# taz.de -- Erinnerungen an die Studienjahre: Roaring twenties reloaded
       
       > Oberbürgermeister Belit Onay hofft auf goldene Zwanziger für Hannover.
       > Die goldenen Zwanziger der Kolumnistin spielten zufällig auch in
       > Hannover.
       
 (IMG) Bild: Der Glanz der späten 1920er Jahre: Die Kuppel des Anzeiger-Hochhauses in Hannover
       
       Oberbürgermeister Belit Onay hat seine Neujahrsansprache mit der Pointe
       enden lassen: „Wer weiß, vielleicht beginnen für Hannover gerade die
       Goldenen Zwanziger“. Das ist natürlich ein bisschen leichtsinnig, weil man
       sich ja in Deutschland zwanghaft immer fragt, ob diese schönen Zwanziger
       überhaupt zu haben sind, [1][ohne die dreckigen Dreißiger gleich mit in
       Kauf nehmen zu müssen], aber sei es drum.
       
       Ich habe jedenfalls meine persönlichen goldenen Zwanziger in dieser Stadt
       (und ein paar italienischen) verlebt, [2][ich erwähnte das vielleicht schon
       mal]. Das beschert mir immer noch eine ganze Reihe von seltsamen Déjà-vus
       und kleinen Löchern im Raum-Zeit-Kontinuum.
       
       Vielleicht kennen Sie das, wenn Sie woanders studiert haben und nach Jahren
       zurückkommen. Man flackert sozusagen geistig ständig zwischen seinem jungen
       und seinem alten Ich hin und her. Wenn ich durch Linden-Nord oder Bologna
       laufe, wird mir davon regelrecht schwindelig.
       
       Auf der einen Seite springt einen von manchen Fassaden aus sofort so eine
       verschwommene Erinnerung an, an diese oder jene WG-Party, Geknutsche im
       Regen, durchquatschte Nächte, unfassbar geistreiche Gespräche (so brillant
       und geistreich wie man sich eben nur nachts mit Mitte 20 finden kann und
       das auch nur bis zum Morgen).
       
       Manchmal glaube ich sogar Leute von damals auf der Straße zu sehen: diese
       Art zu laufen oder zu gestikulieren, diese Jacke, diese Haare, diese
       Tasche, das ist doch … bis mir wieder einfällt, dass die ja auch längst
       grau und dick und weg sein müssten, eigentlich.
       
       ## Löcher im Gehirn
       
       Auf der anderen Seite hat sich natürlich auch vieles verändert, dieser und
       jener Laden, dieses und jenes Publikum, selbst mein alter Edeka sieht innen
       drin jetzt ganz anders aus und ich fühle mein Greisinnen-Ich missbilligend
       ihr Haupt schütteln: Das war früher aber nicht so.
       
       Manchmal treffe ich auch Leute von früher wieder, die jetzt
       Führungspositionen inne haben und denke für einen Moment „Hahaha, guter
       Witz, was machst du denn da?“, bevor mir einfällt, dass ich jetzt „Sie“
       sagen muss. Zum Glück passiert das nicht allzu häufig, ich kenne natürlich
       kaum Leute in Führungspositionen, so was gehört sich in meinem Milieu ja
       nicht.
       
       Ich will hier jetzt auch nicht so klingen, als würde ich nonstop meinen
       Studienjahren hinterher weinen, das stimmt so ja nicht. Da war natürlich
       auch vieles scheiße in den goldenen Zwanzigern, wie überall, wenn man genau
       genug hinguckt.
       
       Es amüsiert mich eher, wie mein eigenes Gehirn mich da foppt, vielleicht
       auch langsam löchrig wird. Neulich musste ich sehr lange rechnen, als ich
       nach meinem Alter gefragt wurde. Ich wusste es in dem Moment wirklich
       nicht.
       
       Mit Sentimentalitäten kann ich schon deshalb nicht viel anfangen, weil ich
       mich an vieles nachweislich nicht erinnern kann. Ich gehe deshalb auch
       nicht zu Klassentreffen.
       
       Und dieses sentimentale „Ach-weißte-noch-damals“-Gesinge, dass sich in den
       letzten Jahren im Deutschpop breit gemacht hat, ist mir extrem suspekt. Da
       stimmt doch was nicht, wenn Männer schon mit Mitte dreißig sentimental
       werden, denke ich. War es das denn etwa schon? Kommt da nix mehr?
       
       Nee, dann doch lieber nochmal Zwanziger und so tun, als wäre alles noch
       drin – für wen auch immer.
       
       28 Jan 2022
       
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