# taz.de -- Neues Album „Covers“ von Cat Power: Spiel nie zweimal denselben Song
       
       > Cat Power hat ein neues Album mit Coverversionen herausgebracht. Ihre
       > Bluesstimme transzendiert die Originale: dunkel, mit metallischer Kante.
       
 (IMG) Bild: Chan Marshall alias Cat Power, die größte lebende Ponyträgerin der gegenwärtigen Popkultur
       
       Langhaarige Frauen mit Pony, das gibt’s sonst nur in Frankreich, bei
       Charlotte Gainsbourg oder ihrer Halbschwester Lou Doillon, oder bei Jane
       Birkin, der Mutter der beiden, die ihn sich vielleicht irgendwann mal von
       Nico alias Christa Päffgen abgeschaut hat. Langhaarige Frauen mit Pony,
       singende zumal, repräsentieren einen speziellen Typus; sie wirken
       introvertiert, scheu, unnahbar, wenn ihnen der Pony wie ein Theatervorhang
       über die Augen fällt.
       
       Da Ponys die Augen verkleinern, betonen Trägerinnen – Achtung, Beautytipp –
       ihre Lider gern mit Kajal und Mascara, was den Eindruck von Schwermut und
       Drama noch verstärkt. [1][Chan Marshall alias Cat Power], die größte
       lebende Ponyträgerin der gegenwärtigen Popkultur, ist nach einer kurzen
       Kurzhaarschnittepisode um 2012 wieder zur mythischen Frisur zurückgekehrt.
       
       Beide Videos, die zum Release ihres elften Albums „Covers“ erschienen sind,
       zeigen Marshall in kleinen und kleinsten Clubs, in einer interessanten
       Mischung aus Rückzug und Nähe zum Publikum. [2][In „Pa Pa Power“], Cat
       Powers Version eines Songs von Ryan Goslings Band Dead Man’s Bone, steht
       die Sängerin, in blaues Licht getaucht und von Adeline Jasso (Gitarre),
       Alianna Kalaba (Drums) und Erik Paparazzi (Klavier) begleitet, hinter einem
       Doppelmikrofon, das auch noch die untere Gesichtshälfte halb verdeckt; im
       Gegenschnitt fallen ihr einzelne Konzertbesucher:innen in die Arme,
       wobei meist nur deren euphorische Mienen zu sehen sind. Eine prä- oder
       postpandemische Umarmungsorgie, der Cat Powers elegische Interpretation
       kräftige Wehmutsschübe verpasst. Wird es jemals wieder so schön gewesen
       sein?
       
       Im zweiten Clip steht Chan Marshall auf einer noch viel kleineren, intimen
       Privatclubbühne, keine Handvoll Gäste lauscht dem bislang von Billie
       Holiday am populärsten interpretierten Jazzstandard [3][„I’ll be seeing
       you“], und statt Pony trägt die Diseuse diesmal Smoking, Bauchbinde und
       einen tief in die Stirn gezogenen Zylinder: der Star im Dienst der
       Bourgeoise, wie es in Iggy Pops ebenfalls auf dem Album vertretenen
       „Endless Sea“ heißt.
       
       ## Ein flüchtiges Wandertruppenbusiness
       
       Das große Thema des Albums ist das Bekenntnis zum Live-Konzert, zu Pop als
       flüchtigem Wandertruppenbusiness und zur on stage performten, persönlichen
       Aneignung von Musikgeschichte. Denn überflüssig zu erwähnen, dass sämtliche
       zwölf Songs des Albums so stark nach Cat Power klingen, dass die meisten
       Originale kaum wiederzuerkennen sind.
       
       Marshall, die vor zwei Wochen ihren 50. Geburtstag feierte, hatte Anfang
       der 90er Jahre über die New Yorker Free-Jazz- und experimentelle
       Musikszene, also letztlich übers Improvisieren, den Weg auf die Bühne
       gefunden, und schon im Jahr 2000 brachte sie mit „The Covers Record“ ein
       ähnliches Album heraus, auf dem gleich der erste Song „(I can’t get no)
       Satisfaction“ von den Stones zeigte, wohin der Hase läuft. Zu an „House of
       the Rising Sun“ angelehnten Gitarrengriffen ließ Marshall schwermütig zart
       die Strophen tropfen, ohne den berühmten Refrain überhaupt zu singen.
       
       Auch mit eigenen Songs verfuhr sie auf Konzerten frei nach der heimlichen
       Dylan-Doktrin, nie zweimal denselben Song zu spielen. Später gehörten
       Covers zu ihren bekanntesten Songs, etwa Phil Phillips „Sea of Love“, das
       sie 2007 nur von einer Harfe begleitet auf dem Höhepunkt von Jason Reitmans
       Film „Juno“ sang.
       
