# taz.de -- Italien und Angela Merkel: Die gute Deutsche
       
       > Es gab eine Zeit, da galt Angela Merkel in Italien als Genius des Bösen.
       > Heute sind italienische Medien unsterblich verliebt in die Kanzlerin.
       
 (IMG) Bild: La Merkel begrüßt Il Conte
       
       Klare Vorstellungen hat der italienische Journalist, der eine eher
       linksorientierte Debattenwebsite betreut und jetzt bei dem deutschen
       Kollegen ein Stück bestellen möchte. „Ich hätte gerne einen Text über die
       Merkel“, und sofort wird sein Ton schwärmerisch, „einen Text, der uns
       erklärt, dass sie weit und breit die einzige Führungspersönlichkeit von
       Weltformat ist.“
       
       So wie ihm geht es dem Gros der italienischen Medien: Sie haben sich
       unsterblich verliebt in die Bundeskanzlerin. Dutzende Artikel feierten sie,
       als sie vor wenigen Wochen [1][ihr 15-Jahres-Jubiläum] im Amt beging,
       Dutzende Artikel auch überschlugen sich vor Lob nach ihrer letzten
       Coronarede im Bundestag. Und das liegt gewiss nicht bloß am „offensichtlich
       effizienten Krisenmanagement der deutschen Regierung“ in der
       Coronapandemie, die die viel gelesene Website Il Post im Juni
       diagnostizierte. Denn Effizienz wurde Deutschland von den italienischen
       Beobachter*innen nie abgesprochen – wohl aber Empathie.
       
       Und spätestens seit 2010, seit der Eurokrise und dem griechischen Desaster,
       war Angela Merkel südlich der Alpen alles andere als eine Lichtgestalt.
       Äußerst bissig äußerte sich etwa Il Sole 24 ore – die vom italienischen
       Industriellenverband herausgegebene Tageszeitung – im Jahr 2015 über die
       Kanzlerin mit ihren „moderaten Leidenschaften“, wirft ihr vor, es sei „wohl
       zu viel verlangt“, dass man auf ihre Einsicht setze, darauf „zu verstehen,
       dass nicht nur Griechenland, sondern das ganze Haus der europäischen
       Währung in Flammen steht“, und beklagt sich über den „tief verankerten
       Egoismus“ Merkel-Deutschlands.
       
       Auf dieser Klaviatur spielte auch Italiens politische Klasse. [2][Silvio
       Berlusconi] zog jahrelang mit der These durchs Land, er sei 2011 dank eines
       Komplotts von Merkel und Nicolas Sarkozy als Ministerpräsident gestürzt,
       und Matteo Renzi, damals Chef der gemäßigt linken Partito Democratico,
       verkündete vor seinem Antrittsbesuch als neuer Ministerpräsident in Berlin,
       er werde sich ganz gewiss nicht von der Kanzlerin wie ein Schulbub „an die
       Tafel schicken lassen“.
       
       ## „Viertes Reich“
       
       [3][Matteo Salvini], der Chef der Lega, schließlich verdankte seinen
       rasanten Aufstieg auch der Tatsache, dass er bis heute kontinuierlich gegen
       Merkel, gegen ihr „Viertes Reich“ wetterte: „Was sie damals nicht mit den
       Panzern geschafft haben, erledigen sie heute mit der Finanz.“
       
       Das war der Ton – doch mittlerweile wird er nur noch von Salvinis Lega
       gepflegt. Im Mai kommentierte die Tageszeitung Il Foglio dagegen in einem
       Artikel mit dem Titel „Merkel und das Wunder vom gut gewordenen
       Deutschland“, Merkel habe „Europa im schwierigsten Moment seiner Geschichte
       geholfen, zu sich selbst zu finden“, und erstmals seit langer Zeit sei
       „nicht nur in Italien die deutsche Hegemonie ein Prozess, der nicht voller
       Sorge betrachtet wird“, denn ihr sei es gelungen, „ihr Land nicht in einen
       politisch zu bekämpfenden Feind, sondern in einen beeindruckenden
       Alliierten zu verwandeln“.
       
       Plötzlich „gut geworden“ war Deutschland mit dem Pakt Macron-Merkel, der zu
       dem [4][europäischen Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU]“ führte,
       einem Programm, das Italien mit immerhin 209 Milliarden Euro bedenkt und
       dessen Verabschiedung schon jetzt Italien trotz der pandemiebedingten
       katastrophalen Wirtschaftszahlen ein in den letzten Jahren ungekanntes
       Vertrauen der Finanzmärkte bescherte. Und Angela Merkel wurde darüber zu
       Italiens rettendem Engel. Zum Jahresende setzt der Corriere della Sera sie
       unter den „110 Frauen des Jahres“ in die erste Reihe.
       
       29 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/inland/merkel-15-jahre-101.html
 (DIR) [2] /Berlusconi-und-Trump--ein-Phaenomen/!5721160
 (DIR) [3] /Fluechtlingspolitik-in-Italien/!5718278
 (DIR) [4] /Corona-Finanzpaket-der-EU/!5701581
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Italien
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Medien
 (DIR) Eurokrise
 (DIR) Pandemie
 (DIR) Italien
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Kolumne Stadtgespräch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Streit um EU-Corona-Gelder in Italien: Zerreißprobe für Regierung
       
       Italiens Koalition war von Anfang an eine Notlösung. Beim Zoff um das Geld
       aus dem Recovery Fund könnte es zum endgültigen Bruch kommen.
       
 (DIR) Neujahrsansprache von Angela Merkel: „Die Kraft der Vielfalt“
       
       Die Kanzlerin findet an Silvester berührende Worte und zeigt Haltung. Nur:
       Über Politik spricht sie wenig, dabei hat ihre Politik die Krise erschwert.
       
 (DIR) Coronaverschärfungen in Italien: Strenger Lockdown in Italien
       
       Es gilt ein Reiseverbot zwischen Regionen und bald eine Ausgangssperre,
       außer bei triftigem Grund. Weihnachten und Silvester bleibt die Ampel rot.
       
 (DIR) Streit vor EU-Gipfel: Merkel muss um ihre Bilanz bangen
       
       Auf dem letzten EU-Gipfel unter deutschem Vorsitz droht viel Ärger. Beim
       Haushaltsstreit mit Polen und Ungarn scheint jedoch ein Kompromiss in
       Sicht.
       
 (DIR) Feiertage und Corona in Italien: Großer Schmaus nur im kleinen Kreis
       
       Besuche in anderen Regionen sind in Italien ab dem 21. Dezember nicht mehr
       drin. An Weihnachten und Silvester sogar nicht einmal in anderen Kommunen.