# taz.de -- Abschalten im Urlaub: Mein Sommerloch, ein See
       
       > Mailzugang gekappt, Twitter-App gelöscht: In seinem Urlaub will unser
       > Kolumnist nichts mit Politik zu tun haben. Aber das klappt nicht so
       > recht.
       
 (IMG) Bild: Füße und auch Seele einfach mal im See baumeln lassen – (fast) ganz ohne Politik
       
       Das hier ist eine Sommerlochkolumne, wenn Sie also was mit Politik und
       Klima lesen wollen, gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu lesen. Mein
       Sommerurlaub ist eine politikfreie Zone, das sollte doch wohl möglich sein.
       Oder nicht?
       
       Zu Beginn des Urlaubs habe ich den Arbeitsmailzugang und die Twitter-App
       vom Handy gelöscht, das Radio schalte ich jetzt immer aus, wenn die
       Nachrichten kommen, und wenn ich Spiegel Online öffne, halte ich mir die
       Augen zu, ich will doch bloß zum Liveticker zur zweiten Fußballbundesliga.
       
       Ich bin wie Deutschland vor der Bundestagswahl: Ich weiß, dass sich etwas
       ändern muss, radikal und besser heute als morgen, aber ich will nichts
       damit zu tun haben. Ich verschließe die Augen und komme trotzdem nicht
       darum herum.
       
       Mein Sommerloch ist ein See in Ostdeutschland, ich sitze in einer Datsche
       am Rand und halte die Füße rein. Früher hätte das Gerücht über ein Krokodil
       im See noch die Lokalzeitung und das Sommerloch gefüllt. Jetzt ist das
       Wasser für Krokodile zu warm geworden, glaube ich.
       
       ## Safety first
       
       Hier in Brandenburg geht man mit der Zeit. Wenn der märkische Sand unter
       den Füßen immer heißer und die Fichten immer trockener werden, ist Grillen
       verboten, Waldbrandstufe 4. Dann legen wir die Schweinenacken nicht mehr
       auf Holzkohle, sondern auf den Elektrogrill. Safety first. Ich glaube, das
       meint die FDP, wenn sie von technischen Lösungen für den [1][Klimawandel]
       spricht. Aber heute sollte es ja gar nicht um Politik gehen.
       
       Deswegen erzähle ich lieber von Frau Mayer, ich habe sie gestern vor
       unserer Datsche kennengelernt. Frau Mayer schiebt jeden Tag ihren Rollator
       die Straße einmal hoch und wieder runter. Muss ja, sagt sie.
       
       Seit 50 Jahren lebt sie am Rande der Siedlung. Vor der Wende verwaltete sie
       die Datschen für den [2][VEB], zu dem sie damals gehörten. Sie hatte einen
       kleinen Konsum auf dem Gelände, es gab bei ihr alles außer Strumpfhosen,
       erzählt sie stolz. Die Datschen waren sozialistisches Volkseigentum. Nach
       der Wende wurden die Datschen privatisiert, einer kaufte die Siedlung,
       immerhin keiner aus dem Westen, sagt Frau Mayer. Die Datschen sehen aus wie
       früher, die Übernachtung kostet jetzt 90 Euro. Dafür gibt es jetzt überall
       Strumpfhosen. Aber es sollte ja eigentlich gar nicht um Politik gehen.
       
       Deshalb schnell aufs Fahrrad und rüber zum Fischer. Dort gibt es
       Räucherfisch, frisch aus dem Ofen. Vorne am Wasser liegen noch die Netze,
       ein altes Boot schaukelt im Wasser, es sieht urig aus. Bis man auf den
       Preisschildern in der Auslage liest, woher der Fisch kommt: aus Chile, aus
       Dänemark, aus Aquakultur. Lokal ist hier nur der Rauch. Der alte Fischer
       findet keinen Nachfolger, und mit den Fischbrötchen für Touristen verdient
       man eh mehr und muss nicht jede Nacht rausfahren, um die letzten Fische aus
       dem See zu angeln. Aber es sollte heute ja eigentlich nicht um Politik
       gehen.
       
       Zurück in der Datschensiedlung streiten sich die alten Nachbarn um
       Parkplätze, also darum, wer sein Auto zwischen welchen Bäumen parken darf.
       Es gibt dafür eine klare Regelung, sagt der eine zum anderen. Und gegenüber
       sind die neuen Nachbarn gerade angekommen. Sie tragen Böhse-Onkelz-Shirts,
       aus ihrer Boombox schallt ein [3][Ballermannhit] über den Spielplatz: „Ich
       überleg, mit dem Saufen aufzuhören, aber ich schwanke noch, Ich schwanke
       noch.“
       
       Die Sonne geht unter, der Urlaub geht zu Ende. An den Straßenlaternen gehen
       die ersten Wahlplakate auf. Deutschland, acht Wochen vor der
       [4][Bundestagswahl]. Was wählen? Wir schwanken noch.
       
       31 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Problem-im-Journalismus/!5781996
 (DIR) [2] /Bildband-mit-Fotos-aus-DDR-Betrieben/!5783132
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=HBXUk6tEwvs
 (DIR) [4] /Schwerpunkt-Bundestagswahl-2021/!t5007549
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
       
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