# taz.de -- Die Wahrheit: Vegan hoch drei
       
       > Die Fleischersatzindustrie geht neue Wege und bietet mittlerweile
       > faszinierende Produkte aus den entlegensten Ecken der Botanik an.
       
 (IMG) Bild: Bei der Firma „Pfleisch“ in Brandenburg ist sogar die Fauna im Prinzip pflanzenbasiert
       
       In der großen Produktionshalle der Brandenburger Firma „Pfleisch“ brummt
       es. Riesige Kessel aus Edelstahl füllen eine Seite der Halle aus, in ihnen
       wird die Masse für den Fleischersatz vorbereitet und gekocht. Horst Köhn,
       der Besitzer der Firma, ist stolz auf sein Werk, das kann man seinem
       runden, roten Gesicht ansehen. Trotz der Kühlung schwitzt er, ist er doch
       den ganzen Tag auf den Beinen zwischen Büro, Verwaltung und
       Produktionsstätte. Durch lange, glänzende Rohre wird die Masse zu den
       verschiedenen Abteilungen befördert, in denen daraus Wurst, Schinken,
       Schnitzel und noch andere leckere Fleischersatzprodukte werden.
       
       „Es kommt natürlich auf die Würzung an“, sagt Köhn, der sich eine große
       Kelle geschnappt hat und nun in einem gewaltigen Kessel rührt, aus der
       Rohmasse soll handgemachte Leberwurst werden. Ein Kollege fügt genau
       abgemessene Mengen von Gewürzen und Farbstoffen hinzu, dann wird
       weitergerührt.
       
       Die Produkte, die Köhn in seiner Firma „Pfleisch“ herstellt, sind allesamt
       „Plant based“. Ein relativ neuer Terminus in der vegetarisch-veganen Welt.
       Von diesen Begriffen hält Köhn nicht viel. „Das ist doch alles lateinisches
       Geschwurbel!“, sagt Köhn, „im Campari zum Beispiel sind kleine, tote,
       zermahlene Läuse, die machen den Likör schön rot. Das heißt, Campari ist
       eigentlich nicht vegan, weil tote Tiere drin sind. Veganer essen Sachen,
       für die Tiere nicht leiden müssen. Andererseits sind Insekten ja jetzt
       gerade der große Trend, was tierisches Eiweiß und so betrifft, vor allem,
       weil Insekten nicht leiden, wenn man die aufzieht und tötet. Nun meine
       Frage: Dürfen Veganer Insekten essen? Oder Campari trinken?“
       
       Dennoch ist „Plant based“ für Köhn das einzig richtige Label. „Alle meine
       Produkte basieren auf Pflanzen. Die Grundmasse, Verdickungsmittel,
       Konservierungsstoffe, Färbemittel, Weichmacher und natürlich auch die
       Gewürze. Gut, das Salz jetzt nicht, klar.“ Er lacht.
       
       ## Echtes Fleisch aus Pflanzen
       
       Die Produkte, die Köhn unter der Marke „Pfleisch“ herstellt, lassen sich
       von echtem Fleisch nicht unterscheiden, davon können wir uns bei einer
       kleinen Verkostung in der Kantine überzeugen. Aber aus welchen Pflanzen
       besteht „Pfleisch“ denn nun eigentlich, sind wir neugierig. Mais? Erbsen?
       Soja?
       
       „Na, ich werde doch hier keine Betriebsgeheimnisse ausplaudern“, lacht
       Köhn, „aber so viel sei gesagt: Es ist von allem ein bisschen – und noch
       viel mehr.“ Dann führt er uns hinaus aus der Kantine zu einer etwa fünf
       Hektar großen Wiese. Hier stehen dicht an dicht Kühe und fressen vor sich
       hin. Köhns pflanzenbasiertes Fleisch besteht in Wirklichkeit aus … –
       Fleisch?
       
