# taz.de -- Flutkatastrophe im Westen Deutschlands: Schiffbruch mit Zuschauern
       
       > Ein Ausflugsschiff ist in den Fluten der Ruhr versunken. Zu Schaden kam
       > niemand. Doch die Bilder des Untergangs beunruhigen. Warum?
       
 (IMG) Bild: Nach der Katastrophe: Spuren im Schlamm
       
       Am Donnerstag ist die Moornixe, ein 18 Meter langes Ausflugsschiff,
       gesunken. Ein Baum war auf das Schiff gestürzt, es hatte sich losgerissen
       und trieb auf der Ruhr in Mülheim auf ein Wehr zu.
       
       Es gibt [1][Handybilder der Havarie]. Man hört tosendes Wasser, man sieht
       das führungslose, unbemannte Boot auf die Wehrmauer zu treiben. Es
       kollidiert, dreht sich und wird von dem sprudelnden Fluss an der Längsseite
       erfasst. Dann verschwindet es blitzschnell, als wäre es ein Spielzeugmodell
       in einem trashigen Katastrophenfilm.
       
       Einzelteile des Schiffes, das schon in den den 1930 Jahren auf dem
       Baldeneysee in Essen fuhr, sollen auf der anderen Seite des Wehrs gesichtet
       worden sein. Die Bilder hat ein 10-jähriges Mädchen mit ruhiger Hand
       gemacht. Es gibt eine andere, verwackelte Aufnahme. Als das Schiff dort im
       Nu im Nichts verschwindet, hört man im off den Kommentar [2][“krass“]
       
       Das Bild des rasant verschwindenden Bootes hat etwas Beunruhigendes. Die
       Flut, die alles Alte auslöscht, ist schon in der Bibel ein apokalyptisches
       Signal. Und das stolz über die Wellen gleitende Schiff ist seit
       Jahrhunderten ein Symbol, das zeigt, dass wir die Natur beherrschen, und
       nicht die Natur uns regiert.
       
       Es sei denn, Sturm, Fluten oder ein Riff sorgen für den Untergang. Der
       römische Philosoph Lukrez hat vor 2000 Jahren den vom Land aus beobachteten
       Schiffbruch als existentielle Daseinsmetapher gedeutet. Dort das aus
       Gewinnstreben und Leichtsinn geborene Desaster, hier der sichere Hafen.
       Dort der tosende Strudel des Lebens, den wir uns besser vom Leib halten,
       hier das schauende, in sich ruhende, unbeteiligte Subjekt.
       
       Hans Blumenberg hat dem Essay „Schiffbruch mit Zuschauer“ die Havarie als
       wechselvolle Metapher in der Ideengeschichte untersucht. Von Lukrez in
       sicherem Hafen angesiedeltem Subjekt ist in der Moderne, in der alles in
       rasende Bewegung gerät, nichts übrig.
       
       Doch wenn man dessen selbstzufriedenen Beobachter des Debakels zur
       Beschreibung moderner Medienuser umformatiert, hat man festen Grund unter
       den Füßen. Wer auf das Desaster blickt, versichert sich seiner Position.
       Wer zuschaut, ist nicht Opfer. Und die Handykamera, die man zwischen sich
       und das Ergebnis platziert, funktioniert als zusätzlicher Abstandhalter.
       Wer vor einer Schlammwelle flieht, sucht nicht sein Handy, sondern den
       Rettungsweg. Wer mit dem Schiff im Strom versinkt, findet das nicht
       „krass“.
       
       Laut Meteorologen begünstigen abnehmende Jetstreams und wärmere Luft, also
       der Klimawandel, unberechenbare Wetterkatastrophen. Das stolze
       Selbstbewusstsein der Moderne, dass wir die Natur beherrschen und nicht die
       Natur uns regiert, hat schon lange einen Riss, den wir routiniert
       überspielen.
       
       Die Bilder der Moornixe, die in der brodelnden, braunen Brühe der Ruhr jäh
       verschwindet, sind mehr als ein Spektakel. Sie verströmen die Ahnung, dass
       wir bei den kommenden Untergängen nicht die Zuschauer an Land sein werden.
       
       18 Jul 2021
       
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