# taz.de -- NS-Erbe der Bundesanwaltschaft: Braune Kontinuitäten
       
       > Reihenweise NSDAP-Mitglieder: Eine Studie attestiert der
       > Bundesanwaltschaft in den Nachkriegsjahren einen fehlenden Bruch mit der
       > NS-Zeit.
       
 (IMG) Bild: Das Buch „Staatsschutz im Kalten Krieg“ zur Aufarbeitung der Geschichte der Bundesanwaltschaft
       
       BERLIN taz | [1][Peter Frank] verbrämt es nicht. Eine „aus heutiger Sicht
       fragwürdige Personalpolitik“ habe seine Behörde ab 1950 an den Tag gelegt,
       „belastete Kräfte“ hätten diese angeführt, räumt der Generalbundesanwalt am
       Donnerstag ein. In den Folgejahren aber habe es einen „erheblichen
       Lernprozess“ gegeben. Nun gelte es, aus der Geschichte zu lernen.
       
       Tatsächlich ist es kein Ruhmesblatt, das eine nun vorgestellte, 600 Seiten
       starken Studie der Bundesanwaltschaft attestiert. Vier Jahre lang hatten
       der Historiker Friedrich Kießling und der Rechtsprofessor Christoph
       Safferling die Geschichte der Behörde von 1950, dem Neustart nach der
       NS-Zeit, bis 1974 untersucht. Sie konnten erstmals komplett das Archiv der
       Bundesanwaltschaft einsehen, auch vertrauliche Akten.
       
       Das Ergebnis: Die Bundesanwaltschaft wurde damals maßgeblich von einstigen
       NSDAP-Mitgliedern geführt, einen [2][personellen Bruch mit dem NS-Zeit] gab
       es nicht. So seien noch 1953 rund 80 Prozent der Juristen der Behörde auch
       schon vor 1945 im NS-Justizsystem tätig gewesen. Bei den leitenden Bundes-
       und Oberstaatsanwälten waren es auch zehn Jahre später noch 75 Prozent.
       Zehn von elf Bundesanwälten seien 1966 ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen.
       Auch in den Siebziger Jahren sei der Anteil „noch erheblich“ geblieben.
       
       Gerade mit Blick auf den damals stattfindenden gesellschaftlichen Umbruch
       in Deutschland sei diese Form der NS-Kontinuität erstaunlich und „häufig
       nicht gesehen worden“, konstatieren die Forscher.
       
       ## Suche nach Expertise statt nach unbelastetem Personal
       
       Als Grund benennen sie, dass die Behörde nicht aktiv nach unbelastetem
       Personal suchte. „An erster Stelle stand die fachliche Expertise.“ Dabei
       hätte es – angesichts Tausender von den Nationalsozialisten [3][aus dem Amt
       gedrängten Juristen] – Alternativen gegeben. Stattdessen habe sich eine
       Juristenclique aus dem früheren Reichsgericht und der Reichsanwaltschaft in
       Leipzig ab 1950 wieder in der Bundesanwaltschaft zusammengefunden, die sich
       „wechselseitig empfahl und deckte“.
       
       Schon damals zum Skandal wurde der 1962 ernannte Generalbundesanwalt
       Wolfgang Fränkel. Er musste zugeben, dass er 1936 bis 1943 in der
       Reichsanwaltschaft in Leipzig auch bei nichtigen Anlässen auf mehrere
       Todesurteile gedrängt hatte. Er musste nach nur vier Monaten gehen.
       Strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Konsequenzen hatte sein früheres
       Schaffen nicht – ebenso wenig für alle anderen Juristen der
       Bundesanwaltschaft, die etwa an NS-Sonder- oder Militärgerichten
       mitwirkten.
       
       Auf der anderen Seite führte die Behörde ab 1956 mit Max Güde auch ein
       früheres NSDAP-Mitglied, der laut Studie Distanz zum Nationalsozialismus
       gewahrt hatte und bei seiner Einführung das Mitwirken der Justiz am
       NS-Regime klar benannte.
       
       ## Fokus auf Kommunistenverfolgung
       
       Dass sich die Behörde wenig um eine NS-Aufarbeitung kümmern musste, lag
       auch am damaligen Arbeitsfokus, der ab 1950 weitgehend die
       Kommunistenverfolgung war. Im rechtsextremen Bereich habe es dagegen
       keinen „systematischen Zugriff“ gegeben. Ausnahme seien die Verfahren 1956
       gegen den „Naumann-Kreis“ gewesen oder später gegen den Publizisten
       Friedrich Lenz.
       
       Auf dieser Grundlage sei der Übergang der Behörde in den demokratischen
       Rechtsstaat dennoch „erstaunlich gut“ gelungen, befinden die Autoren. Dazu
       beigetragen habe das Selbstverständnis ab 1950, einzig „Diener des Rechts“
       zu sein und sich gegen Zugriffe der Politik zu verwehren – wenn auch es
       diese vereinzelt weiter gegeben habe. Eine Abnabelung, die indes auch zur
       Entfremdung der gesellschaftlichen Umbrüche führte und 1962 auch zur
       [4][Spiegel-Affäre]. So blieben die Juristen damals letztlich
       „Staatsfreunde, die der offenen Gesellschaft auch 25 Jahre nach der Bonner
       Republikgründung im Grunde misstrauten“, heißt es bilanzierend.
       
       Der amtierende Generalbundesanwalt Frank beteuerte bei der
       Studienvorstellung am Donnerstag, die Aufklärung solle kein Schlusspunkt
       sein. Wichtig sei für seine Behörde auch heute, „wachsam zu bleiben“, gegen
       äußere Bedrohungen und ein rein rechtstechnisches Arbeitsverständnis. Es
       brauche stets auch eine „ethische Fundierung“.
       
       Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, sie begrüße es
       sehr, dass sich die Bundesanwaltschaft mit ihrer „belasteten Vergangenheit“
       auseinandersetze. Als Organ des Staatsschutzes könne es seiner
       Verantwortung nur gerecht werden, „wenn man die eigene Vergangenheit kennt,
       wenn man sie reflektiert und sich mit ihr kritisch und offen
       auseinandersetzt“.
       
       18 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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