# taz.de -- Abschiebestopp nach Afghanistan: Seehofers späte Kehrtwende
       
       > Vor einem Monat bat die afghanische Regierung Deutschland, Abschiebungen
       > auszusetzen. Nun hat sich Innenminister Seehofer dazu durchgerungen.
       
 (IMG) Bild: Hält Abschiebungen grundsätzlich trotzdem für richtig: Bundesinnenminister Horst Seehofer
       
       Am Ende ging es ganz schnell. Vor wenigen Tagen noch hielt
       Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Abschiebungen nach Afghanistan für
       vertretbar. Am Mittwoch nun wurde bekannt, dass Seehofer seine Meinung
       geändert hat. „Die Sicherheitslage vor Ort ändert sich derzeit so rasant,
       dass wir dieser Verantwortung weder für die Rückzuführenden noch für die
       Begleitkräfte und die Flugzeugbesatzung gerecht werden können“, begründete
       Seehofer am Mittwoch seine Entscheidung. Trotzdem hielt er am Prinzip der
       Abschiebungen fest und kündigte an: „Sobald es die Lage zulässt, werden
       Straftäter und Gefährder wieder nach Afghanistan abgeschoben.“
       
       Menschenrechtsgruppen, Kirchen und [1][Teile der Opposition] hatten seit
       Wochen oder Monaten einen Abschiebestopp gefordert. Noch am Dienstag gaben
       26 Organisationen, darunter Amnesty International, Pro Asyl, Caritas und
       die Diakonie dazu [2][eine gemeinsame Erklärung ab].
       
       Pro Asyl und mehrere Flüchtlingsräte begrüßten die Entscheidung Seehofers,
       der Flüchtlingsrat München äußerte die Hoffnung, dass es „bei einem
       dauerhaften Abschiebestopp“ bleibe.
       
       Wie lange das Moratorium gilt, stand bis Redaktionsschluss nicht fest. Eine
       entsprechende Anfrage der taz ließ das Bundesinnenministerium (BMI)
       unbeantwortet. Für die knapp 30.000 Afghan:innen in Deutschland, die das
       BMI als „ausreisepflichtig“ führt und die, je nach Wohnort, mehr oder
       weniger akut von einer Abschiebung bedroht sind, stellt Seehofers
       Kehrtwende deshalb noch keine dauerhafte Beruhigung dar.
       
       ## Abschiebeflüge wurden zuletzt verschoben
       
       Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt forderte deshalb: „Jetzt muß
       [sic!] sich auch die Entscheidungspraxis des Bundeamtes [für Migration und
       Flüchtlinge (Bamf), Anm. d. Red.] ändern.“ Mit der Argumentation, von den
       Taliban Verfolgte könnten in Großstädten wie Herat, Massar-i-Scharif,
       Kundus oder Kabul sicher leben, seien in der Vergangenheit verfolgte
       Afghan:innen vom Bamf abgelehnt worden, so Burkhardt.
       
       Tatsächlich erhielten zuletzt nur knapp über 37 Prozent der Afghan:innen
       einen Schutzstatus in Deutschland. Grundlage für die Asylentscheidungen ist
       die Einschätzung der Sicherheitslage vor Ort durch das Auswärtige Amt (AA).
       Und das hat bis zuletzt bestritten, dass abgeschobene
       Asylbewerber:innen in Afghanistan systematisch bedroht seien. Auch in
       dem jüngsten Lagebericht von Mai 2021, der der [3][taz vorliegt], wird die
       Sicherheitslage offensichtlich geschönt. Wegen zunehmender Kämpfe zwischen
       Taliban, Milizen und Regierungstruppen selbst in der Hauptstadt Kabul
       mussten in diesem Jahr bereits mehrere Abschiebeflüge kurzfristig
       verschoben werden, zuletzt vergangene Woche.
       
       Bereits vor einem Monat bat die afghanische Regierung, Abschiebungen in ihr
       Land für drei Monate auszusetzen – zunächst ohne Erfolg. Erst diesen Montag
       kündigte das Auswärtige Amt an, wegen der Eroberungen der Taliban „eine
       Ad-hoc-Aktualisierung des Lageberichtes“ vornehmen zu wollen.
       
       Seit 2016 haben Bund und Länder in Sammelflügen mehr als 1.100 Menschen
       nach Afghanistan abgeschoben, in diesem Jahr waren es bereits 167. Viele
       Länder schieben nach eigenen Angaben jedoch „nur“ Straftäter und Gefährder
       ab.
       
       11 Aug 2021
       
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