# taz.de -- Theaterkultur in Düsseldorf: Und drinnen die ganze Welt
       
       > Dem Düsseldorfer Theatermuseum drohte die Schließung, wenige
       > interessierten sich für das Haus. Sascha Förster will es nun retten.
       
 (IMG) Bild: Sascha Förster ist der neue Leiter des Theatermuseums in Düsseldorf
       
       DÜSSELDORF taz | Wie so vieles, das vernachlässigt wurde und etwas Pflege
       braucht, hat das Düsseldorfer Hofgärtnerhaus mit der orange-rosa Fassade
       den Charme der Unterschätzten. Seit 1988 ist in dem barocken Gebäude das
       städtische Theatermuseum untergebracht. Schon in den Neunzigern sollte es
       umziehen, 2017 wurde es vom Deutschen Kulturrat auf die Rote Liste gesetzt:
       Von Schließung bedroht.
       
       Im vergangenen Jahr die Wende: Das Museum darf bleiben, aber es muss sich
       verändern. Lange zog das Haus nur Stammgäste und Schulklassen an, war sonst
       unbekannt im Düsseldorfer Kulturleben. Sascha Förster ist der neue
       Museumsleiter; er muss die Institution wieder relevant machen, 35 Jahre alt
       ist er. „Mein Job ist es, herauszufinden, warum Leute sich für ein
       Theatermuseum interessieren sollten“, sagt er.
       
       Er plant langfristig, für sich und das Museum: „In den 30 Jahren, die ich
       hier hoffentlich habe, will ich das Haus so aufbauen, dass nie wieder die
       Frage gestellt wird: Brauchen wir das?“
       
       Dafür nahm er erst mal Farbe und Pinsel in die Hand. Die Wände waren innen
       an vielen Stellen dunkel gestrichen, nicht sehr einladend. Direktes
       Sonnenlicht schade den Exponaten, lautete die Begründung. Er und seine
       Mitarbeiter haben sie weiß gestrichen. Die Renovierung steht aber noch aus.
       Hier und da sind noch Löcher in den Wänden mit Tape überklebt.
       
       ## Auch im echten Leben schlüpfen Menschen in Rollen
       
       Ähnlich marode wirkt auf ihn auch das Theater selbst: „Die Kunstform wirkt
       heute häufig alt und angestaubt. Aber: Nicht jeder muss Shakespeare gelesen
       haben“, sagt Förster. Der bürgerliche Kanon dürfe den Zugang zum eigentlich
       [1][inklusiven Theate][2][r] nicht versperren. Denn jeder spiele Theater,
       jeden Tag. „Ein Vorstellungsgespräch, ein Weihnachtssingen oder Karneval.
       Wir schlüpfen immer in Kostüme, und all diese Rollen haben eine
       Geschichte“, sagt Förster. Er nennt das „weiten Theaterbegriff“.
       
       Viele Theatermuseen in Deutschland gingen davon aus, dass es sie wegen der
       glorreichen deutschen Theatergeschichte geben muss, sagt Förster. Davon
       will er wegkommen. Das Schauspiel war für ihn früh eine Leidenschaft, mit
       den klassischen Stücken kam er aber erst spät in Berührung. „Ich bin eher
       bildungsfern aufgewachsen. Meine Eltern waren beide Filialleiter nach dem
       Mauerfall.“ Das war in Bad Frankenhausen, Thüringen. Im Schultheater
       spielte Förster dann das erste Mal selbst; in einem Stück seines Lehrers.
       
       „Das ließ mich vom ersten Moment an nicht los“, sagt er. „Ich bin
       eigentlich ein sehr kontrollierter Mensch. Das muss man auch auf der Bühne
       sein – aber gleichzeitig ist man voll im Hier und Jetzt.“ Nach Abitur und
       Zivildienst hatte er drei Vorstellungsgespräche als Schauspieler,
       erfolglos. Bad Frankenhausen habe er dann verlassen für den „Plan B“,
       Studium in Berlin, Theaterwissenschaft. Aber er kehrte immer wieder zurück,
       2005 gründete er dort ein Performancekollektiv mit Freunden aus der
       Schulzeit: Dramazone.
       
       ## Die Performance basiert auf Tagebüchern
       
       „Es waren BWLer, VWLer, kaum jemand machte etwas mit Theater. Aber trotzdem
       entwickelten wir gemeinsam Kunst und waren total überrascht, wie gut das
       angenommen wurde.“ Die Proben wurden schnell zum wichtigsten Raum für
       offene Kritik, Streit und Freundschaft.
       
       Für eine Performance schrieben einmal alle ein Jahr lang Tagebuch. In
       dieser Zeit hatte Förster [3][eine depressive Phase], war in Therapie. Doch
       die Texte wurden als Schlager aufgeführt. „Wir dachten uns: So richtig
       Erfolg haben wir nicht, also lass uns doch etwas richtig Erfolgreiches
       machen.“ Er trat in „schwarzer Lederhose, Hemd offen bis zum Bauchnabel und
       zurückgegelten Haaren“ auf und sang einen fröhlichen Schlager über seine
       Depression.
       
