# taz.de -- Sendung „Plötzlich arm, plötzlich reich“: Menschen mit Würde
       
       > Der Sender Sat.1 setzt nach Kritik ein Format über arme Menschen ab. Die
       > Macher scheinen über sich selbst erschrocken zu sein.
       
 (IMG) Bild: Ikke Hüftgold erhebt schwere Vorwürfe gegen Sat.1
       
       Eine 33-jährige Frau und ihre zwei Kinder sitzen in Berlin-Marzahn am
       Küchentisch und essen Nudeln mit Tomatensauce. Eine Stimme aus dem Off
       erzählt, dass die Frau zwar als Tierarzthelferin arbeite, dass das Geld
       aber trotzdem nicht reiche, weil ihr Exfreund sie ausgenommen habe. Selbst
       bei Weihnachtsgeschenken würde sie immer das Billigste vom Billigsten
       nehmen, erzählt die Frau. Es wird Spielzeug aus dem Kinderzimmer
       eingeblendet, das billig aussehen soll.
       
       Drei Frauen in leuchtend weißen Kleidern trinken vor einem Pool einen
       Drink. Auch hier handelt es sich um eine Mutter mit ihren zwei Kindern. Der
       Pool ist ihr Eigentum. Sie leben in Monaco und geben wöchentlich 3.700 Euro
       für das Alltägliche aus. Das Alltägliche: Essen, Kleidung, Freizeit,
       Personal und Privatschulkosten. Jetzt spielen sie ein Spiel und tauschen
       mit der Familie aus Marzahn.
       
       Das Mädchen aus Marzahn schreit auf vor Freude, als es den Pool in Monaco
       entdeckt. Die Frauen aus Monaco grinsen beim Zählen ihres neuen
       Wochenbudgets in Marzahn. Dann fassen sie sich in bemühter
       Fassungslosigkeit ins Gesicht, als sie auf 80 Euro pro Woche kommen.
       
       Die Aufnahmen, die [1][die Klassengesellschaft] zugespitzt auf den Punkt
       bringen, könnten aus einem Werbevideo für Klassenkampf sein. Aber sie sind
       aus einer Folge der Sat.1-Sendung “Plötzlich arm, plötzlich reich“. Arme
       Menschen schlüpfen hier in die Rolle von reichen Menschen und reiche
       Menschen in die von armen. Die Sendung ist eine von vielen deutschen
       Reality-TV-Formaten, die Unterhaltung aus Armut machen.
       
       ## Überraschung!
       
       „Plötzlich arm, plötzlich reich“ wurde jetzt aber abgesetzt. Nicht weil der
       Privatsender nun auch auf politisch und seriös machen will wie Prosieben,
       sondern weil ein Schlagersänger, der am Format teilnehmen sollte,
       ausgepackt hat: In [2][einem Instagram-Post] hat Ikke Hüftgold den Machern
       der Sendung vergangene Woche [3][„gewissenlose Quotenjagd“] vorgeworfen,
       dabei von erschütternden Zuständen in der Wohnung der Familie erzählt, mit
       der er die Rollen tauschen sollte: „Das Kindeswohl von zwei schwer
       traumatisierten Kindern wurde von den verantwortlichen Medienanstalten mit
       Füßen getreten“.
       
       Sat.1 gesteht nun Fehler ein. Die Aufbereitung der Dreharbeiten für diese
       Folge laufe noch, heißt es in [4][einer Erklärung]. Und: „Doch damit ist es
       nicht getan.“ Man sei auch „zu dem Schluss gekommen, dass diese Sendung
       nicht mehr zu Sat.1 passt“, weshalb es keine neuen Folgen mehr geben werde.
       
       „Plötzlich arm, plötzlich reich“ passt also plötzlich nicht mehr zum
       Sender, weil jetzt mal ein halbwegs Prominenter die Sendung ethisch und
       moralisch infrage gestellt hat. Man fragt sich, wie es bisher in das
       Konzept des Senders passen konnte, und wie andere, ähnliche Sendungen in
       das Konzept anderer Sender passen.
       
