# taz.de -- Neue Strategien der Immobilienfirmen: „Mietendeckel ist Sand im Getriebe“
       
       > Börsennotierte Immobilienkonzerne verdienen auch an Hartz-IV. Warum der
       > Mietendeckel ein Mittel dagegen ist, erklärt Soziologe Philipp Metzger.
       
 (IMG) Bild: Wem gehört die Stadt? Demo gegen Deutsche Wohnen und Co. im Juni Berlin
       
       taz: Herr Metzger, was versteht man unter der Finanzialisierung des
       Wohnungsmarkts? 
       
       Philipp Metzger: Unter Finanzialisierung verstehen wir in der Forschung,
       dass in der Ökonomie das Finanz- gegenüber dem Industrie- und
       Handelskapital größer geworden ist. Viele Unternehmen passen ihre
       Profitstrategien dem Finanzkapital an.
       
       Was hat sich am Wohnungsmarkt verändert? 
       
       Lange Zeit existierten auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland neben dem
       öffentlichen Wohnungsbau private VermieterInnen und kleine
       Wohnungsunternehmen.
       
       Erst im Zuge des Neoliberalismus Anfang der 1990er Jahre sind ungefähr eine
       Million Wohnungen in das Eigentum von Immobilienkonzernen übergegangen.
       Diese agieren ganz anders als andere Eigentümergruppen. In der ersten Phase
       dominierten Ende der 1990er Jahre Private-Equity-Firmen. Das sind
       Investmentfonds mit einem kurzfristigen Anlagehorizont. Wohnungen werden
       maximal fünf Jahre bewirtschaftet.
       
       In dieser Zeit werden die Mieten erhöht, und die Wohnungen werden dann
       wieder gewinnbringend verkauft. Die börsennotierten
       Immobilienfinanzkonzerne hingegen wirtschaften langfristig und setzen auf
       Modernisierung, um die Profite zu erhöhen. Sie versprechen ihren
       AktionärInnen, die Rendite auf 30 Prozent zu erhöhen. Sie sind daher massiv
       unter Renditedruck.
       
       Können Sie dazu ein Beispiel nennen? 
       
       Sowohl die Deutsche Wohnen als auch die Vonovia sind Anfang der 2000er
       Jahre aus solchen Immobilienfonds entstanden.
       
       Sie schreiben in Ihrem Buch von einer Hartz-IV-Strategie der
       Immobilienwirtschaft. Was verstehen Sie darunter? 
       
       Die Konzerne verkaufen in einem Gebiet Cluster, das sind zusammenhängende
       Gebiete von Wohnblöcken. Dann können sie die Miete erhöhen, was sich auf
       den Mietspiegel auswirkt. Dadurch steigt die Bemessungsgrundlage für
       Hartz-IV-EmpfängerInnen bei den Mieten. Gewinner sind aber die
       Finanzkonzerne.
       
       Können Sie ein Beispiel für diese Strategie in Berlin benennen?
       
       In der Gropiusstadt in Neukölln setzt die Deutsche Wohnen diese
       Hartz-IV-Strategie um. Ähnliche Entwicklungen kann man in Marzahn und
       Lichtenberg sehen.
       
       Warum wird darüber in der Literatur zur Gentrifizierung so wenig
       gesprochen? 
       
       Die meisten AutorInnen nähern sich der Gentrifizierung über das Thema
       Stadtentwicklung an. Ich nähere mich dem Thema hingegen vom Finanzmarkt.
       Daher schaue ich auf die Finanzinvestoren als Treiber der Gentrifizierung.
       
       Warum beschäftigen Sie sich in einem Kapitel mit Arbeitskämpfen bei
       Vonovia? 
       
       Die Wohnungsbranche hatte lange eine 100-prozentige Tarifanbindung. Bei
       Vonovia arbeiten heute noch knapp 15 Prozent der Beschäftigten nach
       Tarifvertrag. Anders als die Private-Equity-Fonds setzten die
       börsennotierten Wohnkonzerne nicht auf Outsourcing, sondern auf Insourcing.
       Das bedeutet, dass vorher ausgegliederte Unternehmensteile wieder
       integriert werden, aber ohne Tarifvertrag. Dabei spart man Steuern, und in
       einem Büro sitzen KollegInnen mit einer Lohndifferenz von 1.000 Euro. Die
       Dienstleistungsgewerkschaft Verdi scheiterte 2013 bei dem Versuch, bei
       Vonovia wieder einen Tarifvertrag zu erkämpfen, weil es eine massive
       Gegenkampagne und Unionbusting vonseiten des Konzerns gab.
       
       Welche Rolle spielt die Politik bei der Finanzialisierung?
       
       Das war kein Betriebsunfall, sondern politisches Ziel. Vier
       Finanzmarktgesetze haben das Konzept beschleunigt. Die Liberalisierungen
       fingen mit Helmut Kohl an und wurden unter Rot-Grün radikalisiert. Und
       dieser Prozess hält bis heute an. Auch im ersten Koalitionsvertrag der
       Groko stand, dass man den Immobilienmarkt stärker in den globalen
       Finanzmarkt integrieren will. Gleichzeitig hat sich der Bund aus dem
       sozialen Wohnungsbau zurückgezogen. Und die öffentlichen Wohnungsbestände
       wurden in Ost- und Westdeutschland seit Anfang der 1990er Jahre zu
       Spottpreisen verscherbelt.
       
       Setzt die Berliner Politik nicht mit dem Mietendeckel auch andere Akzente? 
       
       In der Tat ist der Mietendeckel Sand im Getriebe der Finanzialisierung. Für
       die Deutsche Wohnen könnte dadurch nach Eigenaussage des
       Vorstandsvorsitzenden Michael Zahn in verschiedenen Interviews ein
       jährlicher Schaden von 330 Millionen Euroentstehen. Wenn man die Wohnungen
       wieder in öffentliche Hand bekommen würde, wie es die Initiative Deutsche
       Wohnen enteignen plant, wäre das ein klares Signal gegen die
       Finanzialisierung des Wohnungsmarkts.
       
       11 Jan 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Nowak
       
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