# taz.de -- Ich und die Tauben auf meinem Balkon: Weg da!
       
       > Mein Balkon ein Nistplatz? Das ging nicht. Und doch hatte es auch etwas
       > Schönes, dass die Tauben bei mir ihre Jungen aufziehen wollten.
       
 (IMG) Bild: Sind gut in Sachen Paarbeziehung: Tauben, hier in der Hamburger Innenstadt
       
       Flügel schlagen. Flattern. Die Tauben sind wieder da. Ihr Gurren klingt,
       als würden sie mich auslachen. Schon so oft habe ich sie verscheucht, aber
       sie lassen nicht locker. Sie wollen auf meinen Balkon. Sie wollen ein Nest
       bauen. Unbedingt. Unter meinem Sofa.
       
       Schon im letzten Jahr flogen sie immer wieder zu mir hoch. Meine Nachbarin
       unter mir empfahl mir, „einen Raben zu kaufen“: diese schwarzen
       Plastikdinger, die so unfreundlich aussehen. Sie hörte das Gurren und
       Flattern genauso wie ich. Schließlich, auch auf Rücksicht auf sie, kaufte
       ich eine Krähe und befestigte sie auf dem Balkonsims. Die Tauben
       beeindruckte das nicht. Sie flogen einfach weiter auf meinen Balkon.
       
       Jetzt, zu Beginn dieses Frühlings, sind die Tauben wiedergekommen. Meine
       Nachbarin erzählte, sie habe beobachtet, wie eine Taube mit „Nistmaterial“
       im Schnabel zu meinem Balkon hochgeflogen sei. Ich schaute unter das Sofa.
       Tatsächlich, da lagen dünne Zweige. Die Tauben waren offensichtlich dabei,
       für ihren Nachwuchs ein Nest einzurichten. Etwas daran rührte mich. Etwas
       daran ekelte mich. Auf meinem Balkon ein Nistplatz? Das ging nicht. Ich
       wollte hier ja selbst auf dem Sofa sitzen.
       
       Ich fragte mich, wie Tauben eigentlich so etwas ausfindig machen? Warum
       flogen sie ausgerechnet zu mir? Wir fegten die Zweige unter dem Sofa
       hervor. Wir verkleideten das Sofa mit Holzplatten. Die Tauben konnten jetzt
       nicht mehr in den Spalt zwischen Boden und Sofa schlüpfen.
       
       ## Es waren dicke, dunkle Tauben
       
       Doch sie kamen wieder. In den nächsten Tagen saßen sie auf der
       Balkonbrüstung. Sie flatterten auf den Boden und setzten sich nah an die
       Bretter heran, als würden sie nicht verstehen, dass ihr Nestplatz
       verschlossen war.
       
       Es waren dunkle, dicke Tauben, die tief gurrten, deren Flügelschlagen
       scharf klang. Es störte beim Arbeiten. Wenn ich sie sah, riss ich die
       Balkontür auf und verscheuchte sie. Doch sie flogen nur behäbig fort, und
       nur dann, wenn ich hinaustrat.
       
       Als wollten sie nicht akzeptieren, dass hier kein Platz für sie war: Was
       bildeten sich die Tauben ein, dachte ich. Haben sie keinen Respekt vor mir
       und meinem Zuhause? Ob sie wohl dumm waren? Sie begriffen es einfach nicht.
       Dabei mussten sie doch bald woanders ein Nest für ihre Jungen bauen. Es
       ärgerte mich, wie sie nicht losließen, wie sie in meinen Schutzraum
       eindrangen. Ich fragte mich auch, warum sie mich so ärgerten. Lag es an
       ihrem schlechten Image als „Ratten der Lüfte“?
       
       Ich begriff, dass es gar nicht so sehr die Tauben selbst waren. Es war auch
       das, was sich durch sie in mir widerspiegelte. Als stellten sie durch ihr
       Kommen auch meine Existenz infrage. Ich dachte an Patrick Süskinds Roman
       „Die Taube“, in dem eine Taube im Hausflur die Hauptfigur zutiefst
       verunsichert. Ich versuchte mich zu beruhigen. Es waren nur Tauben. Mehr
       nicht.
       
       Dann erinnerte ich mich an einen Sitznachbar im Zug, mit dem ich ins
       Gespräch gekommen war. Er erzählte davon, wie sehr er Tauben mochte, dass
       sie meist monogam lebten und wie ihr Verhalten auf die Paarung ausgerichtet
       sei. Oft halten ihre Beziehungen ein Leben lang.
       
       Etwas ist nur unangenehm, solange man verhindert, es lieb zu gewinnen.
       Hatte es nicht auch etwas Schönes, dass die Tauben bei mir ihre Jungen
       aufziehen wollten? Warum wollte ich sie fernhalten? Wäre es nicht
       vielleicht möglich, zusammen mit ihnen in einer gemütlichen Koexistenz auf
       dem Balkon zu leben? Doch ich arbeitete weiter daran, die Tauben zu
       vertreiben. Ich rückte Möbel, versetzte die schwarze Plastikkrähe auf der
       Brüstung.
       
       Und dann, an einem Morgen, waren sie fort. Sie kamen nicht. Und auch nicht
       mehr in den Tagen danach. Kein Flügelschlagen, kein Gurren. Kein Lärm.
       
       Ich war erleichtert. Endlich waren die Tauben weg. Doch sie blieben in
       meinem Kopf. Ich musste weiter an sie denken. Vielleicht vermisste ich sie
       sogar ein wenig: Wo sie jetzt wohl waren? Ob sie einen guten Nistplatz
       gefunden hatten? Ich sah Tauben, die über den Hof flogen, in ihrem Schnabel
       dünne, lange Zweige. Sie suchten woanders ein Zuhause. Bei mir blieb es
       still.
       
       8 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christa Pfafferott
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Zwischen Menschen
 (DIR) Tauben
 (DIR) Balkon
 (DIR) Tiere
 (DIR) Zusammenleben
 (DIR) Wohnungsunternehmen Saga
 (DIR) Vogel des Jahres
 (DIR) Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Vermieter will Taubenfütterer bestrafen: Aufforderung zur Denunziation
       
       Das städtische Hamburger Wohnungsunternehmen Saga will, dass
       Mieter:innen ihre Nachbar:innen melden, wenn sie Tauben füttern.
       
 (DIR) Abschied von der Redaktionstaube: Unser Vogel des Jahres
       
       Die taz-Redaktion hat seit Anfang August Taubenbabys auf dem Balkon, eins
       wurde nun von einer Krähe verspeist. Zeit für eine Ehrenrettung der Taube.
       
 (DIR) Vogeltod durch Kollision mit Glas: Fatale Flugunfälle am BER
       
       NaturschützerInnen klagen über die vielen Vögel, die an den üppigen
       Glasfassaden des BER verenden. Die Flughafengesellschaft will nachbessern.