       So verband er jahrelang die Theorie der Theaterwissenschaften mit der
       Praxis der Performances, bis er 2012 an die Universität zu Köln wechselte.
       Wegen seiner Doktorarbeit stand er seitdem nicht mehr auf der Bühne. Sein
       Thema: Queeres Theater in der Weimarer Republik. Doch die Arbeit allein am
       Schreibtisch gefiel ihm nicht – deshalb folgte nach acht Jahren, frisch
       promoviert, der Wechsel an das Theatermuseum; seit etwas mehr als sechs
       Monaten ist Förster jetzt Museumsleiter.
       
       Seine Arbeit zum Theater der Weimarer Republik passte zum Kern des Museums,
       dem Dumont-Lindemann-Archiv, das 1947 von der Schauspielerin Louise Dumont
       und ihrem Ehemann Gustav Lindemann an die Stadt übergeben wurde. Dieses
       Jahr feiert es 75-jähriges Jubiläum, im Juni gibt es dazu eine Ausstellung.
       
       ## Hoffen, dass die Begeisterung aufs Publikum überspringt
       
       Förster entwirft sie gemeinsam mit einem neuen Mitarbeiter. „Das hier ist
       vor allem eine Gruppenaufgabe. Nur weil ich das Institut leite, heißt das
       nicht, dass ich auch der beste Kurator bin.“ Teamarbeit und ehrliche
       Kritik, das habe er im Kollektiv gelernt und das könne er jetzt ins Museum
       einbringen. „Die Diskussionen, manchmal auch Streit, über die einzelnen
       Objekte – das macht sehr viel Spaß“, sagt Förster. „Ich hoffe, dass sich
       diese Begeisterung auch auf die Gäste überträgt.“
       
       Ausgehend von konkreten Objekten und Texturen will Förster aufmerksam
       machen auf dahinter liegende Geschichten. „Seit 75 Jahren wird schon mit
       dem Archiv gearbeitet. Aber wir können immer noch aufdecken, was übersehen
       wurde“, sagt er.
       
       So etwa die Geschichte der Regisseurin Salka Steuermann, die 1927 ein Stück
       im Schauspielhaus Düsseldorf inszenierte. „Liest man sich die damaligen
       Kritiken durch, erfährt man, wie Frauen der Zugang versperrt wurde. Ihrem
       Mann wurde die Regie zugeschrieben, ihr wurde das gar nicht zugetraut.“ In
       der Ausstellung will er auf vergessene Frauen der Düsseldorfer
       Theatergeschichte aufmerksam machen. „Später ging Steuermann nach
       Hollywood. Und hier ist alles vergessen, nur wegen des Gender Bias.“
       
       Im ersten Stock steht in weißen Buchstaben: „Geschichte wird gemacht.“
       Förster ist jetzt ein Beamter, der Geschichten erzählt und so Macht ausüben
       kann über die Erinnerung. Er will das nutzen, um das Scheinwerferlicht auf
       bisher verborgene, verbindende Aspekte der Theatergeschichte zu werfen.
       Dabei hilft ihm auch sein weiter Theaterbegriff.
       
       Das geht dann etwa so: Im Herbst 2022 wird das Theatermuseum eine
       Ausstellung über das drittgrößte Volksfest Deutschlands zeigen, die Kirmes
       am Rhein in Düsseldorf, zu der auch immer ein großes Schützenfest gehört.
       „Bei diesem Volksfest clashen traditionelle, männlich geprägte
       Schützenvereine mit einer klassenübergreifenden Veranstaltung. Da geht
       jeder hin“, sagt Förster. „Das ist vielleicht nicht das Erste, woran man
       denkt, wenn man Theatermuseum hört. Aber all das gehört für mich dazu.“
       
       „Wir erzählen so auch immer eine deutsche Kulturgeschichte. 1947 fand die
       Kirmes wieder statt im zerstörten Düsseldorf und gab den Menschen ein
       Gefühl der Sicherheit und des Aufbruchs“, sagt Förster. Damals erlaubten
       die Besatzungsmächte den Schützenvereinen aber keine Uniformen – etwas
       fehlte.
       
       Heute stehen [4][Männervereine] in der Kritik, queere und migrantische
       Perspektiven kommen dort nicht vor. Auf der Kirmes treffen diese Gruppen
       aufeinander, deshalb werde das auch im Theatermuseum gemeinsam ausgestellt.
       Die traditionsreichen Uniformen der Schützen neben Projekten queerer und
       migrantischer Künstler:innen, so soll das Theatermuseum zum
       generationen- und klassenübergreifenden Treffpunkt werden.
       
       An solchen Objekten begreift Förster die Kirmes – und die Welt – als
       Theater. Rituale, Traditionen und Rollenbilder – all das erzähle
       Geschichten. Zwischen Archiv und Bühne macht sich Förster auf die Suche
       nach ihnen, vielleicht für die nächsten 30 Jahre. Doch gerade baut er noch
       an den Kulissen und schreibt das Drehbuch für die ersten großen Auftritte.
       
       14 Feb 2022
       
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