# taz.de -- Die Wahrheit: Die Draußenschlürferin
       
       > Tagebuch einer Kaffeeista: Im Obersuperdeprimonat Februar ist der Erwerb
       > eines Heißgetränks mit existenziellen Fragen verbunden.
       
 (IMG) Bild: Er setzt Häuser in Brand, sie Männerherzen: Pia Frankenberg als Gina und Ian Dury als Harry
       
       Der Februar war kaum zwei Wochen alt, und von allen mistwetterigen
       Deprimonaten, die ich bisher erleben durfte, mein persönlicher olympischer
       Goldmedaillengewinner, aber Rituale sind Rituale, und so bestellte ich in
       meinem Lieblingsladen bei meinem Lieblings-Barista seine
       Superspecial-Mischung, um danach an einem der vom letzten Guss noch nassen
       Außentische dem Elend zu trotzen.
       
       Mitten in unser tägliches Wetter-Virus-Alles-ist-furchtbar-Geplauder
       stapfte plötzlich die Kaffeekundin vor mir von draußen wieder herein und
       platzierte mit Aplomb einen noch unberührten Latte auf den Tresen.
       
       „Es regnet“, verkündete sie anklagend in rau akzentuiertem Englisch. Mein
       Barista nickte angemessen bekümmert, malte ein kunstvolles Milchschaumherz
       in meinen Cappuccino und informierte sie feinfühlig, dass es leider
       trotzdem nicht erlaubt sei, Getränke drinnen zu sich zu nehmen, denn, you
       know, dies sei ein Lebensmittelladen, Corona und so …
       
       „Warum verkaufen Sie Ihren Kunden dann Kaffee, wenn es draußen regnet?“,
       schnitt sie ihm empört das Wort ab.
       
       Ich fand, das war mal eine originelle Frage. Vielleicht sollte man ja den
       Verkauf von Kaffee in Scheißwettermonaten verbieten und auch gleich
       Eiscreme im Juli, die könnte immerhin schmelzen. Hat man als Kundin nicht
       das Recht, vor saisonal unpassenden Kaufentscheidungen geschützt zu werden?
       
       Doch statt einer verständnisvollen Bestätigung entquoll mir zur eigenen
       Überraschung eine februarmäßig übellaunige Wutrede gegen so viel
       Selbstbesoffenheit: „Wieso ist das jetzt seine Schuld, wenn Sie sich einen
       Kaffee kaufen? Sie haben doch gesehen, dass es regnet“, warf ich mich vor
       meinen Barista-Freund. Die Expat-Lady schenkte mir einen
       herablassend-mitleidigen Blick. „Eben hat es noch nicht geregnet.“ Womit
       sie recht hatte, denn eben war es nur nass gewesen, jetzt schüttete es. „In
       anderen Ländern gibt es ja so was wie Kundenservice“, höhnte sie weiter,
       „aber hier …“
       
       Ich verkniff mir eine der Situation angepasste und mindestens so dämliche
       Variante des in meinen Jugendjahren beliebten „Dann geh doch nach drüben,
       wenn’s dir hier nicht passt!“ und griff nach meinem Kaffee.
       
       „Und wo haben Sie jetzt vor, den zu trinken?“, stichelte Madame. „Draußen,
       wie geplant“, entgegnete ich würdevoll und marschierte an ihr vorbei zur
       Tür. „Well, you’re a very special person!“, rief sie mir nach, was ich
       natürlich längst wusste.
       
       Draußen verwandelte sich mein Cappuccino in einen milchig verregneten Lungo
       und schwappte über meine Klamotten, während ich versuchte, einen Schirm
       aufzuspannen, die Tasse zu jonglieren und gleichzeitig Souveränität
       auszustrahlen. Mein Lieblingskaffeemensch entrollte die Markise und wischte
       zum Dank für meinen Einsatz gegen die Unterdrückung des geknechteten
       Servicepersonals der mosernden Madame einen nassen Tisch trocken. Ich
       Very-Special-Person schlurfte besiegt und very nass nach Hause. Februar
       sucks.
       
       17 Feb 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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