# taz.de -- Waffenlieferung an die Ukraine: Warten auf die Haubitzen
       
       > Darf Estland alte DDR-Geschütze an die Ukraine liefern? Die
       > Bundesregierung zaudert seit Wochen. Dabei geht es in der Frage vor allem
       > um Symbolik.
       
 (IMG) Bild: Können 20 Kilometer weit schießen: zwei D-30-Haubitzen, bereits im Besitz der ukrainischen Armee
       
       BERLIN taz | Die Haubitze vom Typ D-30 ist kein ganz frisches Modell. Das
       Geschütz mit einem Kaliber von 122 Millimetern wurde in der Sowjetunion
       konstruiert, die Produktion startete vor über 60 Jahren. Gefragt ist die
       D-30 aber bis heute: Dutzende Staaten weltweit haben sie noch immer in
       ihren Arsenalen.
       
       Wofür sie gut ist? Die Haubitze mit ihrem knapp fünf Meter langen Rohr ist
       auf zwei Rädern befestigt. Einen eigenen Motor hat sie nicht, dafür kann
       sie von Lastwagen gezogen werden. Einmal abgestellt, kann sie sich um 360
       Grad drehen, also in alle Richtungen schießen – sowohl flach als auch im
       hohen Bogen. Sie kann bis zu 20 Kilometer weit feuern und mit der richtigen
       Munition sogar Panzer zerstören. Und: Sie kann, wie dieser Tage, die
       Bundesregierung in eine diplomatische Zwickmühle bringen.
       
       Die estnische Regierung würde gerne neun ihrer Haubitzen an die Ukraine
       verschenken, um Kiew im Konflikt mit Russland zu stärken. Dafür braucht sie
       aber eine Genehmigung aus Deutschland, das die Geschütze in den 1990er
       Jahren verkauft hat. Und darüber berät die Bundesregierung seit Wochen
       ergebnislos.
       
       Auch nach dem Besuch der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas bei
       Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag gibt es in der Sache keinen
       Fortschritt. „Der Antrag wird weiterhin geprüft“, sagte Regierungssprecher
       Steffen Hebestreit am Freitag. Die estnische Seite geht mittlerweile nicht
       mehr von einer Genehmigung aus. Kallas sagte der dpa: „Wenn man sich ihre
       öffentliche Meinung anschaut, sieht es eher danach aus, dass es ein Nein
       wird.“
       
       Bei dem Streit geht es um Geschütze aus DDR-Beständen. 218 davon gab die
       Bundesrepublik 1992 an Finnland ab, von dort gingen 42 Stück im Jahr 2009
       weiter an die Esten. Über die Weitergabe an die Ukraine kann die estnische
       Regierung wegen einer Regelung im deutschen Rüstungsexportrecht nicht frei
       entscheiden: Wer Rüstungsgüter aus Deutschland kauft, muss eine sogenannte
       Endverbleibserklärung unterschreiben – also versprechen, dass er die Waffen
       nicht ungefragt weitergibt.
       
       30 Jahre nach dem ursprünglichen Verkauf der DDR-Haubitzen an Finnland ist
       heute auch Estland daran gebunden.
       
       ## Dilemma für die Ampel
       
       Medienberichten zufolge ging der entsprechende Antrag aus Tallinn schon
       Ende Dezember bei der Bundesregierung ein, die seitdem mit sich selbst um
       eine Position ringt. Einerseits [1][lehnt sie eigene Waffenlieferungen an
       die Ukraine ab] und begründet das mit der generellen deutschen
       Zurückhaltung bei Rüstungsexporten in Krisengebiete. Von diesem Prinzip
       macht die Bundesrepublik zwar regelmäßig Ausnahmen, die Ampel will nach dem
       Willen der Grünen aber bestehende Schlupflöcher schließen.
       
       Andererseits machte sich Deutschland zuletzt bei der Ukraine und einigen
       Nato-Staaten unbeliebt, weil Kiew aus Berlin statt Waffen nur Helme
       bekommt.
       
       Falls die Bundesregierung jetzt sogar estnische Lieferungen verhindert
       statt sie nur zu verzögern, würde die Kritik aus dieser Richtung noch
       einmal zunehmen. Gibt sie grünes Licht, würde sie dagegen Moskau verärgern.
       Egal, wie die Regierung entscheidet: Die eigentlich sehr sinnvolle
       Endverbleibsregelung bereitet ihr in einer heiklen Lage ein zusätzliches
       Problem.
       
       ## Nicht auf Augenhöhe
       
       Dabei geht es in dem Streit vor allem um politische Symbolik und weniger um
       tatsächlichen militärischen Einfluss. Das ukrainische Militär ist dem
       russischen weit unterlegen. Mit Stand 2020 besaß Russland selbst über 4.500
       der D-30, die Ukraine nur 129.
       
       Es waren schon mal doppelt so viele, aber Dutzende ihrer Haubitzen hat die
       Ukraine selbst im Laufe der Zeit in alle Welt verkauft – laut dem
       [2][Waffenhandelsregister des Friedensforschungsinstituts SIPRI] unter
       anderem an Aserbaidschan und den Jemen. Das geschah aber größtenteils,
       bevor 2014 der Konflikt mit Russland ausbrach. So oder so: Auch mit neun
       weiteren D-30 kommt Kiew jetzt nicht auf Augenhöhe mit Russland.
       
       Dazu kommt: [3][Militärexpert*innen rechnen damit], dass Russland
       eine Invasion in die Ukraine am ehesten mit Angriffen aus der Luft starten
       würde. Dagegen würde eine moderne Flugabwehr helfen, nicht aber Haubitzen,
       die nur Ziele am Boden bekämpfen können. Ob die ukrainische Armee nach
       einer solchen ersten Angriffswelle überhaupt noch in der Lage wäre,
       einmarschierende Bodentruppen durch Geschütze aufzuhalten, ist fraglich.
       
       Passend dazu bemüht sich die Bundesregierung, die Bedeutung der
       Exportgenehmigung herunterzuspielen. Beim Treffen des Kanzlers mit der
       Estin Kallas, die zusammen mit dem litauischen Präsidenten und dem
       lettischen Ministerpräsidenten nach Berlin gereist war, habe das Thema
       seines Wissens keine Rolle gespielt, sagte Regierungssprecher Hebestreit am
       Freitag. Kallas selbst zeigte sich im Gespräch mit der dpa überrascht, wie
       heftig über die Haubitzen diskutiert würde. „Wir fühlen uns ein bisschen
       unwohl, dass wir im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen“, sagte sie.
       
       11 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ein-ProContra/!5829150
 (DIR) [2] https://armstrade.sipri.org/armstrade/page/trade_register.php
 (DIR) [3] https://foreignpolicy.com/2022/01/21/weapons-ukraine-russia-invasion-military/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Schulze
       
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