# taz.de -- Losse-Müller über SPD-Spitzenkandidatur: „Bei Windkraft Jahre verloren“
       
       > Der Kieler SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller sagt, warum der Staat
       > auf dem Land Ladesäulen bauen muss, statt mit Radwegen anzukommen.
       
 (IMG) Bild: Könnten schon viel mehr Windräder sein, wenn die CDU nicht blockiert hätte
       
       taz: Herr Losse-Müller, ganz Deutschland schaut auf die Bundestagswahl, nur
       die SPD Schleswig-Holstein startet in den Landtagswahlkampf – genial oder
       daneben? 
       
       Thomas Losse-Müller: Wir haben den Spitzenkandidaten bekanntgegeben. Und
       diesen Schritt haben wir bewusst von der Bundestagswahl abgekoppelt.
       
       Wollten Sie die [1][Umfrage-Welle der Bundes-SPD] reiten? 
       
       Es scheint perfekt getimet, aber es ist ein bisschen wie mit den Störchen
       und den Kindern: Es passt, handelt sich aber um eine zufällige
       Übereinstimmung. Doch ein bisschen Glück dürfen wir haben.
       
       Viele haben geglaubt, dass Parteichefin Serpil Midyatlı Spitzenkandidatin
       wird. Sie wurde von der Partei konsequent aufgebaut. Dann hat sie Sie auf
       den Schild gehoben. Was haben Sie, was sie nicht hat? 
       
       Wenn ich eine Korrektur machen darf: Serpil hat sich selbst aufgebaut. Nun
       hat sie für sich eine klare Analyse getroffen, angesichts der Themen, auf
       die es in den nächsten Jahren ankommt: Klimawandel, Demografie,
       Digitalisierung – das sind Themen, für die ich im Land bekannt bin, damit
       bin ich verbunden. Deshalb hat sie mich gefragt. Und ich habe zugesagt,
       weil ich in diesen Feldern etwas bewegen kann und will.
       
       Der breiten Bevölkerung sind Sie eher gar nicht bekannt. Ein Problem? 
       
       In Schleswig-Holstein kennen wir uns, und wir haben neun Monate Zeit.
       
       Sie ähneln Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU vom Typ her,
       während Serpil Midyatlı als Frau, Migrantin und Unternehmerin [2][eine
       deutliche Alternative] gewesen wäre. Wäre das nicht verlockend gewesen? 
       
       Ich glaube, ganz viele haben Serpil als Spitzenkandidatin gesehen, nicht
       nur wegen dem, was sie aus ihrer Biografie mitbringt, sondern auch wegen
       der Themen, für die sie steht. Aber hinter Ihrer Frage steckt eine
       Markenlogik. Wann hat je Politik funktioniert, nur weil jemand aus
       Marketing-Sicht ein Gegenentwurf zum Amtsinhaber ist? Es geht um die beste
       Kombination aus Thema und Person.
       
       Sie sind erst seit elf Monaten in der SPD und schon Spitzenkandidat. Ist
       die Personaldecke so dünn? 
       
       Es stimmt, dass ich formell seit elf Monaten Mitglied bin, aber schließlich
       habe ich bereits unter Torsten Albig die Staatskanzlei geleitet und gehöre
       seit 2019 der Denkfabrik der Landes-SPD an, habe also seit Jahren sehr
       intensiv mit Genoss*innen gearbeitet. Natürlich hätte es viele andere
       geeignete Personen gegeben. Ich bin überzeugt, dass Serpil sich viele
       angesehen hat.
       
       Sie waren vorher bei den Grünen aktiv – waren Sie in der falschen Partei? 
       
       Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein Rot-Grüner durch und durch. In den
       Zielen ähneln sich die beiden Parteien.
       
       Warum mussten Sie dann wechseln? 
       
       Mein Wechsel war eine Entscheidung pro SPD, nicht gegen die Grünen.
       Angesichts der großen politischen Aufgaben ist es wichtig, dass wir
       Zusammenhalt organisieren, und die SPD ist die Partei, die das am besten
       kann. Für mich ist die SPD weiter die wichtigste Volkspartei, weil alle
       Milieus und Generationen vertreten sind, sozusagen die mit den bunten und
       die mit grauen Haaren.
       
       Zusammenhalt, Volkspartei – das klingt nach Floskelalarm. 
       
       Nicht, wenn die Begriffe sich aus konkreten Aufgaben buchstabieren. Nehmen
       wir das Thema Mobilität. Viele reden bei der Mobilitätswende nur von
       Radwegen und öffentlichem Nahverkehr, aber das funktioniert nur in Städten.
       Zwei Drittel aller Menschen in Schleswig-Holstein leben auf dem Land. Auch
       ich selbst wohne auf dem Dorf, weil wir in die Nähe meiner Schwiegereltern
       gezogen sind. Wenn wir dort von Radwegen und Bussen sprechen, erreichen wir
       viele Menschen nicht.
       
