# taz.de -- Erntehilfe ohne Sozialversicherung: DGB macht Druck
       
       > Dass viele Saisonkräfte legal ohne gesetzliche Krankenversicherung
       > arbeiten können, geht nicht an, findet Rentenversicherungsvorständin Anja
       > Piel.
       
 (IMG) Bild: Hoffentlich sozialversichert: Erntehelferin bei der Erdbeerernte in Dormagen
       
       BERLIN taz | Die Bundesvorstandsvorsitzende der Deutschen
       Rentenversicherung, Anja Piel, will gegen die [1][mutmaßliche Umgehung der
       Sozialversicherungspflicht bei osteuropäischen ErntehelferInnen] vorgehen.
       Das teilte Piel, die auch Vorstandsmitglied des Deutschen
       Gewerkschaftsbunds (DGB) ist, als Reaktion auf einen Bericht von [2][taz.de
       am 28.] [3][Mai] mit. Die taz hatte aufgezeigt, dass die Rentenversicherung
       Saisonarbeit, beispielsweise von Hausmännern, automatisch als nicht
       berufsmäßig und damit sozialversicherungsfrei einstuft.
       
       „Dieser Sachverhalt ist in den zuständigen Gremien neu zu diskutieren und
       zu prüfen“, so Piel. „Insbesondere bei der Saisonarbeit wird wegen des
       Lohngefälles zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern sowie
       Drittstaaten die Kategorie Hausfrau/Hausmann offenbar als Schlupfloch
       genutzt, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen.“ Der DGB werde „die
       Frage der Berufsmäßigkeit auf die Tagesordnung bei der Deutschen
       Rentenversicherung setzen“. Piel ist eine der ArbeitnehmervertreterInnen im
       ehrenamtlichen Bundesvorstand der Rentenversicherung.
       
       Zahlreiche Erntehelfer seien stark von der nicht versicherten Arbeit in
       Deutschland abhängig, weil sie etwa in Rumänien viel weniger verdienten,
       hatte die taz Gewerkschafter und Berater von Wanderarbeitern zitiert. Wenn
       Tätigkeiten für die Betroffenen so wichtig sind, müssen sie laut
       Bundessozialgericht als berufsmäßig gelten. Nach dem Sozialgesetzbuch sind
       sie deshalb versicherungspflichtig. Trotzdem arbeiten etwa als Hausfrauen
       registrierte Arbeiterinnen ohne Versicherung – die
       Sozialversicherungsträger sehen ihre Tätigkeit gemäß einer Vereinbarung von
       1998 pauschal als nicht berufsmäßig an.
       
       Da auch berufsmäßige Erntehelfer immer wieder ohne Versicherung
       arbeiteten, spricht die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG
       BAU) von „Betrug und Missbrauch“. Diese führten dazu, dass die
       ArbeitnehmerInnen, [4][beispielsweise bei einer Corona-Erkrankung,]
       mitunter die Behandlung selbst bezahlen müssten. Dabei bekommen sie meist
       nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro die Stunde – oft minus
       Abzüge für Unterkunft und Verpflegung. Die ArbeitnehmerInnen erwerben auch
       keine Rentenansprüche. Zudem gehen der deutschen Sozialversicherung
       Beiträge verloren.
       
       ## Ominöse Vereinbarung
       
       60 Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen
       Aushilfskräfte in der Landwirtschaft hatten laut Bundesagentur für Arbeit
       ein „kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis“ ohne Sozialversicherung – so
       viel wie in keiner anderen Branche.
       
       Die Deutsche Rentenversicherung teilte nach Erscheinen des taz-Artikels
       mit, es existiere keine Vereinbarung der Sozialversicherungsträger von
       1998, wonach „auf die Prüfung der Berufsmäßigkeit bei ausländischen
       Saisonarbeitskräften (pauschal) verzichtet werden kann“. Vielmehr seien
       Fragebögen entwickelt worden, mit denen die Beschäftigung richtig beurteilt
       werden können soll. „Sofern Arbeitskräfte angeben, Hausmann oder Hausfrau
       zu sein, ist in den Formblättern seit einiger Zeit zusätzlich zu erklären,
       wovon sie im Heimatland ihren Lebensunterhalt bestreiten.“
       
       Die Rentenversicherung kontrolliere bei ihren turnusmäßigen
       Betriebsprüfungen stichprobenartig, ob eine kurzfristige Beschäftigung
       berufsmäßig ausgeübt wurde. „Die Unterstellung, viele Erntehelfer aus
       Osteuropa seien illegalerweise nicht sozialversichert und die
       Sozialversicherungsträger tolerierten diesen Gesetzesverstoß, trifft nicht
       zu“, so die Pressestelle der Institution.
       
