# taz.de -- Urteil zu Bettelverbot in Genf: Es ist egal, wer Not leidet
       
       > Eine Haftstrafe wegen Bettelns gegen eine Frau in der Schweiz hat die
       > Menschenrechte verletzt. Wichtiger war vielen Medien ihre Herkunft.
       
 (IMG) Bild: Schilder in der Innenstadt von Basel
       
       Eine Frau hat in Genf gebettelt und wurde dafür bestraft: Im Januar 2014
       war sie zu einer Geldstrafe von 500 Franken verurteilt worden. Weil sie
       nicht bezahlt hatte, wurde sie fünf Tage lang inhaftiert.
       
       [1][Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
       in Straßburg geurteilt, dass die Strafe nicht angemessen sei], „weder
       hinsichtlich des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität noch
       hinsichtlich des Schutzes der Rechte von Passanten, Anwohnern und
       Geschäftsbesitzern“.
       
       Natürlich ist es erfreulich, dass der EGMR hier im Sinne der Betroffenen
       gegen ein Bettelverbot in der Stadt Genf geurteilt hat, und dass er dabei
       kritisierte, dass ein Bettelverbot das Betteln pauschal kriminalisiert.
       
       Ja, es gibt Hoffnung, dass es noch nicht so weit ist, dass Menschen für
       ihre Armut eingesperrt werden. Aber man fragt sich schon, was der EGMR als
       „angemessene“ Strafe verstehen würde und ob er das Betteln nicht selbst
       wieder kriminalisiert, indem er im Zusammenhang dieses Falls von
       „organisierter Kriminalität“ spricht.Aber das ist ein Hinweis darauf, dass
       es hier um mehr geht.
       
       ## Fleißige Bürger
       
       Zu den Hinweisen gehört auch, dass die Nachrichtenagentur AFP schreibt, es
       handele sich bei der Frau um eine „rumänische Analphabetin aus der
       Roma-Gemeinschaft“, wie auch der epd gleich in der ersten Zeile seiner
       Meldung klarstellt, dass es eine „Roma-Frau“ sei, und diese Information
       [2][der NZZ so wichtig ist], dass sie das Ganze so auf den Punkt bringt:
       „Schweiz wegen der Bestrafung einer Roma-Bettlerin verurteilt.“
       
       Der Punkt: Die allgemeine Verachtung von Bettelnden hat etwas mit dem
       [3][antiziganistischen Ressentiment] zu tun. Unabhängig davon, ob sich die
       konkreten Personen, um die es geht, tatsächlich als Roma identifizieren:
       Die Menschen denken beides gerne zusammen, weil es ihrem Bedürfnis
       entspricht. Deshalb kommt es auch zu Fantasien über die Bettelmafia, die
       von Hintermännern gesteuert werde und sich bereichere.
       
       Dann zeigt sich auch der Hass, den der anständige und fleißige Bürger
       gegenüber jenen empfindet, die in seiner Fantasie vermeintlich das
       bekommen, was ihm in der bürgerlichen Gesellschaft versagt bleibt: ein
       Auskommen ohne Lohnarbeit.
       
       Deshalb ist es hier wichtig, den Fokus auf die Identität der Frau zu
       kritisieren.
       
       19 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.srf.ch/news/international/klage-von-28-jaehriger-europaeischer-gerichtshof-kippt-bettelverbot-in-genf
 (DIR) [2] https://www.nzz.ch/schweiz/schweiz-wegen-der-bestrafung-einer-roma-bettlerin-verurteilt-ld.1597223
 (DIR) [3] https://www.oeh.univie.ac.at/zeitgenossin/anderes-label-gleicher-hass-antiziganismus-nach-1945
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
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