# taz.de -- Berliner Mauerradweg vor Vollendung: Einmal um Westberlin
       
       > In diesem Jahr soll die letzte Lücke im Mauerradweg geschlossen werden.
       > Der führt 160 Kilometer entlang der ehemaligen Berliner DDR-Grenze.
       
 (IMG) Bild: Ein Tunnel macht es möglich: Bald soll der Radweg das alte Westberlin komplett umrunden
       
       BERLIN taz | Als würden sie Metapher spielen, kreisen die Krähen über dem
       Invalidenfriedhof in Berlin-Mitte. Ihr heiseres Krächzen übertönt das
       Gezwitscher der Spatzen, und wenn in der Entfernung ein verspäteter Böller
       hochgeht, fliegt unter tosendem Flügelschlagen eine schwarze Wolke über die
       Gräber. Mittendrin ragen die grauen Platten der Mauer aus dem
       moosbewachsenen Boden. Die Überreste der Grenzanlage sehen aus wie riesige
       Betongräber, auf denen die Inschrift vergessen wurde. Dafür schimmert unter
       der grauen Isolierfarbe an einer Stelle noch Graffiti durch: „See I love
       how your hands feel“.
       
       Über den Friedhof führt ein Weg – und noch sehr viel weiter: [1][160
       Kilometer kann man auf ihm radfahren], um am Ende wieder vor diesen Gräbern
       zu stehen. Der Weg schlängelt sich entlang der alten DDR-Grenzanlagen um
       Westberlin. Günter Litfin kletterte am 24. August 1961 in der Nähe des
       Invalidenfriedhofs über die Betonplatten und versuchte, durch den
       Humboldthafen nach Westberlin zu schwimmen. Er war der erste von mindestens
       140 Mauertoten. Vieler von ihnen wird entlang des Radwegs gedacht.
       
       ## Ein Lückenschluss
       
       Beginnt man den Rundweg am Invalidenfriedhof Richtung Süden, fährt man
       zuerst durch die Berliner Innenstadt: Reichstagsgebäude, Brandenburger Tor,
       Holocaust-Mahnmal. Immer weiter kann man fahren, bis man das alte
       Westberlin einmal ganz umrundet hat.
       
       Ganz umrundet? Nein, vollständig auf den Spuren der Mauer kann man
       Westberlin erst in Zukunft umrunden. Im November vergangenen Jahres
       beschloss der Senat, die [2][letzte Lücke im Mauerweg] zu schließen. Diese
       liegt in der Nähe des S-Bahnhofs Mahlow, ganz im Süden der Stadt. Bisher
       muss man hier noch einen Umweg fahren, über Kopfsteinpflaster und
       Trampelpfade. Nun soll eine Unterführung kommen: unter der sich gerade im
       Bau befindenden Dresdner Bahn sowie der S-Bahn-Linie 2 hindurch.
       
       Zuletzt drohte das Projekt allerdings doch noch zu scheitern: Die Kommune
       Mahlow und der Berliner Senat waren sich über die Finanzierung uneins. Und
       die Deutsche Bahn befürchtete, das Projekt könnte der Fertigstellung der
       Strecke in die Quere kommen, über die nicht nur der Zug nach Dresden,
       sondern auch der Express zum neuen Flughafen fahren soll. Doch inzwischen
       ist der Tunnel beschlossene Sache.
       
       Der Mauerweg erinnert zwar mit all seinen Denkmälern an ein düsteres
       Kapitel DDR-Geschichte, aber letztlich dreht er sich ganz buchstäblich um
       Westberlin. Die Ausmaße dieser vergangenen Stadt macht der Radweg ebenso
       erfahrbar wie die Schrecken der Grenzanlagen. Manche fühlten sich hinter
       der Mauer wie im Knast, andere gehen noch heute nur selten über sie
       hinweg.
       
       In der Berliner Innenstadt ist die ehemalige Grenze kaum noch zu sehen. Nur
       stellenweise erinnert eine doppelt gepflasterte Schneise im Boden an die
       Betonmauer, die hier einmal stand. Durch das Brandenburger Tor schlendern
       heute Touristen.
       
       ## Schrecken in den Knochen
       
       Kurz vor der Wiederankunft am Friedhof führt der Weg an der Bornholmer
       Straße durch einen Kirschblütenwald, gespendet von einem japanischen
       TV-Sender zum Fall der Mauer. Die rosa Frühlingsblüten stehen in Japan für
       Frieden. Und friedlich ist die Allee an der Bornholmer Straße – auch im
       Winternebel.
       
       Friedlich wäre auch der Friedhof, den man jetzt von der anderen Seite
       wieder erreicht, wenn da nicht die Krähen wären. Am Eingang steht ein
       Schild zum Gedenken an das medizinische Personal in den Kriegen; auf dem
       Friedhof eines, das der Opfer der Luftangriffe gedenkt. Gleich weiter
       mehrere Tafeln, an denen Mauertote betrauert werden.
       
       Gedenken häuft sich auf Gedenken. Berlin ist größer und friedlicher
       geworden, aber der Schrecken sitzt dieser Stadt noch immer in den Knochen.
       
       11 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanno Rehlinger
       
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