# taz.de -- Die Wahrheit: Gefüllter Krautkopf „Bielefeld“
       
       > Wie macht man dem woken Sohn Bennie bloß wieder Lust auf Salamipizza mit
       > doppelt Käse und Spaghetti mit Tomatensauce? Da hilft nur eine List …
       
       Luis war totenblass, als er das Café Gum betrat. Die Duftwolke, die ihn
       umgab, roch nach Küchendunst, feuchtem Wischlappen und abgestandenem
       Spülwasser. „Puah“, machte Raimund, „du müffelst wie meine Großtante
       Auguste selig. Hat’s bei euch zerkochten Kohl gegeben?“
       
       Luis seufzte. „Bennie isst keine Pizza mehr.“ – „Dein Sohn isst keine Pizza
       mehr? Donnerlüttchen! Wird ihm allerdings nicht schaden, er ist in den
       letzten Jahren ziemlich moppelig geworden.“ – „Stimmt“, sagte Luis. „Aber
       muss es deshalb gleich Gefüllter Krautkopf ‚Bielefeld‘ sein?“
       
       „Na ja“, meinte Raimund, „Hausmannskost ist ja nicht per se scheußlich.
       Vielleicht solltest du Beate mitteilen, dass man Kohl keine drei Stunden
       auf dem Herd lassen sollte.“ – „Phh! Beate hat das nicht gemacht. Sie
       weigert sich.“ – „Sie weigert sich?“ – „Bennie kocht selbst. Und der hat
       leider keine Ahnung von dem im Kohl verborgenen Grauen.“ – „Aber warum
       weigert sich Beate?“ – „Sie sagt, sie habe damals in der Schule ihre Klasse
       im Kochunterricht nicht gegen Kohlrabi in grauem Mehlkleister aufgehetzt,
       um jetzt wieder provinzielle Pampe zu kochen. Sie will internationalen
       Esprit und kulturelle Vielfalt.“
       
       Raimund überlegte. „Dann soll sie Spaghetti Carbonara machen oder
       Madras-Curry mit Gemüse!“ – „Keine Pizza, keine Pasta, kein Curry. Bennie
       isst das alles nicht mehr“, beschied Luis. „Und warum?“, fragte ihn
       Raimund. „Weil es faschistisch ist!“ – „Spaghetti sind faschistisch?!“ –
       „Natürlich nicht Spaghetti an sich. Italiener dürfen Spaghetti essen. Aber
       wenn du Spaghetti isst, raubst du den Italienern die Kultur. Es ist so was
       Ähnliches wie Kolonialismus.“
       
       ## Zertifikat für die Salamipizza
       
       Raimund stutzte. „Ich dachte, die Chinesen haben die Nudel erfunden?“ –
       „Egal: Dann beraubst du halt die Chinesen!“ – „Aber dürfen die Italiener
       dann Pasta essen?“ – „Keine Ahnung“, Luis war am Anschlag, „frag Bennie! Er
       hat sich neulich sogar vor den Tomatenkisten in Ümits Supermarkt zu einer
       Mahnwache für die ermordeten Ureinwohner Lateinamerikas hingesetzt.“ – „Das
       heißt: Selbst wenn die Italiener die Nudel erfunden haben sollten, dürfen
       sie ihre Spaghetti nicht mehr mit Tomatensauce machen?“, fragte Raimund
       Luis. „So sieht es aus.“
       
       „Außer“, schloss Raimund, „man stammt von einem aztekischen Häuptlingssohn
       ab, der als blinder Passagier auf einer von Columbus’ Karavellen nach Cádiz
       gelangt ist. Und der, nach vielen Irrungen und Wirrungen, in Venedig eine
       mandeläugige Schönheit kennen lernte, deren Großvater ein Abenteurer aus
       Xi’an war, der Marco Polo auf der Rückreise nach Europa begleitet hatte.
       Könnte ja sein, dass die beiden Kinder zeugten, von denen es eines auch
       über die Alpen in eine ferne deutsche Provinzstadt verschlug. Letztlich ist
       das eine Frage der wissenschaftlichen Stammbaumforschung.“
       
       Und es wunderte niemanden, als Raimund bald Luis ein täuschend echt
       aussehendes Zertifikat übergab, das Bennie wieder Lust auf Salamipizza mit
       doppelt Käse und Spaghetti mit Tomatensauce machte.
       
       25 Jan 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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