# taz.de -- Ein Ethnologe an Hamburgs Kunsthochschule: Irritierendes Terrain
       
       > Aus den Nuba-Bergen zurückgekehrt, wurde Fritz W. Kramer 1989
       > Theorielehrer an der HFBK – und betrieb auch dort ethnografische
       > Forschung.
       
 (IMG) Bild: Thema für die Ethnografie? Die Studierenden Lars Hinrichs und Suse Itzel bereiten eine Performance vor
       
       HAMBURG taz | „Empört“ sei sie gewesen, erinnert sich Nora Sdun in ihrer
       „Randbemerkung“: Beforscht werden? „Ich hatte nichts dagegen, in
       satirischen oder ernsten künstlerischen ‚Arbeiten‘ vorzukommen, aber bitte
       nicht in wissenschaftlichen, das fand ich demütigend.“ Sdun ist einerseits
       eine der zwei Betreiber*innen [1][des Hamburger Textem-Verlags], also
       Verlegerin des Buchs, um das es hier gehen soll. Sie spricht da aber über
       eine Zeit, in der sie selbst studiert hat an der Hamburger Kunsthochschule,
       der [2][Hochschule für bildende Künste (HFBK)] – an der Fritz W. Kramer
       zwischen 1989 und 2007 seine „Erkundungen“ unternahm, beziehungsweise:
       „Beobachtungen zu Künstlern, werdenden Künstlern und ihren Arbeiten“.
       
       „In meinem verquasten Kopf“, so Sdun, sei ihr das Unterfangen des
       Ethnologen „zugleich läppisch uninteressant und ungehörig“ erschienen:
       „Läppisch, weil eine deutsche Kunstakademie ja nun wirklich nicht
       interessant sein kann – ein Haus vollgestopft mit Leuten, die sich
       absichtlich zu Egomanen ausbilden lassen; Ungehörig, weil ich hätte gefragt
       werden wollen“.
       
       ## Frisch aus dem Feld zurück
       
       Kramer, Jahrgang 1941, hat tatsächlich an der FU Berlin Ethnologie
       unterrichtet, ehe es ihn als Lehrenden der Ästhetik, der Bildtheorie und
       der visuellen Anthropologie an [3][die HFBK] verschlug. So erwähnt er
       zurückliegende Feldforschungen – Kramer betrieb solche etwa im Hochland von
       Neuguinea, in Jejuri, Indien, am Tanafluss, Kenia; die direkteste
       Bezugsgröße zur teilhabenden Beobachtung am Hamburger Lerchenfeld nun
       liefert ein Aufenthalt in den südlichen Nuba-Bergen, Sudan: Von dort war er
       nur Wochen zuvor zurückgekehrt, hatte 1987/88 auch die Anfänge der
       gewaltsamen Konversion der Menschen dort zum Islam mitbekommen.
       
       „Ethnografie, wie ich sie verstehe, ist eine Momentaufnahme“, schreibt er
       ziemlich zu Beginn. So eine Ethnografie nehme keine „Epoche in den Blick“,
       vielmehr „eine sinnlich – analog – erfahrbare Gemeinschaft“, „am besten
       eine „Face to face group“, in der jede und jeder beinahe alle anderen
       kennt“.
       
       Nun haben – anders als auf Forschungsreisen in ach so exotische
       Weltgegenden – an einer hiesigen Hochschule der Forschende, das Erforschte
       und das Publikum für solche Forschung „die meisten Bereiche“ des sozialen
       Lebens gemein: Sie sind einander nahe, bilden Schnittmengen.
       
       „Statt einer Ethnografie kann es so nur zu ethnografischen Bemerkungen zu
       sonst irritierenden Phänomenen kommen“, so Kramer – und da komme dem
       Forscher so etwas wie eine eben erst beendete Abwesenheit zupass: „Was für
       selbstverständlich gehalten wird, nicht nur im Milieu, sondern auch in der
       Gesellschaft im Allgemeinen, wird ihm zum Rätsel, das sein Verständnis
       seltsam hemmt. Er wirkt, mit anderen Worten, begriffsstutzig.“
       
       ## Leichtigkeit – und Pathos
       
       Verglichen mit der eben erst verlassenen Krisen-, ja: Kriegsregion ist dann
       einerseits von „spielerischer Leichtigkeit“, was er an der Hochschule
       antrifft, all das Ausstellen, Verhüllen, Hausstaub-Dokumentieren oder das
       Den-längsten- überdachten-Weg-in-irgendwessen-Heimatstadt-Erforschen; aber
       dann fällt ihm auch wieder ein merkwürdiges Pathos auf: Es sind gerade
       nicht die in Lehmhütten lebenden Menschen in den Nuba-Bergen, die glauben,
       per Baumaterial große Menschheitsprobleme lösen zu können – mit solchen
       Hoffnungen trägt sich vielmehr der Hamburger Architekturstudent.
       
       Die Rolle der Künstler:innen und deren Verhältnis zu Vorbildern
       beleuchtet Kramer so, die Kontrastfolie eines ja selbst ausprobierten, ganz
       anderen Lebens immer hilfreich zur Hand; ebenso etwa die Funktion auch von
       Schmutzigem, Gefährlichem, anderweitig Verbotenem: Mal stößt er auf
       Ähnliches, auf Parallelen; dann wieder sind es doch eher Unterschiede, die
       er herausarbeitet.
       
       Interessant – und vielleicht aus den Köpfen auch mancher Beteiligter wieder
       verschwunden: Seine „Übersetzungsversuche“ und „weit ausgreifenden
       Vergleiche“, schreibt Kramer, hätten damals, also in den 1990er-Jahren, „im
       Trend“ gelegen – bloß in genau umgekehrter Richtung: „Im letzten Drittel
       des Jahrhunderts suchte eine Vielzahl junger Künstler selbst das
       ethnografische Feld auf“, man sei also in die Ferne gereist, um „zu
       beobachten und zu sammeln und diese Erfahrungen in Fotografie und Film,
       Performance und Installation zu verarbeiten“.
       
       ## Romantischer Blick aufs Fremde
       
       Heute, so ist anzunehmen, würde sich die damalige Unbekümmertheit – auch:
       die Ursprünglichkeits-Romantik der Reisenden aus dem globalen Norden, ihr
       Ekel gegenüber dem „Konsumismus der Popkultur“ – wohl einer ganz anderen
       (Selbst-)Kritik gegenüber sehen: Kulturelle Aneignung scheint in den
       1990ern noch niemand als Problematisches angesehen zu haben. Immerhin
       erkennt Sdun an ihrem Reflex gegen das Erforschtwerden, dass da auch etwas
       Rassistisches im Spiel gewesen sei; die Empörung also auch darin wurzelte,
       dass man schließlich nicht „eine von denen“ sei oder sein wolle.
       
       „Unter Künstlern“ ist erschienen als dritter Band der „Campo“-Reihe des
       Verlags: Eine Reihe „zu Kunst und Ethnografie“ ist es erklärtermaßen, die
       sich „Spiegelungen und Übersetzungsproblemen“ widme, „in den Medien,
       zwischen Wissenschaft und Kunst, quer durch die Weltgegenden und wieder
       zurück“.
       
       Aufs Reden über werdende Kunst und jene, die sie produzieren, schließt sich
       bei Kramer ein umfangreicher Bildteil an: Arbeiten von HFBK-Künstler:innen,
       „die wie in der Ethnografie eine Grenze überschreiten“.
       
       2 May 2021
       
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