# taz.de -- Landschaftsarchitektin über Versiegelung: „Städte als Nationalparks“
       
       > Die Landschaftsarchitektin Antje Stokman findet, dass sich das Bauen und
       > die Flächenschonung vereinbaren lassen, sofern man intelligent vorgeht.
       
 (IMG) Bild: Soll eine grüne Oase werden: Modell des Feldstraßenbunkers in Hamburg
       
       taz: Frau Stokman, muss man den Bau von Einfamilienhäusern verbieten, wenn
       man dem [1][Flächenfraß Einhalt gebieten] will? 
       
       Antje Stokman: Grundsätzlich ist die Frage, was man überhaupt mit
       Einfamilienhäusern meint. Es gibt ja ganz unterschiedliche Typologien und
       es geht eher um die Frage: Wie kann man flächensparend bauen und trotzdem
       den Wunsch nach einem eigenen Garten, nach Freiraum, einem eigenen Eingang
       und baulichen Gestaltungsmöglichkeiten erfüllen?
       
       Aber wir dürften doch über kurz oder lang gar nichts mehr zubauen, wenn der
       Flächenverbrauch bis 2050 auf null heruntergefahren werden soll, wie es der
       [2][Klimaschutzplan der Bundesregierung] vorsieht. 
       
       Deshalb muss es darum gehen, Flächen innerhalb der Stadt, die schon bebaut
       sind, im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft zu transformieren – also zu
       schauen, wie man diese umbauen, umnutzen, die Stadt nach innen weiterbauen
       kann anstatt nach außen. Aber das ist nicht das, was im Moment passiert: Es
       ist einfacher, am Stadtrand auf landwirtschaftlich genutzten Flächen zu
       bauen.
       
       Ist das Wohnen überhaupt der größte Flächenfresser? 
       
       Der Flächenverbrauch entsteht nicht ausschließlich durch die Bebauung,
       sondern insbesondere durch die Erschließungs- und Straßenflächen – je
       weniger dicht die Bebauung, desto größer der Erschließungsaufwand.
       Letztendlich brauchen wir neue Modelle des flächensparenden Planens und
       Bauens als Beitrag zum umweltgerechten Wohnen. Ich bin gerade beteiligt an
       einem Projekt für die neue Gartenstadt Öjendorf. Da war für uns als
       Architekten die Herausforderung, wie man zu Reihenhaustypologien kommen
       kann, die dicht sind, die aber trotzdem mit eigenen Gärten einen Bezug zum
       Grün herstellen – und diese mit Mehrfamilienhäusern zu mischen, für deren
       Bewohner*innen innerhalb des Quartiers auch vielfältige Möglichkeiten
       des Gärtnerns angeboten werden: Mieter*innen- und Gemeinschaftsgärten,
       Pflückgärten, Ackerparzellen, …
       
       Wenn es nach dem [3][Vertrag für Hamburgs Grün] geht, den der Nabu mit dem
       Senat und der Bürgerschaft geschlossen hat, dann müsste für alles, was dort
       entsteht, irgendwo anders in der Stadt Fläche entsiegelt werden. 
       
       Genau. Der Vertrag sieht vor, dass innerhalb des sogenannten Zweiten Grünen
       Ringes der Anteil an Grünflächen erhalten bleibt. Wenn Flächen überbaut
       werden, müssen innerhalb der gebauten Stadt neue Freiflächen geschaffen
       oder vorhandene Freiflächen aufgewertet werden. Aber es gibt natürlich auch
       Stadtentwicklungsprojekte außerhalb des Zweiten Grünen Ringes.
       [4][Oberbillwerder] zum Beispiel ist ein komplett neuer Stadtteil, der in
       einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet entwickelt wird. Insofern sind
       wir nicht so weit in Hamburg, dass das Bauen auf der grünen Wiese überhaupt
       nicht mehr möglich wäre.
       
       Noch mal: Ist es nicht so, dass es eigentlich nicht mehr möglich sein
       sollte? 
       
       Das ist ein Aushandlungsprozess. Irgendwo müssen die Leute ja wohnen und
       das hat immer damit zu tun, dass Grünflächen verloren gehen. Man muss aber
       mit den Freiräumen sparsam umgehen. Das geht nur durch eine Verdichtung und
       Konzentration in den schon bebauten Gebieten. Das heißt auch, man muss
       Freiräume verdichten, indem man sie qualitativ aufwertet. Das Gleiche gilt
       für die Gebäude, deren Dächer und Fassaden begrünt werden sollten. Es
       ergibt keinen Sinn, Gebäude von vornherein gegen das Grün auszuspielen. Die
       größte Möwenkolonie in ganz Hamburg brütet auf dem Dach einer
       Logistikfirma. Wir müssen es schaffen, dass die Städte die Nationalparks
       der Zukunft werden, in denen die Dachflächen als soziale Räume und
       Lebensräume für Tiere zugänglich und miteinander vernetzt sind. Das ist
       eine Form von Nutzungsintegration, die wir denken müssen. Bebauung muss
       dazu dienen, Lücken im Freiraumverbund und im Biotopnetz zu schließen.
       
       Worum geht es eigentlich, wenn wir über Versiegelung sprechen? 
       
