# taz.de -- Häusliche Gewalt: Nie wieder zuschlagen
       
       > Berlin-Mitte bietet Beratung und Therapie für gewalttätige Männer an.
       > Denn Gewaltspiralen sind nur mit professioneller Hilfe zu stoppen.
       
 (IMG) Bild: Es gibt viele Arten mit der eigenen Wut umzugehen, ohne anderen dabei zu schaden
       
       BERLIN taz | 14.051 Mal tippten Berliner Polizeibeamte im vergangenen Jahr
       den Tatbestand „häusliche Gewalt“ in ihre Dienstcomputer. Meistens – um
       genau zu sein in 9.255 Fällen – waren Frauen die Zielscheibe von Tritten,
       Schlägen und anderen Angriffen. Doch das ist nur die Oberfläche von Gewalt
       in Familien, die die Berliner Gesundheitsverwaltung in einer Statistik
       festgehalten hat. Die Dunkelziffer ist höher, unter anderem weil nicht
       jeder Übergriff angezeigt wird. Die Polizei rückt sehr viel öfter aus, um
       häusliche Gewalt aufzudecken, zu schlichten, einzudämmen. Und um die Opfer,
       vor allem Frauen und Kinder, zu schützen.
       
       In Mitte ist die Zahl der Partnerschaftsgewalt besonders hoch. Über 300
       Fälle registrierte allein die Zentrale Kinderschutzkoordination im
       Jugendamt Mitte im vergangenen Jahr. „Die Zahlen zu häuslicher Gewalt
       liegen bei uns gleich hinter denen zur Vernachlässigung von Kindern“, sagt
       Cordelia Nawroth, Kinderschutzkoordinatorin in dem Großbezirk, zu dem
       Stadtteile mit sogenannten Schwerpunktkiezen wie Gesundbrunnen und Moabit
       gehören.
       
       Die Diplomsozialpädagogin arbeitet seit 30 Jahren in der Kinder- und
       Jugendhilfe. Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie Sätze sagt wie diesen:
       „Die meisten Männer werden immer wieder gewalttätig.“ Auch wenn die Männer
       der Polizei versichern, dass „das heute zum ersten Mal passiert“ sei und
       sie nie, nie, nie wieder zuschlagen.
       
       „Häusliche Gewalt ist eine Spirale, die sich hochschraubt“, sagt Nawroth:
       „Die hat immer eine Vorgeschichte. Und die lässt sich ohne professionelle
       Hilfe nicht aufklären und schon gar nicht lösen.“ Solche professionelle
       Hilfe bietet das Jugendamt Mitte seit Beginn dieses Jahres direkt an:
       Beratung und Therapie für gewalttätige Männer. Dort sollen die Täter
       lernen, Konflikte gewaltfrei und ohne Ausraster zu lösen. Damit sie nicht
       „immer wieder gewalttätig“ werden.
       
       ## Bisher zu wenig Gewaltprävention
       
       Diese Bezirksinitiative ist ein Novum. Dabei sollten [1][Gewaltbekämpfung
       und -prävention] eine Selbstverständlichkeit sein. Doch außer der
       Beratungsstelle für Männer gegen Gewalt, angesiedelt bei der
       Volkssolidarität, gibt es keine Anlaufstellen, die auf Gewaltprävention und
       Antiaggressionstrainings ausschließlich für Männer spezialisiert sind. Zwar
       gibt es Einrichtungen wie das Väterzentrum in Prenzlauer Berg und das
       Zentrum für Gewaltprävention (BZfG) in Charlottenburg-Wilmersdorf, die
       Männern Hilfe in weiteren Krisensituationen bieten: bei Jobverlust,
       Trennung und Scheidung, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikten, psychischer
       Instabilität. Spezialisiert auf männliche Gewalt indes ist in Berlin
       lediglich die Beratungsstelle der Volkssolidarität in Mitte, die seit 1999
       Antigewalttherapien anbietet.
       
       Diese Männerberatungsstelle hat das Jugendamt Mitte als Kooperationspartner
       gewonnen. Man muss sich das als eine Art Joint Venture vorstellen: Beim
       Jugendamt kommen die gewalttätig gewordenen Männer an, das Amt vermittelt
       sie an die Volkssolidarität. Die sorgt durch ihre Beratungen und Therapien
       dafür, dass Partnerschaftsgewalt in Mitte eingedämmt wird.
       
