# taz.de -- Journalistischer Zukunftsblick: Mediale Neujahrsvorsätze
       
       > Neues Personal, große Versprechen – und nach wie vor jede Menge Krise.
       > Was 2022 medienpolitisch zu erwarten ist.
       
 (IMG) Bild: Gedenkveranstaltung in Bratislava für den 2018 ermordeten Journalisten Jan Kuciak
       
       ## Pressefreiheit schützen
       
       Pressefreiheit ist [1][auch in Ländern der Europäischen Union keine
       Selbstverständlichkeit]. Das EU-Parlament plant für 2022 ein
       Medienfreiheitsgesetz. Im September sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula
       von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union: „Journalistinnen und
       Journalisten werden angegriffen, einfach nur, weil sie ihre Arbeit machen.
       Einige werden bedroht und verprügelt, andere tragischerweise ermordet.“ Sie
       nannte in diesem Zusammenhang die Namen der ermordeten Journalist:innen
       Daphne Caruana Galizia, Ján Kuciak und Peter de Vries.
       
       Das Medienfreiheitsgesetz soll dabei ein legislatives Instrument sein, um
       die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien in der EU zu schützen und
       Medienpluralismus zu stärken. Das wird die Kommission 2022 noch
       konkretisieren müssen. Die Ankündigung ist aber auch eine Reaktion auf die
       Bedrohung der Presse in Ländern wie Ungarn, Slowenien und Polen. Letzteres
       Land ringt derzeit um ein umstrittenes Rundfunkgesetz, das die
       EU-Kommission als Gefahr für die Pressefreiheit scharf kritisiert. Der
       polnische Präsident Andrzej Duda hat Montag sein Veto gegen das Gesetz
       eingelegt.
       
       ## Frohes Neues, Genoss:innen!
       
       Die Zeitung ND (Neues Deutschland) ist ab Januar eine Genossenschaft.
       „Viele wichtige Ereignisse im Leben passieren mit einem Knall“, schrieb
       Ines Wallrodt, Mitglied der Chefredaktion und des Gründungsvorstands der
       ND-Genossenschaft, im November. „Und es gibt große Ereignisse, die
       vollziehen sich still und leise.“ Alle Formalien für den Neustart in neuer
       Form seien nun erfüllt, hieß es da unter dem Titel „Geschafft!“.
       
       Lange schien die Zukunft des ND ungewiss. Im Februar war bekannt geworden,
       dass sich die bisherigen Gesellschafter zurückziehen und die
       Eigentümerstruktur der Zeitung verändern würden. Bisher gehörte die
       ehemalige SED-Zeitung zur Hälfte der Nachfolgepartei Die Linke
       beziehungsweise deren Gesellschaft Fevac. Zur anderen Hälfte gehörte sie
       einer Beteiligungsgenossenschaft, der Communio eG, die der Partei
       nahesteht. Im August wurde dann [2][der Plan verkündet, der nun
       verwirklicht wird]. Mehr als 550 Mitgliedsanträge liegen laut ND schon vor,
       Anfang des Jahres soll die erste Generalversammlung stattfinden. Die taz
       sagt: Herzlich willkommen im Kreis der Genossenschaften, liebe
       Genoss:innen!
       
       ## Journalismus fördern
       
       Wer als journalistisches Medium keine Genoss:innen hat, auf die er oder
       sie selbst in Krisenzeiten zählen kann, wünscht sich womöglich Hilfen vom
       Staat. Eine staatliche Presseförderung war lange Zeit ein Tabu. Aber mit
       der Zeitungskrise hat sich die Debatte gewandelt. Man hat gemerkt, dass
       Journalismus auch dann wichtig ist, wenn er sich auf dem freien Markt rein
       wirtschaftlich nicht behaupten kann. Lokaljournalismus etwa ist vielerorts
       kostspieliger als die Aboeinkünfte, die er noch erwirtschaften kann. Aber
       auch wichtige investigative Recherchen zu komplexen Themen können ein Loch
       ins Budget von Medienunternehmen fressen, das in keinem Verhältnis zur
       Aufmerksamkeit steht, die diese generieren.
       
       Allerdings scheiterte ein Vorschlag zur Presseförderung der alten Regierung
       an den Einwänden neuerer Medienunternehmen. Denn in dem Entwurf wären nur
       traditionelle Verlage für ihre Printabo-Einbußen entschädigt worden. Die
       Grünen, die jetzt mitregieren, haben dieses Jahr eine Presseförderung
       vorgeschlagen, die auch auf Vielfalt und Innovation schaut. Konkret geplant
       ist dazu jedoch nichts. Die Ampelregierung schreibt in ihrem
       Koalitionsvertrag einzig, dass man Förderungsmöglichkeiten „prüfen“ werde.
       Was im Koalitionsvertrag aber schon versprochen wird: Man werde
       „Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“ schaffen. Wenn bestimmte
       Ńon-Profit-Medien künftig als gemeinnützig anerkannt werden könnten, hätte
       das große Vorteile für sie. Spenden an sie ließen sich dann von der Steuer
       absetzen.
       
       Das ist allerdings ein Versprechen für die vierjährige Legislatur – nicht
       unbedingt für 2022. Was fürs kommende Jahr erst mal nur sicher ist, ist
       [3][eine etwas magere Förderung für maximal fünf journalistische Projekte],
       die die alte Regierung noch eingesetzt hat.
       
