# taz.de -- Corona und Rassismus: Baba nimmt Biontech
       
       > Absurditäten mit der Mutter, Skepsis gegenüber AstraZeneca und Repression
       > gegen die Kurd*innen in der Türkei. Aber Volker Bouffier macht
       > Hoffnung.
       
 (IMG) Bild: Beim Impfen einfach schneller: die Türkei
       
       Das Leben ist im Großen und Ganzen absurd, nur denken wir uns das nicht
       jeden Tag, zum Glück! Denn sonst würden noch viel mehr komplett durchdrehen
       oder apathisch in der Ecke liegen, weil der Sinn in vielen Dingen und
       Begebenheiten ja einfach, tja, nicht existiert.
       
       Die Coronapandemie ist hierbei wohl der Gipfel des Absurdismus.
       Absurdismus, da war doch was, schnell mal gekramt, ach ja, der lauteste
       Vertreter dieser philosophischen Strömung war der Schriftsteller [1][Albert
       Camus]. Laut Camus kann das Absurde einen einfach „an jeder Straßenecke
       anspringen“. Und so war es denn auch, es sprang mich einfach an. Und so
       sammelte ich im Sinne Camus’ an drei Straßenecken Absurdes auf in dieser
       Woche.
       
       An der ersten Straßenecke traf ich meine Mutter, wir kauften ein, dann
       ging es zu uns. Im Wohnzimmer saßen wir weiter mit Masken, obwohl wir ja
       Kaffee trinken wollten. Zum Kaffee gingen dann die Masken runter und die
       Fenster weit auf, trotz minus zehn Grad draußen und dem Luftfilter auf
       voller Gebläsestärke, den ich mir und meiner Familie zum neuen Jahr
       geschenkt geschenkt hatte.
       
       Das alles erzähle ich so detailliert, weil es um die Impfung ging (Baba hat
       bald einen Impftermin). Und weil Baba mal wieder und zu Recht [2][ein
       Loblied auf Özlem Türeci und Uğur Şahin] hielt: Wie stolz er wäre, dass
       ausgerechnet sie den besten Impfstoff weltweit hergestellt hätten, und wie
       er sich freue, mit dem Biontech-Impfstoff immun gegen Covid-19 zu werden.
       
       Genau da ploppte meiner Mutter eine Nachricht von ihrer Freundin aus der
       Türkei aufs Handy. Sie liest also laut vor: „Mein Herz, wie geht es Dir?
       Ich hoffe, Euch und den Kindern geht es gut. Wurdet Ihr jetzt schon
       geimpft? Also Deutschland macht keine gute Arbeit mehr, glaube ich. Unser
       ganzes Viertel ist schon geimpft, jetzt sind die unter 60 dran.“ Wir gucken
       etwas bedröppelt, aber es stimmt wohl: In der Türkei wurden knapp eine
       Million mehr Menschen geimpft als hier, obwohl sie noch später angefangen
       haben.
       
       ## Nachrichten aus der Türkei
       
       Aber irgendwie und irgendwas muss die türkische Regierung wohl als Erfolg
       verbuchen: In Istanbul gehen die Student*innen der Boğaziçi-Universität
       gegen die autoritäre Verkündung eines vom Staatspräsidenten präferierten
       Direktors auf die Straße, und das türkische Militär tötet 13 Geiseln bei
       einer Operation in Gara im Nordirak.
       
       Dann lässt die Regierung noch landesweit über 700 Kurd*innen festnehmen,
       unter dem absurden Vorwurf, sie hätten Verbindungen zur PKK. Auch mehrere
       Lokalpolitiker*innen der pro-kurdischen HDP sind unter den
       Verhafteten. Wieder mal wird auf Regierungsebene laut über ein
       Parteiverbotsverfahren gegen die HDP nachgedacht. Und es ist wahrlich nicht
       nur die AKP, die sich für ein solches Verbot ausspricht. Aber sie impfen.
       
       An der zweiten Straßenecke kann man in dieser Woche darüber verzweifeln,
       dass es zwar genug Impfstoff gibt, aber keiner den will. Die Berliner
       Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci dachte am Mittwoch schon darüber nach,
       dass die Wahlfreiheit des Impfstoffs wohl ein Fehler war. Na ja, für einige
       bedeutet es sehr viel: Baba fährt auch in das für ihn am weitesten entfernt
       liegende Impfzentrum, weil, klar, Biontech dort verimpft wird.
       
       Das soll nun aufhören: Der Impfstoff von AstraZeneca wird im Impfzentrum
       Tegel zur Deko, weil sich nur wenige damit impfen lassen mögen.
       [3][„Impfstoff mit Imageschaden“], hieß es in dieser Zeitung dazu.
       
       Vor allem das Klinikpersonal habe Bedenken gegenüber dem Impfstoff,
       woraufhin jetzt aus der Wissenschaft die Versicherung kommt, dass der
       Impfstoff sehr gut sei. Also, würde man mich fragen, würde ich mich schon
       nächste Woche liebend gern damit impfen lassen, und so geht es wohl vielen
       Menschen, die Schulkinder haben, Risikopatient*innen sind oder in
       Dienstleistungsberufen arbeiten. Absurd, dass AstraZeneca derweil Staub
       ansetzt.
       
       ## Rassismus beim Brötchenkauf
       
       An der dritten Straßenecke will ich in einer Bäckerei ein Brötchen kaufen,
       es ist einer der Außenbezirke Berlins. Faschingspfannkuchen in bunten
       Farben liegen in der Auslage. Und dann noch „Partyköpfe“, wie die Bäckerei
       sie nennt: schwarze Kugeln mit aufgemalten großen Augen und wulstigen
       Lippen, mit Schokoüberzug. Klar, denke ich, wie komme ich auch auf die
       Idee, dass dieser Hoho-Rassismus einen nicht einfach im Alltag anspringt,
       einfach mal so, beim banalen Brötchenkauf.
       
       Wie gut also, dass überall des [4][rassistischen Anschlags von Hanau] vor
       einem Jahr gedacht wird, nicht nur in Hanau selbst, sondern im ganzen Land.
       So weit, so wichtig. Und wirklich absurd ist in diesem Fall nur ein Zitat,
       nachlesbar in den wirklich lesenswerten Hanau-Protokollen des Spiegels in
       der vergangenen Woche: Als die Familien der Getöteten fragten, warum sie so
       schlecht behandelt wurden nach der Tat, habe der Ministerpräsident Volker
       Bouffier versprochen: Beim nächsten Mal machen wir es besser.
       
       21 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Camus
 (DIR) [2] /Reaktionen-auf-Biontech-Chefs/!5723811
 (DIR) [3] /Impfung-mit-AstraZeneca/!5747396
 (DIR) [4] /Rassistische-Morde-in-Hanau/!5751906
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ebru Tasdemir
       
       ## TAGS
       
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