       Der Psychologe Gerhard Hafner, der die Beratungsstelle auf- und ausgebaut
       hat und bis heute leitet, sagt: „Häusliche und Partnerschaftsgewalt sind
       hochbrisant, es kann nie genug dagegen getan werden.“ Denn von häuslicher
       und Partnerschaftsgewalt sind nicht nur Erwachsene betroffen, sondern
       ebenso und in verstärktem Maße die Kinder. „Da ist das Kindeswohl immer in
       Gefahr“, sagt Nawroth. Nicht nur, dass sie selbst körperliche und
       psychische Gewalt erleben, viele Kinder empfinden sie irgendwann als
       „normal“ und übernehmen Gewaltmuster als Lösungsstrategie für Konflikte.
       Landläufig wird das als „vererbte Gewalt“ bezeichnet.
       
       Wenn die Männer zu Hafner in die Beratungsstelle kommen, werden sie nicht
       als Monster behandelt, um es mal salopp zu formulieren. Sondern als Männer
       mit tiefen persönlichen, sozialen und gesundheitlichen Problemen.
       
       ## Oft ein Kreislauf
       
       „Sie wissen sich selbst nicht zu helfen“, sagt Hafner. Häufig befinden sie
       sich in einem Kreislauf aus Arbeitslosigkeit, Wut auf sich selbst, die
       Welt, die Frau. Sie verstricken sich nicht selten in einem Geflecht aus
       Alkohol, Drogen und selbst als Kind erlebter Gewalt. In der Regel haben sie
       nie gelernt, Konflikte gewaltfrei zu lösen und sich selbst zurückzunehmen.
       Und nicht wenige gehen von einem tradierten Männerbild aus, demzufolge sie
       stark und auf der Siegerspur zu sein haben. „Wenn diese Männer lernen, sich
       im Griff zu haben, ist nicht nur ihnen geholfen, sondern vor allem den
       Frauen und den Kindern“, sagt Hafner. Denn nicht alle Frauen schaffen es,
       sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen. „Deshalb hat das
       Kindeswohl bei uns höchste Priorität“, sagt Nawroth.
       
       Die Männer, die die Kinderschutzkoordinatorin Nawroth zum Gewaltexperten
       Hafner schickt, haben meist eine Auflage vom Gericht oder von der Polizei
       in der Tasche: Entweder sie machen eine Antigewalttherapie oder sie dürfen
       Frau und Kinder in der nächsten Zeit nicht treffen. Die Zahl der Männer mit
       solchen Schreiben ist hoch. 300 Klienten hat die Volkssolidarität im
       vergangenen Jahr beraten und begleitet. „Das klingt viel, ist aber
       angesichts des Bedarfs zu wenig“, sagt Hafner. Er und seine beiden
       langjährigen Kolleg:innen müssten locker doppelt so viele Männer
       beraten.
       
       Durch die Kooperation mit dem Bezirksamt Mitte verbessert sich die
       Situation in der Beratungsstelle: Hafners Team konnte eine weitere
       Beraterin einstellen, die Teilzeitstellen der anderen
       Mitarbeiter:innen konnten zu Vollzeitstellen ausgeweitet werden –
       finanziert vom Bezirksamt Mitte über das sogenannte Flexibudget. Dieses
       Budget, das unterschiedlich verwendet werden kann, erhalten alle
       Bezirksämter. Mitte ist der einzige Bezirk, der diese Mittel in die
       Antigewaltarbeit für Männer steckt. Die Mitarbeiter:innen in der
       Männerberatungsstelle sprechen Englisch, Französisch, Arabisch, Türkisch.
       „Der interkulturelle Ansatz ist wichtig“, sagt Hafner: „Gewalt gegen Frauen
       ist kein deutsches, sondern ein allgemeines Problem.“
       
       Torpediert die „Männerarbeit“ nicht den Opferschutz für Frauen? „Das ist
       kein Gegensatz“, sagt Kinderschutzkoordinatorin Nawroth. In Berlin gibt es
       sieben Frauenhäuser, für 2022 ist ein achtes Frauenhaus geplant. Darüber
       hinaus stehen 45 Zufluchtswohnungen zur Verfügung und 46 sogenannte
       Zweite-Stufe-Wohnungen für Frauen, die nicht mehr akut gefährdet sind, aber
       noch Hilfe brauchen. Damit verfügt Berlin nach Aussage des Senats über
       insgesamt 763 Schutzplätze.
       
       26 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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