# taz.de -- Serie „Shameless“ auf Amazon Prime: Selbstbewusst proletenhaft
       
       > Die Serie „Shameless“ bildet Armut ab, ohne in „poverty porn“
       > abzurutschen. Damit setzt sie neue Maßstäbe für Erzählweisen über die
       > Unterschicht.
       
 (IMG) Bild: Auch in Staffel 11 von „Shameless“ lassen sich die Charaktere nicht unterkriegen
       
       Armut abzubilden war noch nie ein leichtes Thema für Film und Fernsehen.
       Die Verlockung ist groß, das Schicksal der Figuren beschönigend
       darzustellen. Nicht selten werden die Betroffenen einzig auf ihr Elend
       reduziert, indem man sich mit einer erniedrigend-melodramatischen
       Zurschaustellung ihrer Not zufrieden gibt. Die Zuschauer*innen sollen
       Mitleid empfinden oder gar geschockt sein über das Ausmaß der
       Verwahrlosung.
       
       Nichts davon wird [1][Menschen, die in Armut leben], gerecht. Wahlweise
       schwingt im Subtext mit, dass ihre Situation hauptsächlich selbst
       verschuldet ist oder aber dass sie wehrlose Opfer ihrer Umstände sind,
       deren Leben einzig aus Trostlosigkeit besteht.
       
       Mit der US-amerikanischen Produktion „Shameless“ ist gerade eine Serie zu
       Ende gegangen, die wie ein gigantischer Mittelfinger gegenüber diesen
       Erzählweisen über Armut wirkt. Die im Mittelpunkt stehenden Gallaghers
       wollen kein Mitgefühl, für jedes [2][Mittelklasseversprechen] haben sie nur
       ein hämisches Lachen übrig. Sie machen sich keine Illusionen über ihre
       Situation, verzweifeln aber auch nicht unentwegt daran.
       
       Über zehn Jahre hinweg erzählt die von John Wells und Paul Abbot
       produzierte Serie von der Familie, die sich in einem von Arbeitslosigkeit,
       Drogen und Kriminalität geprägten Problembezirk, der [3][Chicagoer South
       Side], durchschlägt. Ein zentraler erzählerischer Vorteil des Formats ist,
       dass sie mit Familienoberhaupt Frank (William H. Macy) und seinen insgesamt
       sechs Kindern sowie deren Nachbarn Kevin und Veronica (Steve Howey/Shanola
       Hampton) eine Vielzahl an Biografien in den Blick nimmt und so verschiedene
       Facetten der Armut und ihrer Auswirkungen thematisieren kann.
       
       ## Über die Runden kommen
       
       Während die älteste Tochter, Fiona (Emmy Rossum), im Laufe der Handlung
       Karriereambitionen entwickelt, aber immer wieder von ihrer Rolle als
       Ersatzmutter ausgebremst wird, wird anhand der zum Start der Serie noch
       jungen Geschwister, vor allem Carl (Ethan Cutkosky), Deborah (Emma Kenney)
       und Liam (Christian Isaiah), beleuchtet, zu welch unterschiedlichen
       Entwicklungen ein Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen führen kann.
       
       Über Phillip (Jeremy Allen White), der zwischenzeitlich aufs College geht,
       wird wiederum aufgezeigt, mit welchen Herausforderungen der versprochene
       Aufstieg durch Bildung tatsächlich verbunden ist, und über seinen jüngeren
       Bruder Ian (Cameron Monaghan), was es bedeutet, in der Unterschicht schwul
       zu sein.
       
       Trotz der Tristesse gleitet „Shameless“ niemals in „poverty porn“ ab. Ohne
       deplatziert zu wirken, ist die Stimmung der Serie meist heiter und beweist
       Lust am Makaberen. Denn die Gallaghers legen, wie es der Titel schon sagt,
       nicht selten Schamlosigkeit an den Tag. Und die braucht es nun mal hin und
       wieder, um ganz unten über die Runden zu kommen. „Shameless“ hat damit dem
       Erzählen von Armut eine selten selbstbewusst-proletenhafte, ja
       widerspenstige Facette hinzugefügt. Allein dafür hat sich die lange Reise
       gelohnt.
       
       1 Mar 2022
       
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