       ## „Und nun zum Klima“
       
       Das deutsche Fernsehen kann sich bisher nicht durchringen, tägliche
       Klima-News im TV einzuführen. Was die „Klima vor acht“-Initiative
       hierzulande fordert, kommt 2022 in Österreich – beinahe. Denn der
       öffentlich-rechtliche ORF hat fürs neue Jahr zwar kein tägliches, aber
       immerhin ein wöchentliches Klimamagazin versprochen. Da wird den Boomern im
       Publikum also etwas zugemutet. Und nicht nur da. Das Design von Österreichs
       wichtigster Nachrichtensendung „ZIB“ soll sich im Herbst ändern.
       
       ## Die Erste im Ersten
       
       [4][Patricia Schlesinger] ist ab 1. Januar die Vorsitzende der neun
       ARD-Anstalten. Schlesinger ist Intendantin des Rundfunks
       Berlin-Brandenburg. Damit ist erstmals eine RBB-Chef:in Vorsitzende des
       Senderverbunds. Schlesinger übernimmt von WDR-Intendant Tom Buhrow. Das Amt
       wird alle zwei Jahre an eine neue Person übergeben. Mit dem politischen
       Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags, der Buhrows Amtszeit prägte,
       wird Schlesinger weniger zu tun haben. Über den Rundfunkbeitrag wird erst
       2024 wieder gestritten. Aber gespart werden muss trotzdem. Auch bei 18,36
       Euro im Monat wirtschaften die ARD-Anstalten mit einem Minus. Und dann ist
       da noch die Digitalisierung. Massive Reformen werden gebraucht, damit der
       öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Publikum auch künftig erreicht.
       
       ## Der Neue im Zweiten
       
       Auch beim ZDF gibt es 2022 eine neue Spitze. Norbert Himmler übernimmt im
       März von Thomas Bellut die Intendanz. [5][Himmler hatte sich gegen
       Mitbewerberin Tina Hassel vom ARD-Hauptstadtstudio durchgesetzt]. Er
       verspricht mehr Nachhaltigkeit beim Sender.
       
       ## Wofür Öffentlich-Rechtliche?
       
       Was ARD-Chefin Schlesinger und den künftigen ZDF-Chef in jedem Fall
       beschäftigen wird, ist der „Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“.
       Der Medienstaatsvertrag, der diesen definiert, soll 2022 in einigen Punkten
       überarbeitet werden. Der Medienstaatsvertrag ist ein Gesetz, das zwischen
       den Bundesländern ausgehandelt wird. [6][Ein Änderungsentwurf steht zurzeit
       online] und kann dort noch bis Mitte Januar von der Öffentlichkeit
       kommentiert werden.
       
       ARD, ZDF und Deutschlandradio wurden explizit verpflichtet, allen die
       Teilhabe an der medialen Diskussion zu ermöglichen. Aufgeführt sind konkret
       „alle Altersgruppen, insbesondere von Kindern, Jugendlichen und jungen
       Erwachsenen“, sowie Menschen mit Behinderungen und Familien.
       
       Interessant ist außerdem ein Punkt, der im Änderungsvorschlag noch in
       eckigen Klammern steht. „Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben [im
       Schwerpunkt] der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen.“
       Dieses „im Schwerpunkt“ könnte Diskussionen darüber befeuern, wie viel
       Platz Unterhaltung in den öffentlich-rechtlichen Sendern bekommen sollte.
       
       Äußern werden sich zum Entwurf neben anderen in jedem Fall die
       Privatsender. Für die ist der „Auftrag“ der Öffentlich-Rechtlichen im
       Gesetz von großer Relevanz, weil er entscheidet, wo die
       privatwirtschaftlichen Unternehmen mit den beitragsfinanzierten Sendern
       konkurrieren müssen – und wo nicht. Der Privatsenderverband Vaunet fordert
       deshalb zum Beispiel ein Werbeverbot für die Öffentlich-Rechtlichen; und
       möchte, dass es den Sendern weiterhin verboten bleibt, in ihren Mediatheken
       Sendungen aus dem Nicht-EU-Ausland anzubieten.
       
       ## Eins nach dem anderen
       
       Der Instagram-Feed wird wieder chronologisch. In den Anfangszeiten der App
       sahen Nutzer:innen alle Posts im Feed in der Reihenfolge, in der sie
       gepostet wurden. Dann fing die App an, den Feed algorithmisch
       umzusortieren. Damit soll bald Schluss sein. Instagram-Chef Adam Mosseri
       hat angekündigt, im Frühjahr werde eine „Version“ des früheren
       chronologischen Feeds wieder implementiert. Das bedeutet für die
       Insta-Nutzer:innen: bessere Transparenz und Kontrolle über ihren
       Medienkonsum. Und das könnte überhaupt ein Trend werden für 2022.
       
       30 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /:
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 (DIR) [4] /40-Jahre-AG-Dokumentarfilm/!5665947
 (DIR) [5] /Oeffentlich-rechtlicher-Rundfunk/!5783931
 (DIR) [6] https://www.rlp.de/de/regierung/staatskanzlei/medienpolitik/rundfunkkommission/reform-ard-zdf-deutschlandradio/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erica Zingher
 (DIR) Peter Weissenburger
 (DIR) Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
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