       Es ist ein bisschen so, als hätte hier nun einmal jemand darauf
       hingewiesen, dass die Gefilmten in diesen Sendungen Menschen mit Würde
       sind. Und es ist ein bisschen so, dass die Macher der Sendung von diesem
       Umstand so überrascht und überfordert wurden, dass sie eine Sendung, die
       bisher offenbar gut zum Sender gepasst hat, abgesetzt haben. Fast scheint
       es so, als seien die Macher der Sendung auf einmal über sich selbst
       erschrocken.
       
       Aber sich nun allein am Sender abzuarbeiten, wäre zu einfach. Und die
       bildungsbürgerliche Kritik von Trash TV ist auch nur ein Weg der
       Selbstvergewisserung. Es gäbe diese Sendungen nicht, wenn sie nicht
       geschaut würden. Eigentlich müsste der Vorfall Anlass geben, eine
       grundsätzliche Debatte über diese Formate zu führen. Warum machen wir das,
       [5][warum schauen wir uns das an?] Man würde sich in gesellschaftliche
       Abgründe begeben. Vielleicht etwas grundsätzlich verstehen. Etwas
       grundsätzlich verändern.
       
       Viel wahrscheinlicher ist aber, dass jemandem nach der kurzen Empörung
       schnell eine neue Idee für eine Armutssendung einfällt, die gut zum
       Programm eines deutschen Privatsenders passt.
       
       4 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schule-in-Coronazeiten/!5739297
 (DIR) [2] https://www.instagram.com/tv/CPP_5amAGnl/?utm_medium=copy_link
 (DIR) [3] https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_90091016/ikke-hueftgold-geht-juristisch-gegen-sat-1-vor-missbrauchte-kinder-fuer-quote-.html
 (DIR) [4] https://www.sat1.de/tv/ploetzlich-arm-ploetzlich-reich
 (DIR) [5] /Faszinosum-Reality-TV/!5722874
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Postprolet
 (DIR) Schwerpunkt Armut
 (DIR) Privatsender
 (DIR) Reality-Show
 (DIR) GNS
 (DIR) Kolumne Postprolet
 (DIR) Kolumne Postprolet
 (DIR) Wien
 (DIR) Kolumne Postprolet
 (DIR) Fernsehen
 (DIR) Trash
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Das Aufsteigerparadox: Wenn Urlaub einfach Urlaub wäre
       
       Für viele bedeutet Urlaub einfach Entspannung. Für den Aufsteiger ist es
       die Zeit, in der er schonungslos mit seinen Widersprüchen konfrontiert
       wird.
       
 (DIR) Soziale Fragen und grüne Klimapolitik: Das ist also richtiger Urlaub
       
       Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die Welt zu retten? Und sich
       dabei moralisch über Mallorca-Pauschalurlauber zu erheben?
       
 (DIR) Wien nicht mehr lebenswerteste Stadt: Oida, wos is mid eich!?
       
       Wien ist laut einem Ranking nicht mehr die lebenswerteste Stadt der Welt,
       fällt sogar aus den Top Ten. Wie konnte das passieren?
       
 (DIR) Sozialer Aufstieg: Der Preis ist Einsamkeit
       
       Aufstiegsgeschichten sind beliebt. Doch wer aufsteigt, gewinnt nicht nur,
       sondern verliert auch viel. Die Entfremdung von den eigenen Leuten
       schmerzt.
       
 (DIR) Faszinosum Reality-TV: Mehr als nur Abschalten
       
       Warum gucken Menschen sogenannte Trash-Formate? Um eigene Kränkungen und
       die Zumutungen des Lebens kurz zu vergessen.
       
 (DIR) Buch über Trash-Fernsehen: Hinter der Schattenwand
       
       Unterhaltsam, aber nicht sehr tiefgehend: Anja Rützel hat über
       Schundfernsehen und dessen Rezeptionswandel geschrieben.