       ## Frage der Berufsmäßigkeit
       
       Allerdings haben die Sozialversicherer in ihrer Vereinbarung zwar nicht für
       alle kurzfristig Beschäftigten, aber für bestimmte Gruppen festgelegt:
       „Keine Berufsmäßigkeit liegt insbesondere bei Beschäftigungen von Schülern,
       Studenten, Hausfrauen, Selbstständigen oder während eines bezahlten
       Erholungsurlaubs vor.“ Diese gelte „unabhängig von den wirtschaftlichen
       Verhältnissen im jeweiligen Heimatland“, heißt es in dem Dokument.
       
       Der Fragebogen soll laut Vereinbarung ausdrücklich sicherstellen, dass „zu
       einem späteren Zeitpunkt (z. B. im Rahmen von Betriebsprüfungen)
       grundsätzlich keine erneuten Ermittlungen anzustellen sind“. Die
       Rentenversicherung hatte der taz auch mitgeteilt: „Nur bei begründeten
       Zweifeln sind die im bundeseinheitlichen Fragebogen gemachten Angaben zu
       hinterfragen. […] Weitergehende Ermittlungen sind in der Regel nicht
       möglich bzw. auch nicht zielführend.“
       
       Die Frage sei, wie oft im Schnitt bei jedem Betrieb das Kriterium
       Berufsmäßigkeit überprüft wird, sagte Fritz Heil, Leiter der Abteilung
       Internationales der IG BAU. „Das können zwei, aber auch 10.000 von 100.000
       sein. Uns ist kein einziger Fall bekannt, wo im Nachhinein der Status eines
       Beschäftigten neu beurteilt wurde.“ Bei der Rentenversicherung hieß es, sie
       führe dazu keine Statistiken.
       
       Skeptisch ist Gewerkschafter Heil bei der Frage, wie aussagekräftig Angaben
       der Betroffenen zu ihrem Lebensunterhalt auf dem Fragebogen sind: „Wenn man
       weiß, dass sowieso nicht kontrolliert wird, dann sind solche Angaben quasi
       wertlos.“
       
       9 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Auslaendische-Erntehelfer/!5773689
 (DIR) [2] /Auslaendische-Erntehelfer/!5773689
 (DIR) [3] /Auslaendische-Erntehelfer/!5773689
 (DIR) [4] /Nach-Corona-Ausbruch-auf-Spargelhof/!5766037
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Ernte
 (DIR) Saisonarbeitskräfte
 (DIR) Erntehelfer
 (DIR) Erntehelfer
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Erntehelfer
 (DIR) Erntehelfer
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Kolumne Sie zahlt
 (DIR) Erntehelfer
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Corona-Ausbruch auf Erntefeld: Sie muss nicht zahlen
       
       78.000 Euro sollte eine ukrainische Erntehelferin ohne Versicherung für
       ihre Coronabehandlung zahlen. Nun erlässt ihr die Krankenkasse die
       Rechnung.
       
 (DIR) Widerstand gegen höheren Mindestlohn: Angst vor teurem Spargel
       
       Auch wenn Bauern 12 Euro Mindestlohn zahlten, gäbe es Gemüse und Obst aus
       Deutschland, sagen Gewerkschafter. Der Bauernverband sieht das anders.
       
 (DIR) Lohndumping und Erntearbeit: Vier Euro Akkordlohn
       
       Ausländische Saisonarbeiter:innen ernten hierzulande unter
       schwierigen Bedingungen. Nun ist ein neuer Jahresbericht erschienen.
       
 (DIR) Ausbeutung von Erntehelfer*innen: Gericht als letzter Ausweg
       
       Georgische Saisonarbeitskräfte sind in Deutschland um ihren Lohn betrogen
       worden. Jetzt klagen sie – in Deutschland, aber auch in der Heimat.
       
 (DIR) Erntehelfer in Bayern ausgebeutet: Amtsgericht verurteilt Landwirt
       
       Ein Gurkenerzeuger in Bayern hat den Krankenkassen hohe Zahlungen für
       ErntehelferInnen vorenthalten. Das Amtsgericht Landshut verurteilte ihn
       nun.
       
 (DIR) Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Impfung nur für vorerkrankte Kinder
       
       Die Ständige Impkommission empfiehlt das Biontech-Vakzin nur in
       Ausnahmefällen für Kinder. Jens Spahn verkündet den Start des digitalen
       europäischen Impfpass.
       
 (DIR) Arbeitsbedingungen auf dem Feld: Auch Frauen ernten Erdbeeren
       
       Immer mehr wird in Deutschland über die Arbeitsbedingungen von
       Erntehelfer:innen gesprochen. Gut so. Doch Frauen bleiben dabei meist
       unsichtbar.
       
 (DIR) Georgischer Erntehelfer flieht: Pflücken wie die Weltmeister
       
       Zum ersten Mal arbeiten Saisonarbeiter*innen aus Georgien auf
       deutschen Feldern. Doch es gibt Protest gegen die Arbeitsbedingungen.
       
 (DIR) Erster großer Ausbruch der Saison: 87 Coronafälle auf Spargelhof
       
       Die Behörden haben Hinweise auf Verstöße gegen Infektionsschutzregeln in
       dem Betrieb. Die Grünen fordern, alle Erntehelfer:innen zu impfen.