# taz.de -- Flutkatastrophe in Westdeutschland: Anblick der Zerstörung
       
       > Die Ministerpräsidenten Laschet und Dreyer zeigen sich tief betroffen von
       > der Hochwasserkatastrophe. Knapp 50 Menschen sind bisher mindestens
       > gestorben.
       
 (IMG) Bild: Mindestens sechs Häuser wurden im rheinland-pfälzischen Schuld durch die Fluten zerstört
       
       AACHEN/BERLIN/MÜNCHEN taz | Die dramatischste Meldung kam am
       Donnerstagmorgen aus dem Eifeldorf Schuld im Landkreis Ahrweiler nahe
       Koblenz. Dort wurden in der Nacht sechs Häuser weggespült, zeitweise waren
       bis zu 70 Personen vermisst. Einzelne gaben im Laufe des Tages
       Lebenszeichen. Ein Stück weiter wurde die A 61 bei Euskirchen
       vorsichtshalber gesperrt, weil nebenan die Steinbachtalsperre zu brechen
       droht.
       
       Dramen auch rund um das Aachener Dreiländereck: Im Wolkenstau vor Eifel und
       Hohem Venn regnete es über 200 Liter pro Quadratmeter binnen 48 Stunden,
       mehr als sonst den ganzen Sommer. Die Unterstadt des belgischen Eupen ist
       komplett geflutet, ein junger Mann ertrunken. In der belgischen Eifel
       harren Menschen auf Hausdächern aus, Orte sind nicht erreichbar. Auch in
       Pepinster stürzten mehrere Häuser ein. Mancherorts schießen die
       Wassermassen bis ins zweite Stockwerk.
       
       Zwischen Lüttich und dem niederländischen Maastricht steht das Schienennetz
       entlang der Maas komplett unter Wasser. In der südniederländischen Provinz
       Limburg werden Campingplätze evakuiert, sofern Rettungskräfte vordringen.
       Vermisste gibt es auch hier. In Belgien ist seit Donnerstagmorgen das
       Militär im Einsatz.
       
       Überall rund um Aachen erreichten kleine Flüsse historische Höchststände:
       Inde, Vicht, Our, Göhl oder Wurm sind zu reißenden Strömen geworden. In
       Stolberg nahe Aachen donnern die Wassermassen über einen Meter hoch durch
       die zentrale Rathausstraße, eine Person ist dort in ihrem Auto ertrunken,
       aber noch nicht evakuierbar. Ein städtischer Mitarbeiter sagte, man habe
       kürzlich eine maximal denkbare Jahrhundertflut in Szenarien durchgespielt –
       diese jetzt habe alle Fantasien weit übertroffen.
       
       ## Straßenzüge unter Wasser, Brücken eingestürzt
       
       Nach tagelangem starkem Dauerregen waren in der Nacht zum Donnerstag in
       Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und den angrenzenden Regionen in
       Belgien und den Niederlanden Bäche zu reißenden Flüssen geworden. Sie
       verwüsteten etliche Ortschaften. Straßenzüge standen unter Wasser, Häuser
       wurden weggespült, Brücken stürzten ein, Stromausfälle legten ganze
       Regionen lahm.
       
       Autobahn- und Eisenbahnstrecken mussten gesperrt werden. Die Deutsche Bahn
       rief alle Reisenden auf, Fahrten von und nach Nordrhein-Westfalen zu
       verschieben. In mehreren Städten wurde der Ausnahmezustand ausgerufen.
       
       Im komplett gefluteten Eschweiler nahe Aachen gibt es keinen Strom mehr,
       eine Trinkwasserleitung brach, das Gas ist abgedreht. Im Krankenhaus der
       Stadt lief die Intensivstation voll, alle 400 Patient:innen werden
       jetzt mühsam weitgehend durch die Luft herausgeschafft.
       
       In manchen Orten stellten Einsatzkräfte die Rettungsfahrten per Motorboot
       ein – zu gefährlich wurden entgegenschießende Baumstämme und halbe
       Hausstände. Am Braunkohletagebau Inden ist ein Damm gebrochen, das Wasser
       ergießt sich seitdem in die Tiefe.
       
