# taz.de -- Seelisches Wohlbefinden heute: Ein normaler Tag in der Pandemie
       
       > Erleben Sie unseren neuen Kolumnisten bei der Verrichtung seines Alltags
       > zwischen Daimler-Aktien, Tönnies-Hackfleisch und Müslirosinen.
       
 (IMG) Bild: Auch in der Krise muss man sich noch zwischen 70 Deos entscheiden
       
       Guten Morgen! Der Wecker klingelt, ein neuer Tag beginnt (und eine neue
       Kolumne). Welcher ist heute? Ein ganz normaler Tag in der Pandemie.
       Frühlingszeit ist Dividendenzeit, ruft der Wirtschaftsredakteur aus dem
       Radio. [1][1,4 Milliarden Euro schüttet Daimler an seine AktionärInnen
       aus.] Die Hälfte kommt als Kurzarbeitergeld vom Staat. Zum Abschluss der
       Nachrichten noch ein Blick auf die Zahlen: Die Infektionen steigen, aber
       der DAX steigt höher. Und damit zum Wetter.
       
       [2][In der ersten Welle glaubten viele noch, dass sich nun alles ändern
       würde:] Solidarität statt Konkurrenz. Ein Jahr später kämpft jeder für sich
       allein. In der Whatsapp-Gruppe streiten meine Freunde, ob man nach Mallorca
       fliegen darf oder dann ein Schwein ist. In der Kitagruppe streiten
       Alleinerziehende mit Eltern, die nicht „systemrelevant“ sind, aber trotzdem
       Kinder haben. Es ist wie vor Corona, nur ein bisschen anstrengender.
       
       Aber es ist ja Mittwoch oder irgendein anderer Tag, und beim Frühstück
       interessiert sich kein Haushaltsmitglied für meine Parolen, sondern nur
       dafür, wer mehr Rosinen im Müsli hat. Also schnell zur Kita, dann in den
       Supermarkt, preppen für den Lockdown.
       
       Das Tönnies-Hack in der Kühltruhe ist billig wie eh und je, ob da auch ein
       rumänischer Finger drin ist, kann man durch die Folie nicht erkennen. Ich
       hetze weiter durch die Gänge. Jetzt muss ich zwischen 80 Sorten Deo
       entscheiden. Kann ich 79 tauschen gegen einen Impfstoff? Zur Kasse:
       [3][Macht 86,73 Euro für Dieter Schwarz, den reichsten Deutschen.]
       
       Jetzt aber schnell ins Homeoffice, Kolumne schreiben. Homeoffice heißt in
       meinem Fall: ein Küchentisch in meinem Schlafzimmer, auf dem eine Holzkiste
       steht (hab Rücken, muss im Stehen arbeiten). Aber immerhin ein Job ohne das
       Risiko, krank zu werden. Zur Ablenkung erst mal ein bisschen hier klicken,
       ein bisschen da, Spiegel, Zeit, Twitter, alles interessant.
       
       Die Systemfrage ist nach hinten ins Feuilleton gewandert, Moralismus und
       Neiddebatten wieder nach vorne. Wenn zwischen den Artikeln über das C-Wort
       noch Platz ist, interessieren sich Medien diese Woche ausschließlich für
       [4][die K-Frage]. Und damit ist nicht Klasse gemeint, sondern wie der Mann
       heißen soll, der uns in Zukunft sagt, dass sich möglichst wenig ändern
       darf.
       
       Jede Äußerung der beiden Kandidaten wird seziert. Aber wenn ich eine
       Sendung sehen möchte, in der Markus was Gemeines über Armin sagt, schaue
       ich doch lieber Germany’s Next Topmodel, da wird wenigstens mal geheult.
       
       Wie wäre es zur Abwechslung mit etwas Substanz (denn darum soll es gehen in
       dieser Kolumne: Materielles, Cash, den Kern der Sache)? Heute, an diesem
       ganz normalen Mittwoch in der Pandemie, ist Weltgesundheitstag. Die
       Bundesregierung bittet die BürgerInnen, [5][auf ihr „seelisches
       Wohlbefinden“ zu achten]. Ist bestimmt lieb gemeint.
       
       Weltgesundheitstag, das ist der Geburtstag der WHO, jener Organisation, die
       von Deutschland (und anderen) beim Versuch boykottiert wird, [6][Patente
       für Corona-Impfstoffe zu teilen]. So bleibt die Rettung der Menschheit im
       Privateigentum von ein paar Menschen, die auf Kosten der Öffentlichkeit
       forschen durften. Enteignet Springer? Wie wäre es mit „Enteignet Biontech“?
       
       Es wird dunkel. Die Sonne geht unter, [7][der 38. Abschiebeflug nach
       Afghanistan steigt in den Berliner Himmel]. Laptop zu, morgen ist auch noch
       ein Tag. Welcher nochmal? Wir stehen mit dem Virus auf und gehen mit ihm
       ins Bett. Und können uns nach einem Jahr Pandemie eher ein ewiges Leben mit
       der Mutante vorstellen als eine Gesellschaft, in der so ein Tag nicht die
       Normalität ist. Good Night. And good luck.
       
       10 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2021-04/daimler-corona-kurzarbeit-dividenden-kritik
 (DIR) [2] /Corona-Daemmerung-fuer-Neoliberalismus/!5669238
 (DIR) [3] /Die-Gewinner-der-Krise-muessen-helfen/!5724818
 (DIR) [4] https://www.faz.net/aktuell/politik/thema/k-frage
 (DIR) [5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/seelisches-wohlbefinden-in-der-pandemie-staerken-1885640
 (DIR) [6] https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-04/corona-impfstategie-globale-impfgerechtigkeit-impfstoffverteilung-5vor8
 (DIR) [7] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5764373
       
       ## AUTOREN
       
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