# taz.de -- Renaissance der AKWs?: Atomkraft? Nein danke!
       
       > Viele glauben, dass uns nur Atomkraft vor dem Klimakollaps retten kann.
       > Das ist Unfug. Atommeiler sind unsicher und zu teuer.
       
 (IMG) Bild: Bauarbeiten im Inneren des Kernreaktors Olkiluoto-3 in Finnland im August 2017
       
       Drei Atomkraftwerke gehen [1][zum Jahresende vom Netz], und 42 Prozent der
       Befragten bezweifeln inzwischen, dass es eine gute Idee war, diese Meiler
       stillzulegen. Damit hat sich die Stimmung gedreht: Nachdem 2011 ein Tsunami
       die Reaktoren im japanischen Fukushima verwüstet hatte, waren 80 Prozent
       der Deutschen davon überzeugt, bis 2022 alle Atomkraftwerke abzuschalten.
       
       Mit der Klimakrise ergeben sich jedoch neue Prioritäten. Atomenergie hat
       immerhin den Vorteil, dass sie kaum Treibhausgase emittiert und verlässlich
       Strom liefert, während Windräder und Solarpaneele bei Flaute oder
       Dunkelheit ausfallen. Nicht wenige Ökonomen, Publizisten und Unternehmer
       fordern daher, zur Atomenergie zurückzukehren.
       
       [2][Doch die Atomenergie hat keine Zukunft.] Die Meiler sind gefährlich,
       für den radioaktiven Müll gibt es kein Endlager, und kommerziell lohnt sich
       die Atomkraft nur, weil sie vom Staat mit Milliarden subventioniert wurde.
       Die Atomkraft ist die einzige Technik, die ständig teurer wird.
       Normalerweise werden Produkte billiger, je häufiger sie hergestellt werden.
       Man denke nur ans Smartphone. Bei den Reaktoren hingegen entwickelt sich
       fast jeder Neubau zum Fiasko.
       
       Berühmt-berüchtigt ist der finnische Reaktor Olkiluoto-3, der 2005
       begonnen wurde. Ursprünglich sollte er 2009 betriebsbereit sein und 3
       Milliarden Euro kosten. Jetzt geht der Reaktor wohl 2022 ans Netz und ist
       mehr als dreimal so teuer geworden. Die Finnen rechnen nicht mehr damit,
       dass dieser Reaktor jemals rentabel sein wird.
       
       Olkiluoto-3 sollte eigentlich eine Erfolgsstory werden: Er war der erste
       „europäische Druckwasserreaktor der dritten Generation“. Zu diesem Typus
       gehört auch ein neuer Meiler im französischen Flamanville, der 2012 ans
       Netz gehen und ursprünglich 3,3 Milliarden Euro teuer sein sollte.
       Inzwischen liegen die Kosten schon bei 19 Milliarden Euro, aber vor 2023
       wird der Reaktor garantiert nicht fertig.
       
       Zudem wird die Atomkraft überschätzt: Derzeit deckt sie nur ganze 4,27
       Prozent des globalen Energieverbrauchs ab. Das ist fast nichts. Weltweit
       müssten etwa 15.000 neue Reaktoren entstehen, wenn sie die fossilen
       Brennstoffe ersetzen sollen. Momentan gibt es aber auf der ganzen Erde nur
       441 Meiler.
       
       Atom-Befürworter lassen sich dennoch nicht beirren. Besonders beliebt ist
       die Idee, Minireaktoren zu bauen, die auf der ganzen Welt dezentral Energie
       erzeugen sollen. Zunächst wirkt die Idee bestechend. Da diese Minireaktoren
       nur so groß wie zwei Fußballfelder wären, ließen sich die Bauteile
       standardisieren und am Fließband produzieren. Endlich hätte die
       Serienfertigung auch den Atomstrom erreicht, was ihn viel billiger machen
       würde.
       
       ## Kleine effektive Reaktoren – eine Illusion
       
       Minireaktoren, das klingt futuristisch, aber in Wahrheit ist die Idee
       uralt. Schon in den 1950er Jahren träumte man vom „Kraftwerk in der Kiste“,
       von Kleinreaktoren als Flugzeugantrieb und sogar von „Babyreaktoren“ als
       Heizungen. Es kam bekanntlich anders. Minireaktoren wurden nie gebaut,
       stattdessen entstanden gewaltige Atomkraftwerke, die eine Leistung von bis
       zu 1.450 Megawatt aufweisen. Große Kraftwerke sind schlicht effizienter –
       und der Strom damit billiger.
       
       Außerdem bleibt ein Problem: Das Uran reicht gar nicht, um die fossilen
       Brennstoffe weltweit zu ersetzen und den ganzen Globus mit klimaneutraler
       Energie zu versorgen. Die Vorräte wären nach etwa 13 Jahren erschöpft, wenn
       man die bisherigen Reaktortypen nutzt. Theoretisch wäre es zwar möglich,
       Schnelle Brüter zu bauen, um das Uran besser auszunutzen. Auch könnte man
       andere Mineralien wie etwa Thorium verwenden oder das Uran im Meerwasser
       herausfiltern.
       
       Diese Technologien sind aber nicht ausgereift. Manche wurden noch nie
       ausprobiert, andere befinden sich im Versuchsstadium oder wurden wieder
       fallengelassen. Keine dieser Technologien wird in den nächsten Jahrzehnten
       marktreif sein – falls dies denn je gelingt. Jedenfalls kommen sie zu spät,
       um den Klimakollaps abzuwenden.
       
       So mühsam es ist: Windräder und Solarpaneele sind die einzige Möglichkeit,
       um ausreichend klimaneutrale Energie zu gewinnen.
       
       30 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/atomausstieg-133.html
 (DIR) [2] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/fakt/videosextern/warum-uns-die-atomkraft-in-der-klimakrise-nicht-hilft-102.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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