       „Jeder Song, den du dein ganzes Leben geliebt hast, ist Teil deiner
       Geschichte“, erklärt die Künstlerin dem Musikblog Stereogum. Und
       tatsächlich ist „Covers“ bei aller Wiedererkennbarkeit der Covernden die
       vergangene Zeit durchaus anzuhören. Während Cat Power in den Nullerjahren
       noch sehr minimalistisch arrangierte und selten mehr als zwei Instrumente
       ihre Stimme begleiteten, sind die neuen Interpretationen üppiger, greifen
       teilweise auf elektronische Effekte zurück, die Marshall 2012 mit dem
       geradezu tanzbaren Album „Sun“ erprobte.
       
       ## Ihre Aneignungen werden zu Hymnen
       
       [4][Frank Oceans „Bad Religion]“, das der Rapper im Original zum Sound
       einer Leierorgel, dann von einem ganzen Streichorchester begleitet singt,
       lebt auf „Covers“ vom Kontrast zwischen dem schleppenden Upbeat-Piano und
       Marshalls mit Hall verschliffener Mehrstimmigkeit. Auch in die Lyrics
       greift sie ein, macht etwa aus dem arabischen Gotteslob des Taxidrivers,
       gegen das Ocean sich wehrt, ein „Praise the Lord, Hallelujah, little
       Girl/Woman“ – nicht nur deshalb klingt der Song bei ihr auch nach Gospel.
       
       Zu Hymnen werden ihre Aneignungen von Lana del Reys „White Mustang“, Nick
       Caves „I Had a Dream Joe“ und vor allem Bob Segers erzbraver Rocksong
       „Against the Wind“, bei Cat Power ein paradoxerweise zugleich verlangsamtes
       und beschleunigtes Juwel mit brodelnden Klavierbassläufen und elegischen
       Seufzern.
       
       Überhaupt transzendierte Chan Marshalls Bluesstimme die Originale noch
       einmal: dunkel, rauchig, weich, mit einer unverwechselbaren metallischen
       Kante. Die minimalistisch abgespeckten Balladen auf „Covers“ wie „A Pair of
       Brown Eyes“ (The Pogues), „Endless Sea“ (Iggy Pop), „It wasn’t God who made
       Honky Tonk Angels“ (Jay Miller) oder „These Days“ (Nico) werden fast
       ausschließlich von dieser Stimme getragen, immer einen Tick schleppender
       als im Original.
       
       ## Feministische Netzwerkerin
       
       Was in dieser Stimme ebenfalls mitschwingt: Chan Marshall, die in den
       Nullerjahren Stil-Ikone und Cover-Girl war, für Karl Lagerfelds
       Chanel-Shows sang und bei Wong Kar-Wai mitspielte, ist kein ewiges Mädchen
       mit schwieriger Südstaaten-Kindheit geblieben, sondern längst eine
       kraftvolle Frau. Alkohol- und Drogeneskapaden liegen hinter ihr, obwohl sie
       auf Instagram auch mal ihren Lieblings-Mezcal preist; 2015 wurde sie
       Mutter.
       
       Sie verbündet sich, ganz feministische Netzwerkerin, mit Kolleginnen, etwa
       mit Lana del Rey oder auch mit der eingangs erwähnten Lou Doillon; sie
       positioniert sich öffentlich für Black Lives Matter. In ihrem Fall sicher
       mehr als linksliberale Boheme-Attitüde, da Marshall sich klar auf Schwarze
       Musiker bezieht, vom King of Soul Otis Redding bis zu Teenie Hodges, mit
       dem sie 2006 an „The Greatest“ arbeitete, dem Album, das Cat Power
       spätestens auch dem Indie-affinen europäischen Mainstreampublikum bekannt
       machte und den sie als Vaterfigur bezeichnet.
       
       Auch ein Selbstcover ist auf dem „Covers“-Album. „Hate“ erschien 2006 auf
       „The Greatest“, und selten dürfte jemand so samtig und zärtlich den
       Verzweiflungsvers „I hate myself and want to die“ gesungen haben wie
       Marshall auf dieser Platte. Sie singt ihn auch 2022 noch, umspielt von
       einem Backgroundchor ihrer eigenen Stimmen, überhaupt klingt der Selbsthass
       hier wärmer und ja, irgendwie unpersönlicher. Der Song ist längst umgetauft
       in „Unhate“.
       
       4 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /US-Singer-Songwriterin-Cat-Power/!5540422
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=W55EXZ2YYPw
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=6IRxf4Ll5EE
 (DIR) [4] /Bisexueller-RnB-Saenger-Frank-Ocean/!5088658
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Behrendt
       
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