# taz.de -- Neues Oppositionsbündnis in Türkei: Gemeinsam gegen Erdoğan
       
       > Die türkischen Oppositionsparteien verbünden sich. Ihr Ziel: in den
       > kommenden Wahlen mit einem gemeinsamen Kandidaten Erdogan schlagen.
       
 (IMG) Bild: Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu während einer Pressekonferenz am 11.10.2021
       
       ISTANBUL taz | Bei Wahlen in der Türkei gab es in den letzten zwanzig
       Jahren immer nur einen Gewinner: Recep Tayyip Erdoğan. Die zwei Gründe für
       Erdoğans Erfolg waren der wirtschaftliche Erfolg seiner Regierungen und vor
       allem der desolate Zustand der Opposition. Beides ist aktuell dabei, sich
       grundlegend zu verändern.
       
       Die Wirtschaftspolitik, lange die Paradedisziplin Erdoğans, ist längst zu
       seiner Achillesferse geworden. Die großen Wachstumsraten sind bereits seit
       2013 vorbei und die darauf folgende Stagnation hat sich mittlerweile in
       eine massive Krise verwandelt, aus der der autokratisch regierende
       Präsident keinen Ausweg mehr findet.
       
       Gleichzeitig ist die Opposition erstmals dabei, sich zu einer echten
       Alternative zu formieren. Unter Führung von Kemal Kılıçdaroğlu, dem
       Vorsitzenden der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, schmiedet die
       Opposition ein Sechs-Parteien-Bündnis, mit dem sie geschlossen gegen
       Erdoğan antreten will.
       
       Dazu gehören neben der CHP die rechte İyi-Partei (Gute Partei), die
       islamische Saadet-Partei und die früher führende konservative Demokratische
       Partei, DP, sowie die beiden Abspaltungen von der AKP, die DEVA des
       früheren AKP Finanz-und Wirtschaftsministers Ali Babacan und die
       Zukunftspartei des von Erdoğan geschassten Ex-Ministerpräsidenten Ahmet
       Davutoğlu.
       
       „Eine prinzipielle Einigung auf die Eckpunkte des Bündnisses steht“,
       bestätigte Koray Aydin, ein führender Vertreter der İyi-Partei, dieser
       Tage. Ebenfalls vor wenigen Tagen machte Parteichefin Meral Akşener klar,
       dass das Oppositionsbündnis einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten
       aufstellen will für die Wahl, die für Sommer 2023 angesetzt ist.
       
       ## Vorbild Kommunalwahlen
       
       Von der Seitenlinie hat auch die kurdisch-linke HDP dem Bündnis
       Unterstützung signalisiert. Vorbild sind die Kommunalwahlen im Frühjahr
       2019, bei denen es dem Bündnis von CHP und İyi-Partei ebenfalls mit
       indirekter Unterstützung der HDP gelungen war, [1][die AKP in den drei
       wichtigsten türkischen Städten Istanbul, Ankara und Izmir] zu besiegen.
       
       Der strategische Kopf dieses Bündnisses ist der lange belächelte
       CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu. Kılıçdaroğlu ist kein charismatischer
       Politiker und auch kein guter Redner, jahrelang sah es so aus, als könne er
       Erdoğan nicht das Wasser reichen. Doch er versteht es geschickt, hinter den
       Kulissen die Fäden zu ziehen, auch weil er sich als Person zurücknehmen
       kann.
       
       Zu Akşener hat er seit den Kommunalwahlen ein belastbares
       Vertrauensverhältnis aufgebaut, das Erdoğan trotz mehrerer Versuche, die
       İyi-Partei-Vorsitzende auf seine Seite zu ziehen, bislang nicht zerstören
       konnte. Die politische Basis dieses Bündnisses ist die Ablehnung des von
       Erdoğan durchgesetzten Präsidialsystems und die Rückkehr zum
       parlamentarischen System.
       
       Deniz Zeyrek, Kolumnist der größten Oppositionszeitung Sözcü, der gute
       Kontakte zu Kılıçdaroğlu hat, schrieb kürzlich: „Die sechs
       Oppositionsparteien sind sehr klar, was die Wiederherstellung des
       parlamentarischen Systems angeht. Die dafür notwendige Verfassungsänderung
       und die einzelnen Stationen des Übergangs sollen klar definiert werden.“
       
       ## Werden die Wahlen vorgezogen?
       
       Wer der gemeinsame Präsidentschaftskandidat wird, ist noch offen. Klar ist
       jedoch, dass es keine oder keiner der Vorsitzenden der Oppositionsparteien
       sein wird. Stattdessen wird immer wieder über die beiden populären neuen
       [2][Oberbürgermeister von Istanbul und Ankara, Ekrem İmamoğlu] und Mansur
       Yavaş spekuliert. Beide liegen in Umfragen deutlich vor Erdoğan, obwohl sie
       offiziell keine Kandidaten sind.
       
       Auch das Bündnis von CHP und İyi-Partei liegt in den meisten Umfragen
       deutlich vor der Regierungskoalition aus AKP und der rechtsradikalen MHP.
       Zwar sollen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen offiziell erst 2023
       stattfinden, doch spekulieren in Ankara etliche auf vorgezogene Wahlen.
       
       Präsident Erdoğan werde die Abstimmungen vorziehen, bevor die türkische
       Wirtschaft völlig zusammenbricht und eine Schuldenkrise wie in Griechenland
       2009 entsteht, glaubt Cumhuriyet-Autor Ergin Yıldızoğlu. Der Türkei stehe
       ökonomisch „ein perfekter Sturm“ bevor. Kommt es zu vorgezogenen Wahlen,
       ist die Opposition in der Türkei jedenfalls bereit.
       
       13 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kommunalwahl-in-der-Tuerkei/!5582145
 (DIR) [2] /Politische-Justiz-in-der-Tuerkei/!5765513
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in der Türkei
 (DIR) Opposition in der Türkei
 (DIR) Türkei
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Türkei
 (DIR) Türkei
 (DIR) Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Protest in der Türkei
 (DIR) Ekrem İmamoğlu
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Merkel-Besuch in der Türkei: Schwurbeltango zum Abschied
       
       Die Kanzlerin und Präsident Erdoğan umtänzeln auf ihrer letzten gemeinsamen
       PK jedes schwierige Thema. Man habe schließlich stets Lösungen gefunden.
       
 (DIR) Pizzabäcker Mahmut Güneş aus Bochum: In der Türkei verurteilt
       
       Der Deutsch-Kurde Mahmut Güneş soll Propaganda für die kurdische
       Arbeiterpartei PKK betrieben haben. Das Urteil: fast drei Jahre Haft.
       
 (DIR) Streitfall Osman Kavala in der Türkei: Ankara droht Rauswurf aus Europarat
       
       Straßburg hat die Freilassung von Osman Kavala angeordnet. Doch die Türkei
       ignoriert das Urteil – das könnte bald gewichtige Folgen haben.
       
 (DIR) Gescheiterter Putsch in Türkei: Über den Zenit
       
       2016 scheiterten Teile des türkischen Militärs mit einem Putschversuch
       gegen die Regierung Erdoğan. Mittlerweile regt sich neue Hoffnung.
       
 (DIR) Politische Justiz in der Türkei: Verfahren gegen Erdoğans Rivalen
       
       Istanbuls beliebter Bürgermeister Ekrem İmamoğlu gilt als Erzrivale des
       türkischen Präsidenten. Nun wird gegen ihn ermittelt.