# taz.de -- Wegen Pekings „Sicherheitsgesetz“: Amnesty schließt Büro in Hongkong
       
       > Die NGO hatte die Restriktionen von Hongkongs Zivilgesellschaft
       > dokumentiert. Nun wird die Organisation selbst zum Rückzug gezwungen.
       
 (IMG) Bild: Erstmal geschlossen: Eingang zum Büro von Amnesty International in Hongkong am 25. Oktober
       
       PEKING taz | Es hatte sich bereits abgezeichnet, am Montag folgte nun die
       offizielle Bestätigung: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty
       International schließt nach rund vier Jahrzehnten ihr Büro in Hongkong.
       
       Die Entscheidung sei „schweren Herzens“ getroffen worden, teilte die
       Vorstandsvorsitzende Anjhula Mya Singh Bais mit: Doch mittlerweile sei es
       „praktisch unmöglich, frei und ohne Angst vor ernsthaften
       Vergeltungsmaßnahmen seitens der Regierung zu arbeiten“.
       
       Der Grund dahinter ist das im Juli 2020 von Peking aufgezwungene Gesetz für
       nationale Sicherheit, das die Autonomie Hongkongs beendet und von Peking
       definierte „terroristische Aktivitäten“, „Sezession“ und „Zusammenarbeit
       mit ausländischen Kräften“ unter Strafe stellt.
       
       In der Praxis werden die vage formulierten Paragrafen dazu missbraucht,
       flächendeckend gegen die gesamte politische Opposition in Hongkong
       vorzugehen.
       
       ## Stimmungswandel in Hongkong
       
       Seither wurden dort über 150 Menschen auf Grundlage des Sicherheitsgesetzes
       festgenommen, darunter praktisch alle führenden Aktivisten der
       demokratischen Demonstrationsbewegung, doch auch Journalisten,
       Zeitungsverleger, Gewerkschafter und [1][Oppositionspolitiker].
       
       Jüngst am Montag wurde ein Hongkonger Aktivist wegen „Sezession“ schuldig
       gesprochen, weil er auf einer Demonstration Slogans wie „Befreit Hongkong,
       die Revolution unserer Zeit!“ und „Hongkongs Unabhängigkeit: der einzige
       Ausweg!“ angestimmt hatte. Sein Strafmaß wird am 11. November bekannt
       gegeben.
       
       Doch die Zäsur, die Hongkong in ein vorher und nachher teilt, hört nicht
       bei Gefängnisstrafen auf. Eine Stimmung der Paranoia und vorauseilender
       Gehorsam haben die einst autonome Stadt nachhaltig verändert. Mindestens 35
       Bürgerrechtsgruppen haben sich aus eigenen Stücken aufgelöst, darunter auch
       die Civil Human Rights Front, die alljährlich Demos zum Gedenken an das
       Tiananmen-Massaker 1989 in Peking organisiert haben.
       
       Hongkongs größter unabhängiger Dachverband mit mehr als 70 Gewerkschaften –
       die Confederation of Trade Unions – gaben am 3. Oktober ebenfalls ihre
       Auflösung bekannt. Laut eigenen Angaben erhielten führende Mitglieder – und
       deren Familienmitglieder – konkrete Drohungen von Hongkonger und
       chinesischen Sicherheitsdiensten.
       
       ## Wachsende Selbstzensur der Medien
       
       Die vielleicht letzte noch existierende unabhängige Organisation ist die
       „Hong Kong Journalists Association“. Sie setzt sich für die Anliegen der
       freien Presse ein.
       
       Doch spätestens mit der Verhaftung Jimmy Lais, dem Verleger der letzten
       Oppositionszeitung [2][Apple Daily], ist es mit der Medienfreiheit in
       Hongkong nicht mehr weit her. Die englischsprachige South China Morning
       Post berichtet nach wie vor kritisch, doch ist sie verglichen mit ihren
       früheren investigativen Recherchen nur mehr ein Schatten ihrer selbst.
       
       Die [3][Transformation Hongkongs] hat sich längst auf nur indirekt
       politische Gesellschaftsbereiche ausgeweitet. Lehrer haben aus Angst vor
       Repressionen sämtliche sensiblen Themen aus ihrem Unterricht gestrichen,
       Bibliotheken chinakritische Bücher entfernt und Museen Ausstellungen
       abgesagt.
       
       Wie massiv die Selbstzensur in Hongkong gewachsen ist, bekamen westliche
       Korrespondenten praktisch im Wochentakt mit: Aktivisten und Bürgerrechtler
       haben vor zwei Jahren noch offen Interviews gegeben. Wenig später folgte
       der Wunsch auf Anonymität, dann das Ausweichen auf verschlüsselte
       Kommunikationskanäle – und seit diesem Jahr ist praktisch niemand mehr
       bereit, überhaupt zu reden.
       
       Wie sollte es auch anders sein? Jedes pekingkritische Zitat in einer
       Zeitung kann von den Behörden schließlich als Angriff auf die nationale
       Sicherheit verwendet werden.
       
       ## Amnestys Basisarbeit wird Hongkong fehlen
       
       Amnesty International war eine der wenigen NGOs, die Pekings Repressionen
       gegen Hongkong allumfassend dokumentiert haben. Doch Amnesty hatte in
       Hongkong nicht nur Pressearbeit gemacht und Studien herausgegeben, sondern
       auch vor Ort Filmabende, Workshops an Schulen und öffentliche
       Diskussionsveranstaltungen organisiert.
       
       Nun wird man die Arbeit aus der Ferne weiterführen, schließlich unterhält
       Amnesty mehrere Büros in der Region. Doch es ist eine deprimierende
       Entwicklung, die sich auch innerhalb der Wissenschaft und der Medienbranche
       beobachten lässt: Kritische Informationen über China und Hongkong stammen
       immer öfter nicht von vor Ort.
       
       Die Staatsführung in Peking möchte sich längst nicht mehr auf eine
       kritische Auseinandersetzung einlassen, sondern das politische Narrativ
       vollends kontrollieren. Schlussendlich erreicht sie damit jedoch oftmals
       das genaue Gegenteil.
       
       25 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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