# taz.de -- Umgestaltung des Alexanderplatzes: Kein Werk der SED
       
       > Aufhalten möchte sich am Berliner Alexanderplatz kaum jemand. Nun soll
       > der südliche Teil umgestaltet und Besucher:innen-freundlicher werden.
       
 (IMG) Bild: Blick vom sozialistischen Wahrzeichen, dem Fernsehturm, zum rekonstruierten Stadtschloss
       
       Ost gegen West, Sozialismus gegen Kapitalismus – dieser Dualismus
       manifestiert sich an wenigen Orten in Berlin so sehr wie am Alexanderplatz.
       Über die Stadtraumgestaltung wurde seit der Wende hier heftig gestritten.
       
       Wirklich etwas getan hat sich eigentlich vor allem in der Nordhälfte:
       Während man hier [1][von Konsumhölle zu Konsumhölle ziehen kann],
       begegneten einem im Freiraum südlich des Fernsehturms vor allem pfeifender
       Wind und eine nie enden wollende U-Bahn-Baustelle.
       
       Franz Biberkopf hat den Platz schon 1929 ganz ähnlich erlebt: „Am
       Alexanderplatz reißen sie den Damm auf für die Untergrundbahn. Man geht auf
       Brettern“, heißt es in [2][Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“]. 2021
       ist die Baustelle endlich Geschichte und der Freiraum soll wieder nutzbar
       werden.
       
       Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat dazu einen
       freiraumplanerischen Wettbewerb ausgerufen. 54 Vorschläge sind in der knapp
       zweimonatigen Frist eingereicht worden. Nachdem der Wettbewerb aufgrund der
       Coronapandemie immer wieder verschoben worden ist, soll es nun schnell
       gehen. Voraussichtlich im August sollen die Entwürfe der Öffentlichkeit
       vorgestellt werden.
       
       ## Altstadt-Rekonstruktion vs. Neugestaltung
       
       Ideen, wie der Platz zu nutzen wäre, gab es schon viele. Empörung rief 2009
       der Vorschlag hervor, angelehnt an einen Entwurf von 1959 die Spree bis zum
       Fernsehturm heranzuführen und so den gesamten Platz zwischen Rotem Rathaus
       und Marx-Engels-Forum zu fluten.
       
       Konkret streiten sich bei den Plänen Verfechter:innen einer
       Altstadt-Rekonstruktion mit denen, die den Platz in seiner Gesamtheit
       erhalten wollen, erklärt Garten- und Landschaftsarchitekt Stephan Strauss.
       Strauss ist Mitglied der Hermann Henselmann Stiftung, die sich für die
       Umgestaltung des Freiraums einsetzt und zu einem Rundgang auf den
       Alexanderplatz eingeladen hat.
       
       Mit dem Neubau des Berliner Schlosses seien die Fans einer
       Altstadt-Rekonstruktion ihrem Ziel schon nähergekommen, nun könnten auch
       auf der gegenüberliegenden Spreeseite [3][historische Bauten rekonstruiert
       werden.] An die DDR-Vergangenheit würde so wohl nur noch der Fernsehturm
       erinnern.
       
       So vorzugehen entspräche jedoch der gleichen ideologisch motivierten
       Geschichtstilgung, die Walter Ulbricht mit dem Bau des Palastes der
       Republik am Standort des abgerissenen Berliner Schlosses vorgenommen habe,
       sagt Strauss. Auf dem Alexanderplatz kommen alle Zeitschienen der
       Stadtgeschichte zusammen: Hier treffen die mittelalterliche St.
       Marienkirche auf sozialistischen Plattenbau, während im Hintergrund der
       Berliner Dom im Stil des Neobarock protzt.
       
       ## Kein SED-Einfluss, sondern Nachkriegsmoderne
       
       Was manche vielleicht als ein Gebilde aus Fremdkörpern empfinden, sei
       eigentlich ein einzigartiges Beispiel der Baukunst. In einem beinahe
       surrealistischen Verhältnis stünden die Relikte zueinander, schreibt
       Architekturhistoriker Kurt W. Forster in seinem Beitrag im neuen, von der
       Hermann Henselmann Stiftung herausgegebenen Journal Stadt Forum Mitte, das
       anlässlich des Wettbewerbs veröffentlicht wurde.
       
       Ohnehin: Wer den Alexanderplatz nur als architektonischen Ausdruck der
       sozialistischen Staatsmacht verstanden wissen will, täuscht sich. Während
       die Karl-Marx-Allee, damals noch als Stalinallee, zweifellos als
       Prachtstraße geplant war, sind die Bauten rund um den Fernsehturm kein
       typisches SED-Werk.
       
       Die vier Architekten, die den Alexanderplatz maßgeblich gestalteten,
       begeisterten sich für die internationale, ja, westliche Nachkriegsmoderne,
       sagt Bauhistoriker Matthias Grünzig und deutet auf die den Platz säumenden
       Wohnhäuser. „Sie schwärmten für die Planstadt Brasília und ließen sich von
       Le Corbusier inspirieren.“ Den Alexanderplatz als Freiraum zu gestalten,
       sei bei den DDR-Politiker:innen auf wenig Gegenliebe gestoßen.
       
       „Geplant war eine Bebauung, es gab ja einen großen Mangel an Büroräumen“,
       sagt Grünzig. Nur mit Tricks und falschen Zahlen hätten die Architekten,
       darunter auch der Stiftungsnamensgeber Henselmann, die SED-Führung von
       ihren Plänen überzeugen können. Einzig der Fernsehturm, der mitten in die
       Einflugschneise des Westberliner Flughafens Tempelhof gebaut wurde, stellte
       eine Provokation gegenüber dem Westen dar – und dieses Wahrzeichen
       abzureißen, schlägt heute ja niemand ernstlich vor.
       
       ## Zukunft für Grünflächen, Café und Kultur
       
       Was sich stattdessen auf dem Alexanderplatz tun soll, ist vor allem eine
       Aufwertung der Grünräume. Das fordert die Hermann Henselmann Stiftung
       ebenso wie die Initiative Offene Mitte Berlin. Mehr Bäume und Pflanzen
       sollen im Sommer kühlen und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, der
       Autoverkehr sollte weitgehend herausgenommen werden. Initiative wie
       Stiftung sprechen sich zudem gegen eine weitere Privatisierung auf dem
       Platz aus.
       
       Von einer besucherfreundlichen Nutzung kann man beim Fernsehturm nämlich
       wahrlich nicht sprechen. Wer von oben auf die Stadt blicken will, kann für
       knapp 20 Euro in das sich drehende Turmcafé hinauffahren. Unten, am Fuß des
       Turms, bleibt die Wahl zwischen einem Starbucks oder [4][dem Körperwelten
       Museum]. Marx hätte für die Situation deutliche Worte gefunden, meint
       Architekturhistorikerin Simone Hain und nickt in Richtung des
       Marx-Engels-Forums.
       
       Nach dem Willen der Hermann Henselmann Stiftung soll daraus ein richtiger
       Park werden, mit einem Café, Lesehallen oder kleinen Ausstellungsräumen
       vielleicht. Vor allem freue man sich aber jetzt, dass endlich etwas auf dem
       Platz passieren soll, sagt Hain. „Bürgerbeteiligungsprozesse haben gezeigt,
       dass sich die Berliner:innen für den Platz und auch für den Freiraum
       sehr interessieren.“
       
       10 May 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Hubernagel
       
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