# taz.de -- Mietenproteste in Berlin: Gestiftet und verkauft
       
       > Das Evangelische Johannesstift will ein Neuköllner Haus verkaufen, das
       > die Besitzerin ihm einst vermacht hatte. Die Mieter:innen wehren sich.
       
 (IMG) Bild: Noch hängt kein Plakat an diesem verkaufsbedrohten Haus, aber hinter der Fassade brodelt es schon
       
       BERLIN taz | Die Anzengruberstraße 24 ist eines jener Wohnhäuser, in denen
       man sich noch kennt. Doch das Neuköllner Haus soll verkauft werden –
       wogegen die Mieter:innen nun protestieren und sich organisieren. Sie
       vernetzen sich, hängen Transparente an das Haus und gehen via Twitter an
       die Öffentlichkeit.
       
       Lange gehörte das Haus der selbst dort wohnenden Margarete Windschild, die
       manche Mieter:innen noch persönlich kannten. Frau Windschild starb aber
       1995 und vermachte ihr Eigentum dem Evangelischen Johannesstift in Spandau.
       Dieses strebt laut Satzung explizit keine eigenwirtschaftliche
       Betriebsweise an – und nennt dagegen sehr wohl eine „[1][sozial gerechte
       Gesellschaft“] als Ziel im Leitbild.
       
       Für die Aktivist:innen ein Grund, über den Verkauf besonders empört zu
       sein. Dass das Haus nun „meistbietend verkauft wird“, so die Initiative auf
       Twitter, sei sicher nicht im Sinne der Verstorbenen. Seitens des
       Johannesstifts ist man sich hingegen sicher, dem Willen von Frau Windschild
       gerecht zu werden. „Der Nachlassgeberin war es wichtig, dem Stiftungszweck
       zu dienen“, sagt Pressesprecherin Lilian Rimkus auf taz-Nachfrage. Der
       Verkaufserlös fließe in den Bau einer sozialen Einrichtung. Somit sei dem
       Stiftungszweck und damit dem Willen von Frau Windschild gedient. Weitere
       Verpflichtungen gebe es nicht.
       
       Die Mieter:innen vermuten hingegen andere Gründe für den Verkauf. Es sei
       „viel zu wenig in das Haus investiert“ worden, sagte Lieke Rahn von der
       Initiative Anzi24 der taz. Der Verdacht stehe im Raum, dass dies der Grund
       sei, weshalb das Haus nun abgestoßen werde. „Wenn die Instandhaltungskosten
       nun so hoch sind, dass sich das Haus nicht mehr rechnet, dann muss da in
       den letzten 25 Jahren einiges schiefgegangen sein“, vermutet Rahn.
       
       ## Dauerhafte Lösung für günstige Mieten
       
       Es geht den Mieter:innen um eine dauerhafte Lösung, die die günstigen
       Mieten sichert. „Viele hier im Haus sind absolut darauf angewiesen“, sagt
       Rahn. Die Bewohner:innen kennen die Identität des Käufers nicht. Sie
       bezweifeln aber, dass das Johannesstift einen sozialen Träger gefunden
       habe. Und auch der Bezirk Neukölln zweifelt an der Gemeinwohlorientierung
       des Interessenten: „Ausgehend von Name und Rechtsform, gehe ich nicht von
       einer gemeinnützigen Organisation aus“, sagte Bezirksstadtrat Jochen
       Biedermann (Grüne) der taz, wenngleich dies ein vorläufiges Urteil sei.
       
       Das Johannesstift selbst spricht von einem „privaten Bestandshalter aus
       Deutschland“, der aber bereit sei, soziale Verantwortung zu übernehmen. Man
       verweist auf eine Sozialcharta, die etwa vorsehe, für 15 Jahre von
       Kündigungen zwecks Eigenbedarf oder Verwertung abzusehen. Auch
       „unangemessene“ Mieterhöhungen oder Modernisierungen seien ausgeschlossen.
       Offen bleibt, wie viel von der Sozialcharta nicht ohnehin gesetzlich
       geregelt ist – denn Mietendeckel und Lage des Hauses in einem
       Milieuschutzgebiet bieten den Mieter:innen bereits einen gewissen Schutz
       vor Mieterhöhungen, Eigenbedarfskündigungen oder Modernisierungen.
       
       Auch wüssten die Mieter:innen gar nichts von einer Sozialcharta, sagt Rahn
       von der Anzi24. Und der Bezirk weiß nur von dessen Existenz, kennt aber den
       Inhalt nicht. Das Johannesstift will nun mit den Aktivist:innen reden –
       Kommunikation scheint nötig.
       
       Ziel: Bezirkliches Vorkaufsrecht 
       
       Die Initiative Anzi24 sieht in der Zukunft ihres Hauses auch eine
       „politische Frage“, wie Rahn sagt. Ziel sei, dass die Stadt ihr
       Vorkaufsrecht ausübe. Dies ist auch erklärter Wille des Bezirks, der das
       Instrument des Vorkaufs ohnehin verstärkt nutzen will. „Auch aus der
       Opposition heraus habe ich das gefordert“, sagt Stadtrat Biedermann. Man
       verfüge über Erfahrungen und Strukturen, um den Mieter:innen unter die Arme
       greifen zu können. Sprecherin Rimkus vom Johannesstift erklärt, man sei
       sich bewusst, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht prüfe, es lägen aber noch
       keine Informationen vor. Sie ergänzt: „In jedem Fall handelt es sich bei
       der von uns festgelegten Sozialcharta um einen unabdingbaren Teil des
       Kaufvertrages.“
       
       Der Widerstand der Mieter:innen in der Anzengruberstraße reiht sich in eine
       Reihe von Neuköllner Mieterprotesten ein, die sich allesamt gegen den
       Verkauf ihrer Häuser richten. Kürzlich haben sich die Bewohner:innen der
       Donaustraße 5 und die der [2][Hermannstraße 48] respektive 225/226
       organisiert. Die Erwartungen an die Politik sind hoch.
       
       14 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.evangelisches-johannesstift.de/stiftung/ueber-uns/leitbild
 (DIR) [2] /Neukoellner-Projekt-bangt-um-Existenz/!5742368
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timm Kühn
       
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