       ## Feuerwehrmann verstarb bei Rettungsversuch
       
       In Hagen musste ein Altenheim evakuiert werden. In Leverkusen wurde nach
       einer hochwasserbedingten Störung der Stromversorgung eine Klinik mit 468
       Patient:innen geräumt. In Solingen wurde der Ortsteil Unterburg wegen
       Überflutungen abgeriegelt, 600 Menschen wurden evakuiert.
       
       Ein von Rettungskräften aus einem Kellerschacht befreiter 82-jähriger
       Solinger verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus. In Köln wurden zwei Menschen
       aus überfluteten Kellern tot geborgen. In Kamen kam ein 77-Jähriger in
       einem unter Wasser stehenden Keller seines Hauses ums Leben. Im Märkischen
       Kreis starb ein Feuerwehrmann bei dem Versuch, einen ins Wasser gestürzten
       Mann zu retten. Bis zum frühen Donnerstagnachmittag kamen nach offiziellen
       Angaben insgesamt mindestens 42 Menschen ums Leben.
       
       Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fuhr am
       Donnerstagnachmittag nach Bad Neuenahr-Ahrweiler, um sich vor Ort einen
       unmittelbaren Eindruck von den Verwüstungen zu verschaffen. Zuvor hatte sie
       am Vormittag im Mainzer Landtag ein düsteres Bild gezeichnet. „Wir haben
       schon häufig Hochwasserkatastrophen in unserem Land erlebt“, sagte Dreyer.
       „Aber so eine Katastrophe haben wir noch nicht gesehen.“
       
       Es sei „wirklich verheerend“, sagte die SPD-Politikerin in einer
       emotionalen Rede. „Es gibt Tote, es gibt Vermisste, es gibt viele, die noch
       in Gefahr sind.“ Die Situation sei vielerorts dramatisch. Ganze Orte seien
       überflutet, Menschen säßen auf Bäumen oder ihren Häusern und warteten auf
       ihre Rettung. Die aufgrund der Ereignisse stark verkürzte Plenarsitzung
       hatte begonnen mit einer Schweigeminute für die Todesopfer und die
       Menschen, die noch um ihr Leben ringen.
       
       ## „Noch kein genaues Lagebild“
       
       Bei seinem Besuch in der vom Hochwasser stark betroffenen Stadt Hagen
       zeigte sich auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)
       sichtlich betroffen vom Ausmaß der Katastrophe. „Wir haben noch kein
       genaues Lagebild über die Opfer, die wir im ganzen Land zu beklagen haben“,
       sagte Laschet. Aber fest stehe, dass es an mehreren Orten Tote gegeben
       habe.
       
       „Das Wichtigste ist, jetzt zu helfen, und vor allem denjenigen, die helfen,
       Rückendeckung zu geben“, sagte Laschet. Den betroffenen Kreisen und Städten
       sagte er die Unterstützung der Landesregierung zu. Am Freitagmorgen trifft
       sich das Kabinett zu einer Sondersitzung. „Wir werden die Kommunen und
       Betroffenen nicht allein lassen“, versprach er.
       
       „Jeder Ministerpräsident, der sein Amt ernst nimmt, ist in einem solchen
       Moment bei den Menschen vor Ort, Wahlkampf hin oder her“, sagte Laschet.
       Einen für Donnerstag geplanten Besuch bei der Schwesterpartei CSU in
       Bayern hatte der Kanzlerkandidat der Union abgesagt und war stattdessen
       schon am Mittwochabend nach Hagen gereist.
       
       Alle parteipolitischen Fragen müssten bei solch einer Krise zurückstehen.
       Als Konsequenz aus den [1][zunehmenden Starkregen- und Hitzeereignissen]
       forderte Laschet „mehr Dynamik für den Klimaschutz“. Das bedeute, „dass wir
       bei den Maßnahmen zum Klimaschutz mehr Tempo brauchen – europäisch,
       bundesweit, weltweit“.
       
       ## Scholz und Baerbock brechen Urlaub ab
       
       SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz unterbrach seinen Urlaub, um sich gemeinsam
       mit Dreyer ein Bild von der Lage im rheinland-pfälzischen
       Katastrophengebiet zu machen. Den Betroffenen stellte der
       Bundesfinanzminister finanzielle Hilfen in Aussicht: „Da muss der Bund mit
       anpacken“, sagte Scholz.
       