       „Nein, nein, das ist nicht einfach Fleisch. Das ist pflanzenbasiertes
       Fleisch. Die Kühe kriegen eine rein vegetarische Kost, keine Antibiotika,
       kein Tiermehl, kein Mikroplastik. Und alles bio. Dieses Rindfleisch besteht
       zu hundert Prozent aus Pflanzen. In einem Kilo Rindfleisch stecken mehr
       Pflanzen als in einem Kilo Pflanzen. Das ist sozusagen vegan hoch zwei. Nur
       leckerer. Ist das nicht toll?“
       
       „Das ist totaler Unsinn“, sagt Konrad Höhn, ein hagerer 45-jähriger Strich
       von einem Mann, erzürnt. Seine Firma ist der größte Konkurrent von Köhn.
       „Das ist Irreführung der Konsumenten. Wenn Kühe aus Gras Fleisch machen,
       dann ist das Fleisch.“
       
       Höhn stellt ebenfalls Fleischersatzprodukte her, allerdings tatsächlich
       aus Pflanzen, aus Weiterzüchtungen der Arten Dionaea muscipula und der
       Nepenthes.
       
       „Die Früchte der Dionaea muscipula schmecken am ehesten nach Huhn, wobei
       der Kollege Köhn natürlich recht hat – es kommt auf die Würzung an. Von der
       Nepenthes können wir alles verwerten, von der Wurzel bis zum Blatt. Die
       Nepenthes bietet dazu noch eine hervorragende Fasertextur und ist deshalb
       besonders gut geeignet für Schnitzel und Ähnliches.“
       
       ## Pflanzen mit echtem Fleisch
       
       Nach einer kleinen Verkostung in der Werkskantine führt uns Höhn in seinem
       Betrieb herum. Die Produktionsstätte besteht aus vielen großen
       Gewächshäusern, in denen die Pflanzen gedeihen. Sie wirken auf den ersten
       Blick etwas exotisch, wir sehen mannshohe, kannenförmige Blüten und
       Pflanzen, die aussehen wie riesige Venusfliegenfallen.
       
       „Ja“, sagt Höhn, „das haben Sie sehr gut beobachtet. Wir haben hier
       prächtige Weiterzüchtungen der Venusfliegenfalle und der Kannenpflanze,
       beides Fleischfresser.“
       
       Die Gewächse in der weitläufigen Plantage duften höchst verführerisch, und
       wir treten ein wenig näher an die klebrigen Blüten heran.
       
       „Vorsicht! Da können Sie reinfallen, und dann werden Sie verdaut. Aber wir
       haben hier die höchsten Sicherheitsmaßnahmen in ganz Europa. Die sogar über
       die EU-Norm hinausgehen. Zum Beispiel werden alle Pflanzen von zwei
       erfahrenen Mitarbeitern gefüttert.“
       
       Er zeigt auf zwei Männer, die mit einem Flaschenzug ein frisch abgetanes
       Kalb in eine der Venusfliegenfallen hieven. Mit einem lauten Schmatzen
       schließen sich die beiden stachelbewehrten Klappen.
       
       „Guten Appetit“, wünscht Höhn der Pflanze, denn es sei sehr wichtig, mit
       ihnen zu sprechen, dann gedeihen sie hervorragend „und schmecken im
       Endeffekt auch besser“, meint Höhn. Das heißt, die pflanzenbasierten
       Produkte, die Höhn verkauft, waren vorher – Fleisch?
       
       „Ja, aber die Pflanzen wandeln das ja um. Das ist dann ja vegetarisch. In
       einem Kilo unserer Produkte steckt mehr als ein Kilo Fleisch, in dem ja
       mehr als ein Kilo Pflanzen steckt. Das ist sozusagen vegan hoch drei. Ist
       das nicht toll?“
       
       Ein wenig unentschieden verlassen wir die brandenburgische Flora und Fauna
       mit ihren Höhns und Köhns und sind uns nicht sicher, ob wir künftig
       eingefleischte Veganer sein wollen.
       
       8 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael-André Werner
       
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