# taz.de -- Problem im Journalismus: Und nun zum Wetter
       
       > Warum gab es in dieser Woche mehr Aufmerksamkeit für das vermeintliche
       > Plagiat von Annalena Baerbock als für die Klimakatastrophe?
       
 (IMG) Bild: Erst die Hitze dann die Brände: der Ort Lytton in Kanada ist völlig zerstört
       
       Guten Tag, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur… ja, und was kommt
       jetzt? Journalist:innen müssen jeden Tag aus dem Irrsinn der Welt
       auswählen. Der Platz in den Abendnachrichten und selbst auf der Homepage
       ist begrenzt. Verrückt, sagte mein Vater früher, dass jeden Tag genau so
       viel passiert, wie in eine Zeitung passt (hat er von Karl Valentin
       plagiiert). Das ist natürlich Quatsch, beschreibt aber trotzdem unseren
       Job: Für Sie, liebe Leserinnen, auszuwählen, was wichtig genug ist, um Sie
       damit zu belästigen.
       
       Und was war diese Woche wichtig? Schauen wir uns beispielhaft die
       Tagesschau am Dienstag an: Sie berichtete zunächst über Fußball, dann über
       den Vorwurf, Annalena Baerbock hätte in ihrem Buch plagiiert. Ganz am Ende
       gab es Bilder von Überschwemmungen in Süddeutschland, und damit zum Wetter.
       
       Ähnlich im Deutschlandfunk am Freitag: Ein Grüner reagiert auf die Vorwürfe
       gegen seine Kanzlerkandidatin, als letzter Beitrag der Nachrichten dann die
       Information, dass das kanadische Dorf Lytton, das auf dem gleichen
       Breitengrad wie Mainz liegt, abgebrannt ist. In beiden Berichten fiel kein
       Wort über die Erderhitzung, als seien die Wetterextreme göttliches
       Schicksal. Es ist, als würde man über einen Brandanschlag berichten und
       kein Wort darüber verlieren, wer das Haus angesteckt haben könnte.
       
       Tagesschau und Deutschlandfunk sind keine Ausnahmen. Viele Artikel über die
       tödliche Hitze wurden mit badenden Menschen bebildert, auch in der taz.
       Looks like fun. Bis Freitagmittag erschienen auf taz.de fünf [1][Artikel
       über Baerbocks] vermeintliches Plagiat und drei über die [2][Hitze in
       Kanada].
       
       ## Sünde, herrlich!
       
       Ich will den Kollegen gar keinen Vorwurf machen: Natürlich müssen wir über
       Baerbock berichten, sie ist Kanzlerkandidatin und es geht auch um mögliche
       Desinformationskampagnen. Und es gibt Gründe für das Ungleichgewicht.
       
       Bei Baerbock greifen die eingeübten Routinen der Berichterstattung. Es gibt
       eine Neuigkeit, es gibt etwas aufzudecken. Dazu kommt menschliches
       Versagen, Sünde, herrlich. Es gibt Stimme und Gegenstimme, man kann
       problemlos die nächsten sechs Texte schreiben.
       
       Anders bei der Klimakrise. Sie erscheint immer noch als schicksalhaft. Und
       was soll man auch berichten? Es gibt keine News, weil alles seit langem
       bekannt ist. Wen soll man interviewen, das Thermometer? Wie soll man damit
       die Zeitung oder die Abendnachrichten voll kriegen?
       
       Aber die Klimakrise ist kein Schicksal. Sie wurde von Menschen gemacht und
       kann nur von Menschen besiegt werden. Das gilt auch für eine andere
       Nachricht dieser Woche, die schicksalhaft daherkommt und deshalb wenig
       Aufmerksamkeit bekam: Laut World Wealth Report ist die [3][Zahl der
       Millionäre in der Pandemie sprunghaft gestiegen].
       
       Und damit sind wir bei einem weiteren Problem des Journalismus: Das Gebot
       der Mäßigung, das Jahrzehnte lang die Berichterstattung prägte. Medien sind
       es nicht gewohnt, in angemessener Radikalität zu berichten. Sie sind in der
       liberalen Gesellschaft auf Ausgleich bedacht. Im 20. Jahrhundert hat das
       halbwegs funktioniert. Aber um angemessen über Klimakrise und Ungleichheit
       zu berichten, muss sich Journalismus verändern.
       
       Ich hätte da einen Vorschlag: Wir sollten uns bei der Bebilderung der
       Klimakatastrophe nicht mehr an Bademode, sondern an Science Fiction
       orientieren. Denn die Bilder aus Kanada sehen tatsächlich aus wie bei
       Independence Day: Menschen fliehen vor der Bedrohung in Tiefgaragen. Aber
       es landen keine Aliens auf der Erde, sondern 49 Grad Celsius. Im Film
       verbünden sich am Ende die Menschen gegen die Aliens und siegen: Mit
       Vernunft und Solidarität. Kein schlechtes Vorbild.
       
       3 Jul 2021
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
       
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