der Riesen
       verrät. Diese könnten andernfalls von den Menschen verfolgt werden.
       Umgekehrt muss der Riese dafür sorgen, dass Sophie nicht von seinen
       Zeitgenossen verspeist wird. Die anderen Riesen sind nämlich nicht nur
       „big“, sondern wahrhafte XXL-Giganten, dafür aber alles andere als
       „friendly“. Ihre Namen „Knochenknacker“ oder „Fleischfetzenfresser“ tragen
       sie aus gutem Grund.
       
       Mark Rylance, der den mit Computerhilfe kostümierten Giganten spielt,
       verpasst diesem schlaksigen Wesen mit imposanten Segelohren und
       hoffnungslos verdrehtem Englisch eine einnehmende Gutmütigkeit, die Kinder
       wie Eltern entgegenkommen dürfte. Er blickt so treuherzig wie verschlagen,
       dass man in seiner Gegenwart kaum Angst verspüren mag. Ruby Barnhill
       hingegen gibt die dem Riesen ausgelieferte Sophie mit neugierigen
       Kulleraugen, überdurchschnittlicher Schlagfertigkeit und einer angesichts
       ihrer veränderten Lebenslage erstaunlichen Anpassungsfähigkeit.
       
       Steven Spielberg erzählt diese für ganz kleine Zuschauer von der
       Grundanlage her recht unheimliche Geschichte nach Roald Dahl in seiner
       bewährt freundlich-klaren Optik. Auch im Dunkeln sind die Schatten so
       dezent und die Farben so warm gesetzt, dass selbst Gefahrenszenen behaglich
       erscheinen. Auch der BFG strahlt in seiner artifiziellen Fleischigkeit eine
       gummispielzeugartige Harmlosigkeit aus. Bloß wenn die menschenfressenden
       Riesen auf dem Plan erscheinen, wird es vorübergehend ungemütlich.
       
       Vor Spielberg hatte schon der Brite Brian Cosgrove 1989 eine
       Zeichentrickversion von „BFG“ in die Kinos gebracht. Gerade in der
       Eingangsszene ist sein Film um einiges gruseliger als Spielbergs
       computergestützte 3-D-Realverfilmung, auch die düstere Synthesizermusik von
       Keith Hopwood wirkte 1989 deutlich unheilvoller als die
       dramatisch-versöhnlichen Orchesterohrwürmer, die Altmeister John Williams
       für Spielbergs Fassung beigesteuert hat.
       
       ## Spannungsarm, fast langweilig
       
       Spielbergs „BFG“ ist ein freundlicher, aber irgendwie auch spannungsarmer
       Film. Ohne die Menschenfresser wäre er vermutlich sogar etwas langweilig.
       Seine Vorzüge liegen in der detailreichen Ausgestaltung der Riesenwelt.
       
       Das fängt mit den reizvoll unappetitlichen Rotzgurken an, von denen sich
       BFG in seiner Höhle ernährt und die er zu seinem Lieblingsgetränk
       Blubberwasser verarbeitet – einer grünlich schimmernden Flüssigkeit, deren
       Blasen nach unten sinken, statt aufzusteigen, und die ihren Konsumenten
       farblich wie klanglich (und olfaktorisch) bemerkenswerte Flatulenzen
       verursacht. Und reicht bis hin zu den zahllosen Glasgefäßen mit den vom
       Riesen gefangenen Träumen, die wie bunte Irrlichter durch ihre Gefängnisse
       schwirren.
       
       Was dem Film fehlt, ist eine plausible Erzählung der Beziehung zwischen
       Sophie und BFG, die ja eine Zwangsgemeinschaft bilden. Im Kern geht es bei
       dem ungleichen Paar um zwei Außenseiter – unter den Riesen ist der
       Vegetarier BFG ein kleinwüchsiger Sonderling, der ähnlich auf sich gestellt
       ist wie die zurückgezogene Sophie. Die Ähnlichkeit ihrer Lebenslage reicht
       aber nicht so ganz, um zu erklären, warum Sophie auf einmal die akut
       lebensbedrohliche Situation im Land der Riesen dem zugegebenermaßen
       unattraktiven, aber sicheren und artgerechteren Waisenhaus vorzieht.
       
       Am Ende kommt es zu einer unerwarteten Lösung, die zudem höchst britisch
       ausfällt. Nur so viel sei verraten: Das Königshaus spielt eine nicht
       unerhebliche Rolle. Bleibt die Frage, ob deutschsprachige Zuschauer sich
       für den überaus häufigen Gebrauch des Namen „BFG“, sprich „Bi-eff-dschi“
       erwärmen können. Denn der klingt nicht halb so charmant wie einst „E.T.“.
       
       21 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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