# taz.de -- Neues Rapalbum von Earl Sweatshirt: Fakten, auf Vinyl gepresst
       
       > „Sick“, das neue Album von US-Rapper Earl Sweatshirt, bekennt sich
       > facettenreich zur Geschichte des HipHop und verzichtet auf Starallüren.
       
 (IMG) Bild: Im Hinterhof des US-HipHop: Earl Sweatshirt aus Los Angeles
       
       Earl Sweatshirt hat genug von der Trauer. „We got us a fire to rekindle /
       Triumph over plight and immense loss“ – wir müssen ein Feuer neu entfachen
       und über Not und Verlust triumphieren, rappt der 27-jährige US-Künstler auf
       seinem neuen Album „Sick“. Es ist sein Abschied von der Trauerarbeit, die
       auch seine Musik in den letzten Jahren bestimmt hat.
       
       Trauer um seinen 2018 verstorbenen Vater, den südafrikanischen Dichter
       [1][Keorapetse Kgositsile], und die Trauer um seinen Freund, den im
       gleichen Jahr verstorbenen US-Rapper Mac Miller. Nun reimt Sweatshirt, dass
       er lange auf dem Zahnfleisch gegangen sei, es aber trotzdem irgendwie
       geschafft habe, weiterzumachen, und erinnert sich an das Jahr 2010, als
       seine Karriere im Rapbiz begann.
       
       Damals gehörte [2][Earl Sweatshirt] zum HipHop-Kollektiv Odd Future in Los
       Angeles. Zu diesem Zeitpunkt konnte niemand ahnen, dass Odd Future den
       Sound von HipHop der zehner Jahre prägen würde. Innerhalb des Kollektivs
       waren die Rollen klar verteilt: Matt Martians und Syd the Kid besaßen die
       Nerdskills, die später in der Indie-R&B-Band The Internet aufblühen
       sollten.
       
       ## Ab ins Internat
       
       R&B-Sänger Frank Ocean war für Pathos zuständig und [3][Tyler, the Creator]
       übte sich bereits in der Rollenprosa, die er bald zu mehreren Grammys
       perfektionieren sollte. Mittendrin auch Earl Sweatshirt, der 16-jährige
       Badboy, der auf seinem Mixtape „Earl“ über reduzierten Beats aggressive,
       oft misogyne Reime spittete – bis auf einmal nichts mehr von ihm zu hören
       war. Seine Mutter, eine Juraprofessorin, hatte ihn auf ein Internat in
       Samoa geschickt. Auf der abgelegenen Pazifikinsel musste er anderthalb
       Jahre an seinem Verhalten arbeiten, bevor er wieder ein Mikro in die Hand
       nehmen durfte.
       
       Während der Rest von Odd Future einer nach dem anderen die Pop-Welt
       eroberte, zog sich Earl Sweatshirt nach seiner Rückkehr in die USA in die
       Introspektion zurück. Seine Alben wurden immer skizzenhafter und
       vernebelter und seinen Freundeskreis suchte er sich abseits des
       Rampenlichts. Dazu zählen [4][Rapper], deren Heimat die kleinen Bühnen und
       die Plattform Bandcamp sind.
       
       Ihre Reime sind durchzogen von Anspielungen auf die Geschichte der Musik,
       die sie lieben und leben: Rapper wie Zelooperz, der chaotische Stilist aus
       Detroit, und das New Yorker Lo-Fi-Duo Armand Hammer, das 2021 ein
       jazzgetränktes Anti-Polizei-Album aufgenommen hat.
       
       ## Produzenten-Grandseigneur
       
       Und immer wieder taucht auch The Alchemist auf, ein Produzent aus Los
       Angeles, der noch aus dem staubigsten Vinyl etwas Soul hervorzaubern kann.
       Er ist der Grand Seigneur der kalifornischen HipHop-Szene, sein Studio
       wurde zum Treffpunkt für verschiedene Künstlergenerationen. Für Earl
       Sweatshirt war es die erste Anlaufstelle nach dem Internat.
       
       All diese Charaktere tauchen auf „Sick“, dem neuen Album von Earl
       Sweatshirt auch als Gäste auf. Eigentlich sollte das Werk ein Konzeptalbum
       werden, benannt nach einem Kinderbuch, in dem fliegende Sklaven sich eine
       neue Enklave bauen. Dann kam – klar! – die Pandemie. „Die Menschen flogen
       nicht mehr“, meint Earl Sweatshirt und deshalb ziert jetzt eine
       Carbonit-Büste von Earl Sweatshirt das Cover, die die Maske bis aufs Kinn
       herabgezogen hat.
       
       Es ist eine Metapher, wenn auch nicht gerade eine subtile: Hier bin ich,
       und gerade dann, wenn wir alle Maske tragen müssen, will ich meine ein
       Stück lüften. „Give it to you straight, no frills“, rappt Sweatshirt und
       erzählt dann von seiner Rückkehr aus dem Internat, aber nicht ohne in den
       folgenden Zeilen noch ein paar Verweise auf Superstar Kanye West, den
       Wu-Tang-Clan und sein Teenager-Idol MF Doom und dessen Superhelden-Maske zu
       droppen.
       
       ## Erzählen aus dem Reimen
       
       Wenn in Sweatshirts Reimen aus jeder Gangstatrope ein Wortspiel wird,
       steckt darin trotzdem so etwas wie autobiografische Wahrhaftigkeit. Wie
       soll man auch anders vom eigenen Leben erzählen, wenn man das Erzählen
       nicht beim Tagebuch führen, sondern beim Rappen gelernt hat? „We keep facts
       in the midnight wax“, reimt Sweatshirt mit Flow an anderer Stelle: Unsere
       Fakten sind auf Vinyl gepresst.
       
       Auf den Beats von „Sick“ lastet dieses Vinylgedächtnis auf jeden Fall
       nicht. Dafür verantwortlich sind seine Produzenten. The Alchemist samplet
       alte Afrobeats-Bläser zu einem entspannten Groove, während Sweatshirts
       alter Kumpel, Black Noi$e aus Detroit, seine Beats zu eigenen Erzählungen
       verdichtet.
       
       Auf „Visionz“ erzählen Earl Sweatshirt und Zeloopers die übliche Geschichte
       vom schwarzen Aufsteiger, der sich einen Panzer zulegt, weil er auf sich
       allein gestellt leben muss. Black Noi$e sampelt darunter Pianosprengsel,
       die sich im Spukhaften verlieren und gesampelten Stimmen aus einem
       Kinderfilm Platz machen. Eine Frau fragt die Fee: Wie kann ich unseren
       Kindern Mut machen, ohne ihnen Märchen zu erzählen. Und die Fee antwortet:
       „Sag ihnen, dass sie schön sind. Sag ihnen, dass sie schwarz sind.“
       
       17 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sahistory.org.za/people/keorapetse-william-kgositsile
 (DIR) [2] /Some-Rap-Songs-von-Earl-Sweatshirt/!5559116
 (DIR) [3] /Neues-Album-von-Tyler-The-Creator/!5784374
 (DIR) [4] /Portraet-des-Rappers-Mach-Hommy/!5648733
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Werthschulte
       
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