# taz.de -- Die Wahrheit: Luzifer heult auf der Rutsche
       
       > Ganz neue alte Namen für Kinder sind jetzt der hippe Trend in der
       > Namenshochburg Berlin. Auf die Standesämter kommt einiges zu.
       
 (IMG) Bild: Vorbild für Berliner Eltern: der gute, alte Teufel
       
       Das Kleinkind kommt mit seinem Roller in einem Höllentempo den abschüssigen
       Fußweg heruntergeschossen, kriegt gerade noch so die Kurve und saust
       lachend und sehr knapp an Bernd Müller vorbei. Der in einiger Entfernung
       hinterher schlendernde Vater ruft seinem Kind lässig hinterher: „Luzifer,
       nicht so schnell!“
       
       Bernd Müller zückt Stift und Notizblock – er ist Standesbeamter in
       Prenzlauer Berg und Berlins führender Namensforscher. Leidenschaftlich
       interessieren ihn historische Entwicklungen und aktuelle Trends bei der
       Namensgebung. Sind wir gerade bei der Geburt eines neuen Trends dabei?,
       fragen wir ihn, als wir uns an den Rand eines nahegelegenen Spielplatzes
       setzen. Müller ist – nicht nur wegen seiner beiden eigenen Kinder – ein
       häufiger Gast auf Spielplätzen.
       
       Wie mag etwa die Namensfindung für den rasenden Luzifer stattgefunden
       haben? Saßen die künftigen Eltern in ihrer 6-Zimmer-Altbauwohnung und
       konnten sich nicht auf einen Namen einigen? Sie hochschwanger, er mit 47
       noch zu jung zum Papasein, sie aus dem Libanon, er aus Stuttgart, und dann
       stellt sich die Frage: Wie nennen wir es? Rosa-Lila Schmälzle nach dem
       Vater, wenn’s ein Mädchen wird? Zarathustra al Merhabi, wenn’s ein Junge
       wird, nach der Mutter? Und dann lehnt der Standesbeamte die erste
       Namenswahl Satan-Sebastian ab. Jetzt heißt der Kleine eben
       Luzifer-Leonhard.
       
       Der lässig schlendernde Vater sieht nicht aus wie ein Satanist. Nicht
       einmal wie ein Gothic-Anhänger. Er trägt Sandalen mit Füßlingen, kurze
       Khakihosen, ein nichtssagendes Poloshirt, dazu ein ebenso nichtssagendes
       Milchbubigesicht mit etwas Bart darin. Alles in allem eher höllisch
       hässlich als teuflisch böse.
       
       ## Erzengel im Sturzflug
       
       Aber wieso sollte eigentlich ein Kind nicht Luzifer heißen? Das Original
       war einst Engel, Luzifer, der Lichtbringer. Und sagen Eltern nicht immer:
       Du bist mein Stern, mein Licht, mein Sonnenschein? Michael und Gabriel
       heißen Kinder ja auch, und das waren Erzengel.
       
       Studien haben gezeigt, erklärt der 45-jährige gut gebräunte
       Verwaltungsbeamte Müller, dass Vornamen zwar nicht den Heißenden
       beeinflussen, aber doch dessen Umgebung. Ein Kevin wird vielleicht gut in
       Chemie, dafür schlecht in Mathe sein, und als Hans-Hermann würde er in
       Altgriechisch glänzen und die Traversflöte spielen. Ein Luzifer aber wird
       auf ewig als böse abgestempelt und seine ganze Schulklasse mit ins
       Verderben reißen. Und da werden die Kinder der 2b noch von Glück reden
       können, Corona bekommen zu haben und nicht die Pest.
       
       Ist jetzt die Mode der altmodischen Retro-Namen vorbei? Kein Paul, kein
       Hans, keine Gertrud und Elisabeth mehr? Überschwemmen jetzt archaischere
       Namen die Kindergärten? Und wie heißt Luzifers Brüderchen? Adonai? –
       „Adonai. Nicht den Gilgamesch schubsen“, schallt es dann über den
       Spielplatz, wo Bernd Müller morgen Nachmittag sitzen wird. Zeus buddelt
       gerade, Athese sitzt oben auf der Rutsche und traut sich nicht runter und
       Ares hat gerade die Schaukel an den Kopf bekommen und heult. Vielleicht
       werden es ja auch die zugezogenen Migranten sein, die ihren Kindern
       germanische Namen geben, um sich besser zu integrieren. Nicht mehr
       Mohammed, sondern Odin.
       
       „Oder Loki“, sagt Bernd Müller. „Loki Özdemir. Hatte ich erst neulich auf
       dem Schreibtisch. War allerdings ein Mädchen, benannt nach der Frau von
       Alt-Kanzler Schmidt – also Loki, nicht Özdemir.“
       
       Doch Obacht, allzu germanisch sollten die Namen auch nicht sein, mahnt
       Bernd Müller. „Wer sein Kind Adolf tauft, kriegt am nächsten Tag Besuch vom
       Jugendamt und vom Verfassungsschutz, um den Kleinen rechtzeitig als V-Mann
       anzuwerben. Heinz heißt schon ein Ketchup, das gibt Ärger mit dem
       Markenschutz. Rumpelstilzchen nennen nur Sadisten ihr Kind, außerdem steht
       zu befürchten, dass sich niemand den Namen merken kann.
       
       ## Name auf Esspapier
       
       „Ich hatte neulich ein Elternpaar, das hat seinem Kind einen Namen gegeben,
       den dürfen sie aus religiösen Gründen gar nicht aussprechen. Oder jemandem
       sagen. Der wurde mir auf einem Stück Esspapier aufgeschrieben, und das
       musste ich dann, nachdem ich den Namen eingetragen hatte, mit einem dicken
       Bio-Edding schwärzen und dann vertilgen.“
       
       Auf dem Papier sehen Namen meist harmlos aus, meint Bernd Müller. Kritisch
       werde es, wenn der Name eine Verniedlichung erfährt. „Wenn die Schwaben
       überall noch ein diminuierendes ‚-le‘ dranhängen: ‚Zeusle, gib mal dem
       Beelzebüble sein Förmle wieder‘ … Dann ziehe ich nach Hamburg, da bekommen
       die Kinder glücklicherweise noch traditionell Fischnamen, oder werden nach
       Tiefdruckgebieten benannt“, sagt Müller.
       
       „Luzie“, hören wir den Vater ein paar Meter hinter uns. „Fahr langsam.
       Luzie, hörst du?“
       
       „Schade“, sagt Müller, streicht in seinem Notizheft etwas durch und schaut
       auf die Uhr, dann verabschiedet er sich. Er muss jetzt zur Kita, Sauron und
       Cthulhu abholen.
       
       1 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael-André Werner
       
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