       Auch Grünen-Kanzlerkandidatin [2][Annalena Baerbock] kündigte an, vorzeitig
       aus dem Urlaub zurückzukehren. „Das zerstörerische Ausmaß der
       Überschwemmungen ist erschütternd“, teilte sie in einer am Donnerstag
       verbreiteten Erklärung mit. „Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den
       Menschen, die um Angehörige trauern, sich um Vermisste sorgen und um
       Verletzte kümmern.“
       
       Bundeskanzlerin Angela Merkel trat am Donnerstagnachmittag in Washington
       vor die Presse. „Ich bin erschüttert von den Berichten, die mich erreichen
       aus den Orten, die jetzt ganz unter Wasser stehen“, sagte sie und sprach
       von einer „Tragödie“. Sie trauere um die, die ihr Leben verloren haben.
       „Noch wissen wir die Zahl nicht, aber es werden viele sein“, sagte Merkel.
       Und es seien „so viele, um die wir noch bangen müssen“.
       
       Sie habe sich von den Ministerpräsident:innen Dreyer und Laschet
       telefonisch über die Lage informieren lassen und stehe in engem Kontakt mit
       Bundesinnenminister Horst Seehofer und Finanzminister Olaf Scholz, teilte
       Merkel mit. „Alles, was getan werden kann, wo wir helfen können, werden wir
       tun“, sagte die Kanzlerin.
       
       ## Söder ruft zu vorausschauendem Klimaschutz auf
       
       „Sie können darauf vertrauen, dass alle Kräfte unseres Staates, von Bund,
       Ländern und Gemeinden, gemeinsam alles daran setzen werden, auch unter
       schwierigsten Bedingungen Leben zu retten, Gefahren abzuwenden und Not zu
       lindern.“
       
       Er biete Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz „jedwede Hilfe an, um die
       Schäden des katastrophalen Unwetters zu beseitigen“, sagte der bayrische
       Ministerpräsident Markus Söder der dpa. „In dieser schlimmen Situation ist
       Solidarität gefragt.“ Zum Abschluss der CSU-Klausur im oberbayerischen
       Kloster Seeon rief Söder zu einem „vorausschauenden Klimaschutz“ auf. Die
       Hochwasser-Katastrophe zeige, dass der Klimawandel „uns weiter
       beschäftigen“ wird und Maßnahmen „ganz entscheidend“ seien.
       
       Bayern ist dieses Mal von Starkregen und verheerenden Unwettern längst
       nicht so schlimm betroffen wie Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.
       Allerdings ergießen sich die Wassermassen in diesem Sommer mit
       irritierender Regelmäßigkeit auf ganz unterschiedliche Teile des Freistaats
       – und zwar in Gegenden, wo man gar nicht damit gerechnet hätte.
       
       Vor zwei Wochen war Landshut in Niederbayern dran, 70 Kilometer nordöstlich
       von München. In einer halben Stunde fielen dort 60 Liter Regen auf den
       Quadratmeter – eine unglaubliche Menge, das Wort „Jahrhundertereignis“
       machte die Runde. Der parteilose Oberbürgermeister Alexander Putz sprach
       von „Wildbächen, wo normalerweise Straßen sind“.
       
       ## Gegend eigentlich berüchtigt für Dürresommer
       
       Eine gute Woche später erwischte es den Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad
       Windsheim in der Nähe von Nürnberg. Auch hier entwickelte sich der Fluss
       zur Flutwelle, die Gebäude und Straßen überschwemmte. In einer Nacht rückte
       die Feuerwehr zu 700 Einsätzen aus. Die jüngsten Unwetter gingen in dieser
       Woche im Raum Hof in Oberfranken nieder.
       
       Eigentlich ist diese Gegend berüchtigt für ihre Dürre-Sommer. Stattdessen:
       Katastrophenfall, vollgelaufene Keller, umgekrachte Bäume. Die Hofer
       Oberbürgermeisterin Eva Döhla (SPD) kann sich nicht erinnern, „dass unser
       Stadtgebiet schon einmal von solchen Wassermassen heimgesucht wurde“.
       Mittlerweile gibt es Entwarnung für Oberfranken, der Freitag soll trocken
       bleiben. Dafür stehen nun laut Vorhersagen womöglich heftige Regenfälle in
       Südbayern bevor.
       
       15 Jul 2021
       
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