       Darum haben Sie bei Ihrer Vorstellung ein Bekenntnis zum Individualverkehr
       abgegeben? 
       
       Wir können den Individualverkehr nicht abschaffen, sonst müssten wir das
       Land abschließen. Aber wir müssen den Menschen, die weiter Auto fahren
       wollen, ermöglichen, auf E-Mobilität umzusteigen, denn nur so erreichen wir
       eine CO2-Reduktion. Daher ist eine gute Ladeinfrastruktur wichtig, und die
       aufzubauen, ist Aufgabe des Staates.
       
       Die SPD rangiert in Umfragen auf Platz drei, wäre auf die Grünen
       angewiesen. Doch die regieren mit CDU und FDP, und die Jamaika-Koalition
       ist beliebt. Warum sollten die Menschen in Schleswig-Holstein Sie wählen? 
       
       Jamaika bedeutet Stillstand für das Land. Natürlich ist Rot-Grün keine
       Einheit, aber beide haben eine gemeinsame Richtung, und dafür gibt es
       Mehrheiten im Land. Schon heute ist Schleswig-Holstein kein konservatives
       Land mehr, die CDU kommt nicht mal über 30 Prozent.
       
       Sie fordern den Ministerpräsidenten in seinem Heimatwahlkreis Eckernförde
       heraus – wie viel Rückstand auf Günther wäre für Sie okay? 
       
       Es ist richtig, der Ministerpräsident ist der Frontrunner. Trotzdem halte
       ich es für eine gewinnbare Konstellation. Für den Wahlkampf finde ich es
       interessant, dass wir nicht nur im Land, sondern auch vor Ort gegeneinander
       antreten, das führt zu mehr direkten Konfrontationen. Gerade weil wir uns
       vom Typ ähneln, kommt es auf die Inhalte an. Da reicht es nicht,
       [3][Schwiegermutters Liebling] zu sein.
       
       Was qualifiziert Sie noch? 
       
       Ich weiß, wie die Umsetzung der Klimaziele funktioniert, weil ich sowohl
       die Politik als auch den Maschinenraum der Wirtschaft kenne …
       
       Moment – Sie waren bei der Deutschen Bank und der Weltbank, zuletzt bei EY,
       der Beratungsfirma, die beim Wirecard-Betrug nur zugeschaut hat. Ist das
       nicht eher Kommandobrücke als Maschinenraum? 
       
       Zunächst mal habe ich in der Strategieberatung und nicht in der
       Wirtschaftsprüfung gearbeitet. Mit Wirecard hatte das also nichts zu tun.
       Als Berater haben wir beispielsweise für Stadtwerke Modelle zum Ausbau der
       Ladeinfrastruktur berechnet und Smart-City-Konzepte entwickelt. Das ist
       für mich Maschinenraum. Das nächste Thema, für das ich stehe, ist die
       Digitalisierung, die ich in meiner Zeit in der Staatskanzlei bereits
       vorangebracht habe. Da geht es um Fragen wie digitale Souveränität und die
       Unabhängigkeit von riesigen US-Konzernen, die im Wahlkampf schwer zu
       transportieren sind, aber es sind entscheidende Fragen für unsere
       Demokratie, daher müssen wir solche Debatten organisieren.
       
       Wie die um den Ausbau der Windkraft? 
       
       Genau, das habe ich selbst erlebt. Nachdem das Oberverwaltungsgericht 2016
       unsere Planungen zum Windkraftausbau gekippt hat, war ich im ganzen Land
       unterwegs, um unsere alternativen Vorstellungen zu erläutern. Noch nie
       musste ich so sehr von meinem Lösungsvorschlag überzeugt sein – da gab es
       Säle mit 300 Leuten, die dafür waren und 300, die dagegen waren. Das kriegt
       man nur mit der besten und fairsten Lösung zusammengehalten. Die CDU hat
       einfach nur Wahlkampf dagegen gemacht. Heute vertreten sie das, was wir
       damals schon wollten, aber leider haben wir fünf Jahre verloren.
       
       Kann Ihr fünf Jahre alter Plan mitten in der Klimakrise denn genug sein? 
       
       Für die Windkraft gilt weiter das Ziel, auf rund zwei Prozent der
       Landesfläche Mühlen aufzustellen. Aber es steht bereits der nächste Ausbau
       an, nämlich von Solaranlagen. Dazu muss es eine Landesplanung geben, die
       die Zielkonflikte löst, damit wir die Kommunen damit nicht allein lassen.
       
       Die SPD Schleswig-Holstein beschreibt sich als „links, dickschädelig und
       frei“ – was davon passt zu Ihnen? 
       
       Frei und links passt auf jeden Fall. Ich bin nicht dickschädelig im Sinn
       von stur, sondern ich stehe dafür, dass wir die Probleme moderierend lösen.
       
       30 Aug 2021
       
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