# taz.de -- Karl-Marx-Kopf in Chemnitz: Der „Nischel“ wird 50
       
       > Die DDR-Bürger:innen nahmen das als „Nischel“ verunglimpfte
       > Vorzeigedenkmal nie richtig ernst. Der überdimensionale Kopf hat am 9.
       > Oktober Jubiläum.
       
 (IMG) Bild: Übergroß und doch verhöhnt: Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz
       
       CHEMNITZ dpa | Monumental thront der riesige Kopf von Karl Marx über den
       Passanten, streng in die Ferne blickend. Auf seinem Sockel hat der 40
       Tonnen schwere Bronze-Koloss des russischen Bildhauers Lew Kerbel
       (1917-2003) den Untergang der DDR überdauert.
       
       Zwar tilgten [1][die Chemnitzer] den Vordenker des Kommunismus 1990 aus dem
       Namen ihrer Stadt, sein Konterfei aber blieb. Es wurde zum beliebten
       Fotomotiv und Treffpunkt. „Der Marx-Kopf ist popkulturell adaptiert und
       umgedeutet worden“, konstatiert der Generaldirektor der Chemnitzer
       Kunstsammlungen, Frédéric Bußmann. „Damit wurde er ein Stück weit
       neutralisiert.“
       
       250.000 Menschen sollen am 9. Oktober 1971 die feierliche Enthüllung des
       Monuments im Herzen von Karl-Marx-Stadt verfolgt haben. Zwei Tage nach dem
       Jahrestag der DDR lobte Staatschef Erich Honecker laut staatlicher
       Nachrichtenagentur ADN das Denkmal als „Symbol unseres unzerstörbaren
       Bruderbundes mit dem Lande Lenins“. Es gilt bis heute als zweitgrößte
       Porträtbüste der Welt nach dem Lenin-Kopf im sibirischen Ulan Ude.
       
       Wurden auch vielerorts DDR-Denkmäler nach der Wiedervereinigung gestürzt,
       der Marx-Kopf blieb – sorgte aber für Debatten. So soll der damalige
       Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) gedroht haben, „künftig keine
       Finanzen mehr in den Osten zu schicken, wenn Chemnitz für so etwas Geld
       ausgibt“.
       
       Anlass waren Pläne, das Monument per Scheinwerfer zu erleuchten. Später gab
       es Kritik aus der CDU, weil die Stadt mit dem Marx-Kopf warb – nicht nur
       als Praline und Briefbeschwerer, sondern auch mit dem Slogan „Stadt mit
       Köpfchen“. Angesichts einer Ideologie, die Millionen Menschen das Leben
       gekostet habe, seien „verharmlosende Marx-Souvenirs“ fehl am Platz, hieß
       es.
       
       ## Tassen, Kaffee und USB-Sticks mit Marx-Kopf
       
       Doch Souvenirs mit dem Marx-Konterfei gibt es bis heute in der Stadt
       reichlich zu kaufen: von Tassen und Kaffee bis hin zu Ausstechform und
       USB-Stick. Die örtliche Sparkasse bietet Kreditkarten sowohl mit dem
       Fotomotiv der Büste als auch abgewandelt im Pop-Art-Stil an. Der Marx-Kopf
       sei das beliebteste Bildmotiv bei den Kreditkarteninhabern, erklärte ein
       Sprecher des Geldinstituts. Regelmäßig gebe es auch Anfragen aus dem
       Ausland.
       
       Verbal haben die Chemnitzer den riesigen Marx ohnehin vom Sockel geholt –
       „Nischel“ wird er in der Stadt meist nur genannt, das sächsische Wort für
       Kopf. Zum Denkmal-Ensemble gehört neben der Porträtbüste ein Schriftzug mit
       dem Marx-Zitat „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“. Es prangt in
       mehreren Sprachen am dahinter stehenden Gebäude, der früheren
       SED-Bezirkszentrale.
       
       Zu DDR-Zeiten wurden hier große Kundgebungen am 1. Mai und 7. Oktober
       abgehalten. Doch hier versammelten sich im Herbst 1989 auch Menschen, um
       gegen die SED-Diktatur zu demonstrieren, die ihnen Jahre zuvor das Denkmal
       ins Herz der Stadt gepflanzt hatte.
       
       Zigfach haben sich zudem Künstler in den vergangenen Jahrzehnten an der
       Büste abgearbeitet und sie ideologisch entzaubert. Mal wurde der Marx-Kopf
       verhüllt, mal den Menschen auf Augenhöhe gebracht, so wie in einem
       filmischen Kunstwerk von Olaf Nicolai, das jüngst weltweit zu sehen war.
       Und voriges Jahr haben die Künstlerinnen Anetta Mona Chisa und Lucia
       Tkácová dem Kopf des Philosophen seinen Darm im selben Maßstab von 1:24
       entgegengesetzt. Für Bußmann „eine humorvolle Kritik an dieser Art von
       männlicher Repräsentation von Macht“. Die Skulptur „Darm“ ist keine zehn
       Minuten zu Fuß vom Marx-Kopf entfernt.
       
       ## Regelmäßig Demos am „Nischel“
       
       Auch demonstriert wird am „Nischel“ nach wie vor regelmäßig. 2018 gingen
       Bilder um die Welt, als sich dort [2][Rechtsextreme aus ganz Deutschland]
       versammelten. Anlass war der [3][gewaltsame Tod eines 35-jährigen
       Deutschen] am Rande des Stadtfestes, für den ein Syrer später zu einer
       Haftstrafe verurteilt wurde.
       
       Damals kam es in der Stadt zu Ausschreitungen, von Hetzjagden auf Migranten
       war die Rede. Auch [4][der Gegenprotest] setzte rund um das Monument unter
       dem Slogan „#wirsindmehr“ Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit. Zuletzt
       haben etwa Coronaleugner und Gegner der Pandemie-Maßnahmen das Areal für
       Kundgebungen genutzt, ebenso wie Klimaaktivisten.
       
       Das 50-Jahre-Jubiläum feiert Chemnitz am Samstag, 9. Oktober. Dazu soll
       eine Stele mit Fakten zu Entstehungsgeschichte und Bedeutung des Denkmals
       übergeben werden. Eröffnet wird eine Ausstellung im „Open Space“ hinter dem
       Monument mit dem Titel „DENKmal Karl Marx – propagiert, verschmäht,
       vermarktet“ samt Diskussionsrunde. Und am Abend sollen verschiedene Bands
       die Besucher zum Tanzen und Feiern bringen. Dann ist auch eine
       Lichtinstallation geplant.
       
       9 Oct 2021
       
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