# taz.de -- Erntehelfer in Bayern ausgebeutet: Amtsgericht verurteilt Landwirt
       
       > Ein Gurkenerzeuger in Bayern hat den Krankenkassen hohe Zahlungen für
       > ErntehelferInnen vorenthalten. Das Amtsgericht Landshut verurteilte ihn
       > nun.
       
 (IMG) Bild: Knochenarbeit: Erntehelfer bei der Gurkenernte (Symbolfoto)
       
       BERLIN taz | Ein bayerischer Großbauer ist zu einer Freiheitsstrafe
       verurteilt worden, weil er Sozialbeiträge für [1][ErntehelferInnen]
       hinterzogen hat. Wie erst jetzt bekannt wurde, verhängte das Amtsgericht
       Landshut im Februar eine Strafe von 1 Jahr und 10 Monaten auf Bewährung
       gegen den Inhaber des Betriebs. Er habe Arbeitsentgelt vorenthalten und
       veruntreut. Der Mann habe 2016 in 34 Fällen versäumt, insgesamt rund
       240.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, heißt es in dem bereits
       rechtskräftigen Urteil, das der taz vorliegt.
       
       Der Landwirt habe die Arbeiter als „kurzfristig Beschäftigte“ und damit als
       sozialversicherungsfrei angemeldet. „Tatsächlich übten Arbeitnehmer jedoch,
       wie vom Angeklagten von vornherein billigend in Kauf genommen, die
       Beschäftigung berufsmäßig aus, da sie in ihrem Heimatland keine weiteren
       Einkünfte erzielten“, so das Gericht. Deshalb seien Beiträge zur
       Sozialversicherung fällig gewesen. Das Urteil stützt sich auf ein
       Geständnis des Angeklagten sowie schriftliche Beweisstücke.
       
       Der Betrug der Sozialkassen hatte System in dem Betrieb, der laut
       Urteilsbegründung mithilfe von jährlich 800 fast ausschließlich rumänischen
       und polnischen Saisonarbeitskräften vor allem Gurken für Gemüsekonserven
       produziert: „Bereits in den Vorjahren 2012 bis 2015 kam es zu unterlassenen
       Meldungen und Zahlungen an die Sozialkassen“, schreibt das Gericht. Für
       diese Fälle habe der Landwirt 640.000 Euro Beiträge nachträglich und 50.000
       Euro Geldstrafe gezahlt.
       
       Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beklagt seit Langem,
       die [2][Ausnahmen von der Sozialversicherungspflicht] für die „kurzfristige
       Beschäftigung“ würden missbraucht. Die zuständige Deutsche
       Rentenversicherung prüfe nicht genug, ob die vorgeschriebenen Bedingungen
       erfüllt würden. Deshalb hätten Erntehelfer mitunter keine gesetzliche
       Krankenversicherung und müssten etwa bei einer Corona-Erkrankung die
       Behandlung selbst bezahlen.
       
       ## Keine Rentenansprüche für ArbeitnehmerInnen
       
       Die ArbeitnehmerInnen erwerben auch keine Rentenansprüche. Dabei bekommen
       sie meist nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,60 Euro die Stunde – oft
       gibt es noch Abzüge für Unterkunft und Verpflegung. Zudem gehen der
       deutschen Sozialversicherung Beiträge verloren.
       
       60 Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen
       Aushilfskräfte in der Landwirtschaft hatten laut Bundesagentur für Arbeit
       ein „kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis“ ohne Sozialversicherung – so
       viel wie in keiner anderen Branche.
       
       „Es ist gut, dass die Behörden in diesem besonders krassen Fall das
       Sozialversicherungsrecht durchgesetzt haben“, sagte Harald Schaum,
       Vizevorsitzender der IG BAU, der taz. „Aber in der Breite geht die
       Rentenversicherung immer noch zu lasch gegen Verstöße vor.“ Schaum
       forderte, dass der Gesetzgeber die Ausnahmen von der
       Sozialversicherungspflicht streicht. „Solange Ausnahmen möglich sind, muss
       die Rentenversicherung konsequenter überprüfen, ob kurzfristige
       Beschäftigte die Tätigkeit verbotenerweise berufsmäßig ausüben“, so Schaum.
       
       Eine Geldauflage zahlen musste der bayerische Landwirt laut
       Staatsanwaltschaft Landshut auch, weil er 2020 zwei Gewerkschafter
       beleidigte. Sie hatten den Hof besucht, nachdem ihm mehrere
       [3][ErntehelferInnen Ausbeutung vorgeworfen] hatten. „Faire Mobilität“, die
       Beratungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) für osteuropäische
       ArbeitnehmerInnen, kritisierte damals, der Landwirt habe weniger als denn
       gesetzlichen Mindestlohn gezahlt und ArbeiterInnen ihre
       Personalausweise vorenthalten. Diese Kritik wies der Landwirt zurück.
       
       ## 250 ErntehelferInnen infizierten sich mit Corona
       
       Ein Ermittlungsverfahren zu den Ausbeutungsvorwürfen stellte die
       Staatsanwaltschaft Landshut im Dezember 2020 ohne Anklage ein. So endeten
       auch die Ermittlungen wegen des Todes einer ukrainisch-ungarischen
       Erntehelferin des Betriebs im Jahr 2018. Zwei InsiderInnen des Hofs in
       Niederbayern warfen dem Landwirt in der taz vor, der Frau zu spät geholfen
       zu haben, nachdem sie einen Herzinfarkt hatte.
       
       Die ErmittlerInnen befragten [4][laut dem bayerischen Justizministerium
       nur Vorgesetzte der Frau], keine einfachen KollegInnen, obwohl die
       Vorgesetzten ein Interesse daran haben könnten, eine eventuell unterlassene
       Hilfeleistung für die Frau zu kaschieren. Auf dem Großbetrieb, der primär
       Gurken produziert, infizierten sich Ende Juli 2020 etwa 250
       ErntehelferInnen mit dem Coronavirus.
       
       „Es ist schlicht unfassbar, wie dieser rücksichtslose Großbauer seine
       MitarbeiterInnen benachteiligen und ausbeuten konnte“, teilte der
       Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD in Bayern, Florian von Brunn, der
       taz mit. „Es braucht deutlich mehr und schärfere Kontrollen. Gerade solchen
       Betrieben muss viel stärker auf die Finger geschaut werden!“
       
       14 Jul 2021
       
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