# taz.de -- Arbeitnehmervertreter gegen US-Konzern: Gewerkschaft will Amazon piesacken
       
       > Bislang konnte der Online-Händler verhindern, dass sich die Mitarbeiter
       > organisieren. In den USA gibt es nun einen neuen, ernstzunehmenden
       > Versuch.
       
 (IMG) Bild: Protest für Arbeitnehmervertretungen: „Die Gewerkschaft ist auf deiner Seite“ steht auf dem Schild
       
       NEW YORK ap | Sobald Jennifer Bates ihren Platz in einem Warenlager von
       Amazon verlässt, tickt die Uhr. Sie hat exakt 30 Minuten, um sich in einer
       Kantine etwas zu essen zu holen. Dabei muss sie zweimal eine Halle
       durchqueren, die so groß ist wie 14 Fußballfelder. Die Zeit reicht daher
       nur für ein kaltes Sandwich aus einem Automaten. Wenn sie sich beeilt, ist
       sie pünktlich zurück. Wenn nicht, [1][könnte Amazon ihr den Lohn kürzen –
       oder sie sogar feuern].
       
       Es sind [2][Belastungen wie diese, die zumindest einige Mitarbeiter des
       riesigen Versandhändlers nicht länger hinnehmen wollen]. Trotz großer
       Risiken bieten sie der Konzernführung die Stirn. Ihr Ziel: eine
       gewerkschaftliche Organisierung. Seit der Unternehmensgründung im Jahr 1995
       gab es keine so umfassende Initiative [3][wie aktuell in Bessemer im
       US-Staat Alabama]. Bemerkenswert ist dabei auch, dass der rechtliche Rahmen
       für Gewerkschaften gerade in Alabama eigentlich ungünstig ist.
       
       Für Amazon steht daher viel auf dem Spiel. Wenn die Bewegung in Bessemer
       ihr Ziel erreichen sollte, könnte dies eine Kettenreaktion im ganzen Land
       auslösen. Dann würden womöglich gleich Zehntausende Angestellte des
       zweitgrößten Arbeitgebers in den USA bessere Bedingungen und bessere
       Bezahlung fordern. In den vergangenen Jahren war es dem Unternehmen sonst
       gelungen, jeden Ansatz von gewerkschaftlicher Aktivität praktisch im Keim
       zu ersticken.
       
       An dem Standort in Bessemer, einem Vorort der Großstadt Birmingham, sind
       etwa 6.000 Menschen beschäftigt. Ob es dort zu einer gewerkschaftlichen
       Organisierung kommt, hängt davon ab, ob eine Mehrheit in einer bis Ende
       März laufenden Briefwahl „Ja“ ankreuzen wird. Versuche von Amazon, die
       Abstimmung zu verzögern, scheiterten ebenso wie Bemühungen, auf persönliche
       Stimmabgabe zu bestehen – was angesichts der Pandemie komplizierter
       geworden wäre.
       
       ## Gewerkschaft bringt nur Kosten
       
       Das Unternehmen, dessen Umsätze und Gewinne seit Beginn der
       Coronaviruskrise in die Höhe geschnellt sind, argumentiert gegenüber den
       eigenen Mitarbeitern, dass eine Gewerkschaft ihnen kaum Vorteile bringen
       würde, wohl aber mit Kosten verbunden wäre. Die Amazon-Sprecherin Rachael
       Lighty sagt, die meisten Forderungen der Gewerkschaften würden ohnehin
       schon erfüllt: Sozialleistungen, Aufstiegschancen und Stundenlöhne ab 15
       Dollar (12,40 Euro).
       
       Bates bekommt 15,30 Dollar pro Stunde dafür, Kartons mit Waren auszupacken,
       die später an Kunden verschickt werden. Bei dem Job, mit dem sie im Mai
       begann, ist die 48-Jährige fast ununterbrochen auf den Beinen. Laut ihren
       Angaben wird nicht nur die Einhaltung der knappen Pausenzeiten genau
       überwacht, sondern auch jede Unterbrechung durch Toilettengänge oder wenn
       sie sich etwas zu Trinken oder ein neues Paar Handschuhe holt. Amazon
       bestreitet dies.
       