       Ein Problem, das die Versiegelung mit sich bringt, ist, dass das
       Regenwasser nicht mehr in den Boden eindringen kann, sondern in die
       Kanalisation abfließt, und das an anderen Stellen zu Hochwasser führt.
       Außerdem heizen sich versiegelte Flächen stark auf. Die dunklen
       Asphaltflächen und Bitumendächer wirken wie thermische Akkus, die die
       Sonnenenergie speichern und nachts zeitverzögert wieder abgeben. Dadurch
       sind Innenstädte fünf bis zehn Grad heißer als das Umland. Und natürlich
       sind versiegelte Flächen auch nicht biodivers. Sie bieten keinen angenehmen
       Lebensraum für Menschen, Pflanzen- und Tierarten, sondern nur einen
       Bewegungsraum für Autos und Menschen, die trockenen Fußes irgendwo schnell
       hin fahren und laufen können
       
       Die Umweltbehörde hat für Logistikhallen im Hamburger Osten grüne Dächer
       vorgeschrieben. Das beißt sich aber mit der Vorgabe, möglichst überall
       Solarpanels auf die Dächer zu setzen. 
       
       Das beißt sich nicht, weil Solaranlagen sogar besser funktionieren, wenn
       sie auf Gründächern stehen. Ein Gründach absorbiert und verdunstet Wasser,
       kühlt so die Anlagen und fördert damit deren Leistungsfähigkeit. Man darf
       nicht nur in Gegensätzen denken, sondern muss die Dinge intelligent
       kombinieren, sodass eine Fläche gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllt.
       
       Das hört sich so an, als könnte man auf diese Weise sogar Flächen
       entsiegeln. 
       
       Wenn man ein Dach begrünt, ist es keine Entsiegelung, da der Boden ja immer
       noch durch das Gebäude überbaut ist. Um Versiegelung zu reduzieren, ist es
       wichtig, dass man davon wegkommt, den Boden durch Asphaltdecken,
       Schottergärten und Tiefgaragen zu versiegeln. Das betrifft gigantische
       Flächen, die in dieser Form versiegelt werden. Von oben sieht es zwar grün
       aus, wenn in einem Innenhof ein paar Bäume stehen, aber wenn sich darunter
       eine Tiefgarage befindet und der Boden gepflastert ist, kann das Wasser
       nirgendwo gespeichert werden und die Vegetation bekommt kaum Wasser.
       Deshalb geht es in den neuen Stadtteilen darum, neue Ideen zu entwickeln,
       wie wir die Böden wieder frei bekommen, etwa durch oberirdische
       Mobility-Hubs statt Tiefgaragen, durch Baumrigolen im Straßenraum oder
       durch wasserdurchlässiges Pflaster.
       
       Ausgefeilte Fassadenbegrünung jenseits von Efeu und Knöterich gibt es noch
       nicht so lange. Ist es realistisch, das im großen Stil einzusetzen? 
       
       Efeu und Wilder Wein lassen sich schwer kontrollieren. Als Selbstklimmer
       klettern sie direkt an der Fassade und dringen in die Ritzen ein. Die
       modernen Systeme arbeiten daher mit Schlingpflanzen, die an Seilen
       emporwachsen mit einem gewissen Abstand zur Fassade, oder mit Pflanzgefäßen
       an der Fassade. Es ist wichtig, dass die Begrünung auch einen energetischen
       Mehrwert bringt für das Gebäude – dass sie im Sommer kühlt und im Winter
       die Sonne auf die Fassade scheinen lässt. Auch ein grünes Dach ist so ein
       Klimapuffer. Dabei muss man von vorneherein bedenken, wie die Pflanzen mit
       Wasser versorgt werden können, etwa mit Regenwasser oder aufbereitetem
       Grauwasser. Im Unterschied zu früher werden diese Systeme jetzt als Teil
       der Gebäudetechnik mitkonzipiert. Sie müssen zum Teil der
       Gebäudeinfrastruktur werden und sich auch rechnen. Es gibt viele Modelle,
       die zeigen, dass sich so etwas lohnt und nicht eine reine Öko-Spinnerei
       ist.
       
       Braucht es dafür einen geänderten gesetzlichen Rahmen? 
       
       Seit einigen Jahren gibt es in Hamburg ein Förderprogramm, bei dem man 30
       bis 60 Prozent der Kosten für Dach- und Fassadenbegrünung erstattet
       bekommt. Wenn man die Fassaden- und Dachbegrünung auf den Lebenszyklus
       eines Gebäudes berechnete, würde sie sogar eine Ersparnis mit sich bringen.
       Aber so rechnet die Bauwirtschaft normalerweise nicht. Im Moment gilt es
       eher noch zu überzeugen, Förderprogramme aufzulegen, Leitfäden zu
       erstellen, zu motivieren. Aber immer mehr Städte überlagern ihre
       Stadtentwicklungspläne mit Karten, die zeigen, wo die Stadt viel zu dicht
       ist, wo es zu wenige Grünflächen gibt und sich die Stadt im Sommer
       überhitzt. Hier kann dann Fassaden- und Dachbegrünung auch mithilfe des
       Bauplanungsrechts oder Bauordnungsrechts vorgeschrieben werden.
       
       Mehr über Flächenversiegelung erfahren Sie in der aktuellen
       Wochenendausgabe der taz nord oder [5][am E-Kiosk. ]
       
       25 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kritik-an-Flaechenverbrauch-in-Hamburg/!5765610
 (DIR) [2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/klimaschutzplan-2050-728886
 (DIR) [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/66527/vertrag_fuer_hamburgs_stadtgruen_siedlungsentwicklung_ermoeglichen_naturqualitaet_verbessern_lebensqualitaet_steigern_massnahmen_zur_verbesserung_vo.pdf
 (DIR) [4] /Neuer-Stadtteil-Oberbillwerder/!5695815
 (DIR) [5] /Kiosk-fuer-die-Couch/!114771/
       
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 (DIR) Gernot Knödler
       
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