# taz.de -- Neue Filme aus Lübeck: Filmstadt aus Versehen
       
       > Lübeck ist keine Filmmetropole. Trotzdem passiert dort einiges. Beim Geld
       > aber ist die Konkurrenz aus Hamburg noch groß.
       
 (IMG) Bild: Eine Wohnung wie ein Museum: „Alles in bester Ordnung“ von Drehbuchautor Martin Rehbock
       
       LÜBECK taz | Immer im November wehen in Lübeck die blaugrünen Flaggen mit
       dem Logo der [1][„Nordischen Filmtage“] – die Filmszene trifft sich zum
       größten Festival für nordeuropäisches und baltisches Kino. Es ist ein
       Heimspiel für den Filmemacher [2][Martin Rehbock], der 2021 mit zwei
       Produktionen dabei war. „Dass ich nicht in Berlin, München oder Köln lebe,
       gehört bei mir dazu“, sagt er lächelnd. Der Münchner, der mit „About a
       girl“ bekannt wurde, zog 2014 hierher, weil er am Meer wohnen wollte. Kein
       Problem, „im Filmgeschäft ist man sowieso immer unterwegs“.
       
       Doch nicht immer muss er reisen. Den Spielfilm „Der menschliche Faktor“
       produzierte er von Lübeck aus. Die Geschichte beobachtet eine
       kosmopolitische Familie, die in ihrem belgischen Ferienhaus Einbrecher
       überrascht. Weil jedes Familienmitglied die Situation anders erlebt, bleibt
       in dem multiperspektivisch erzählten Setting bis zum Schluss offen, was
       tatsächlich geschehen ist.
       
       Hat der Einbruch etwas mit der Arbeit der Eltern für eine politische Partei
       zu tun? Hätten sie ihn verhindern können? Oder hat er vielleicht gar nicht
       stattgefunden? Kleine Brüche nisten sich im Familiengefüge ein und wachsen
       wie ein Schimmelgeflecht an die Oberfläche. Vor den „Nordischen Filmtagen“
       wurde das Drama erfolgreich auf dem Sundance-Festival und der Berlinale
       gezeigt und läuft demnächst in den Kinos an.
       
       Als Produzent hatte Rehbock Glück, dass die Dreharbeiten vor den Lockdowns
       schon abgeschlossen waren. Für die Tragikomödie „Alles in bester Ordnung“
       mit Corinna Harfouch, Daniel Sträßer und Joachim Król dagegen musste der
       Dreh wegen Corona drei Monate unterbrochen werden. Die Geschichte spannt
       sich um die Begegnung zwischen dem Minimalisten Fynn, der weniger als
       hundert Dinge besitzt, und Marlen, die ihre Wohnung mit tausenden
       Gegenständen teilt. Sie umkreist die Frage, welches Verhältnis Menschen zu
       Dingen haben.
       
       Als Drehbuchautor hat Martin Rehbock Dialoge geschrieben, die auf den Punkt
       sitzen. In einer Szene steckt Marlen eine Lampe ein, die Fynn nach einem
       Wasserschaden weggeworfen hat. „Ich brauche die Lampe nicht, um mich an Sie
       zu erinnern“, sagt er. Sie kontert: „Ich brauche Sie nicht, um mich an die
       Situation zu erinnern.“ Es macht Spaß, den ProtagonistInnen zuzuhören, auch
       wenn es schwer fällt, der Geschichte deren ungleiche Freundschaft zu
       glauben.
       
       Als Drehbuchautor ist Rehbock kein Sammler, er hat beim Schreiben „viele
       Szenen wieder weggenommen“, sagt er. Ebenfalls puristisch ist das Buch zu
       „Niemand ist bei den Kälbern“ mit Saskia Rosendahl („Werk ohne Autor“,
       „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“). Der Film geht auf eine Romanvorlage
       der in Lübeck geborenen Schriftstellerin Alina Herbing zurück.
       
       Rosendahl spielt die 24-jährige Christin, die mit ihrem langjährigen Freund
       auf dem Hof seiner Eltern in Mecklenburg arbeitet. Es wird wenig
       gesprochen, und im Gefüge der Arbeitsabläufe hat Christin nicht viel zu
       melden. Ihr Blick erzählt von einer Sehnsucht, die nach der Begegnung mit
       einem Hamburger Windrad-Installateur konkret wird. Die Nachwende-Realität,
       der Streit um Windräder, Nazis und die Landflucht der Ost-Frauen laufen
       durchs Bild, ohne dass es dafür plumpe Explizitheit oder gar
       eindimensionale Rollenbilder braucht.
       
       Die Anti-Romanze wurde auf einem Landgut zwischen Lübeck und Eutin gedreht,
       doch die Filmschaffenden reisten aus allen Himmelsrichtungen an.
       
       So war es auch, als im August 2021 in Lübeck das Beziehungsdrama „Und dass
       man ohne Täuschung zu leben vermag“ entstand. Produziert hat es die lokale
       Arthouse-Produktionsfirma „Silva Film“. Gute Drehorte gibt es in
       Schleswig-Holstein, sagt Geschäftsführer Tobias Gaede, doch was fehlt, ist
       professionelles Personal. Sogar im Nachbarland Mecklenburg sei das anders.
       „Vor Kurzem haben wir in Rostock einen Film gedreht und konnten fast das
       komplette Team vor Ort zusammenstellen.“
       
       Er hofft, dass sich da etwas ändert. Der Geschäftsführer der Filmförderung
       Hamburg Schleswig-Holstein Helge Albers ist optimistisch: Die Region habe
       „eine sehr interessante Szene junger Kreativer“. Für das nötige Kleingeld
       hat die Filmförderung das Ziel ausgegeben, mehr Produktionen in dem
       Flächenland zu unterstützen. Bisher ging ein relativ großer Anteil der
       Gelder nach Hamburg.
       
       Tobias Gaede lobt die Politik der hiesigen Filmförderung als
       „fortschrittlich, mit einem hohen Diversitäts-Anspruch“. Ein Riesen-Plus
       ist die Möglichkeit der Online-Bewerbung: „Bei einigen anderen
       Filmförderanstalten muss man einen Schuhkarton voll Papier einreichen.“
       Außerdem ist die Konkurrenz viel geringer als beispielsweise in Berlin.
       
       Trotzdem ist es oft eine Zitterpartie, ob die Finanzierung klappt: „Wir
       haben schon Drehbücher umgeschrieben, um zum Beispiel eine dänische
       Koproduktion zu bekommen.“ Dass der NDR seine Nachwuchsförderung für
       Spielfilme eingestellt hat, mache es nicht leichter.
       
       Für Lübeck als Filmstadt spricht, dass es „ein großes Interesse für Kultur
       gibt, auch solche, die herausfordernd ist.“ Das Filmfestival trägt dazu
       bei, dass die Lübecker wissen, was Arthouse ist. Deshalb fand das
       „Silva“-Team für seinen jüngsten Film seine wichtigste Location auch hier:
       ein Lübecker Privathaus.
       
       24 Dec 2021
       
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