       Im vergangenen Sommer wandten sich Bates und einige ihrer Kollegen
       jedenfalls an die US-Handelsgewerkschaft RWDSU (Retail, Wholesale and
       Department Store Union). „Sie werden eine Stimme sein, wenn wir keine
       haben“, hofft sie. Auf ihrem Weg hin zu mehr Mitsprache dürften die
       Amazon-Mitarbeiter aber noch viele weitere Hürden zu überwinden haben. „Die
       Vergangenheit lehrt uns, nicht optimistisch zu sein“, sagt Sylvia
       Allegretto von der University of California in Berkeley.
       
       ## 70 Prozent in Bessemer sind Afroamerikaner
       
       Im Jahr 2014 hatten 30 Mitarbeiter eines Amazon-Lagers im US-Staat Delaware
       eine ähnliche Abstimmung durchzusetzen versucht. Der Anlauf bleib aber
       erfolglos. Dass die Bewegung in Bessemer nun bereits einen Schritt weiter
       gekommen sei, habe vermutlich einiges damit zu tun, dass sie wirklich vor
       Ort entstanden sei und dass die Initiatoren, wie die Mehrheit der
       Arbeitskräfte in dem Logistiklager, Schwarze seien, sagt Michael
       Innis-Jiménez von der University of Alabama.
       
       Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung von Bessemer sind Afroamerikaner. In
       der örtlichen Niederlassung von Amazon liegt der Anteil laut
       RWDSU-Schätzung sogar bei bis zu 85 Prozent. Eine aufseiten der Unternehmen
       beliebte Strategie ist laut Innis-Jiménez sonst die, Gewerkschafter als
       ortsfremde Funktionäre zu charakterisieren, die gar nicht wüssten, was die
       Arbeiter tatsächlich bräuchten. In diesem Fall aber seien die treibenden
       Kräfte konkret verankert. „Ich denke, das hilft wirklich sehr“, sagt der
       Experte. „Sie werden nicht als Außenstehende betrachtet.“
       
       Der RWDSU-Chef Stuart Appelbaum führt den unerwarteten Erfolg seiner
       Gewerkschaft in Bessemer auch auf die Pandemie zurück. Viele
       Amazon-Mitarbeiter hätten das Gefühl, dass das Unternehmen nicht genug
       getan habe, um sie vor einer Ansteckung zu schützen, sagt er. Darüber
       hinaus habe die Black Lives Matter-Bewegung viele Afroamerikaner
       inspiriert, eine bessere Behandlung einzufordern.
       
       ## Tägliche Informationsveranstaltungen von Amazon
       
       Örtliche Vertreter der RWDSU verbringen derzeit viele Tage damit, mit
       Bannern vor den Toren des Amazon-Lagers auszuharren. Beim Schichtwechsel
       bleiben einige Mitarbeiter kurz stehen, um sich zu informieren. Andere
       eilen vorbei, als würden sie die Gewerkschafter nicht sehen. Innerhalb der
       Halle versuche das Unternehmen mit täglichen Informationsveranstaltungen
       darzulegen, warum es auch für die Arbeitnehmer besser sei, die
       gewerkschaftliche Initiative abzulehnen, sagt Bates.
       
       Dawn Hoag zählt zu denen, die „Nein“ ankreuzen wollen. Amazon habe von
       Anfang an deutlich gemacht, dass der Job körperlich anstrengend sei, sagt
       die 43-Jährige, die seit April in Bessemer beschäftigt ist. Außerdem könne
       sie auch gut für sich selbst sprechen und müsse dafür nicht eine
       Gewerkschaft bezahlen. „Das ist meine Meinung“, sagt sie. „Ich sehe
       überhaupt keinen Bedarf.“
       
       Aus Protest gegen mangelnden Infektionsschutz hatten im vergangenen Jahr
       einige Amazon-Mitarbeiter in New York gestreikt. Der Anführer der Aktion,
       Christian Smalls, und mehrere weitere Personen, die sich öffentlich beklagt
       hatten, wurden daraufhin entlassen – auch wenn Amazon erklärte, dies sei
       aus anderen Gründen erfolgt. Bates ist sich darüber im Klaren, dass auch
       sie ihren Job verlieren könnte. „Ich weiß, dass das passieren kann“, sagt
       sie. „Aber das ist es wert.“
       
       14 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Rueckzug-von-Amazon-Chef-Bezos/!5745089
 (DIR) [2] /Schichtwechsel-bei-Amazon/!5745093
 (DIR) [3] https://www.cbsnews.com/news/amazon-union-vote-bessemer-alabama/
       
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