# taz.de -- Forderungen des IPCC-Berichts: Ein Pakt mit der Natur
       
       > Der neue Bericht des Weltklimarats vermittelt eine revolutionäre
       > Botschaft: Ohne gesunde Ökosysteme ist der Klimawandel nicht zu stoppen.
       
 (IMG) Bild: Wasserfall und tropische Bergwälder: Die beiden Gewächshäuser in Singapur sind eine Attraktion
       
       BERLIN taz | Gleich der erste Satz irritiert, obwohl er eigentlich gar
       nicht so spektakulär klingt: „Dieser Bericht erkennt die gegenseitige
       Abhängigkeit von Klima, Ökosystemen und Biodiversität sowie menschlichen
       Gesellschaften an“. Anfang dieser Woche wurde der zweite Teil [1][des neuen
       Weltklimaberichts] veröffentlicht und dieser liest sich so ganz anders als
       die fünf vorangegangenen Berichte, die der IPCC im Abstand von im Schnitt
       sechs Jahren veröffentlicht: Die 270 Hauptautoren haben diesmal nicht „nur“
       den Sachstand zu Klimafolgen und Klimaanpassung zusammengefasst und
       aktualisiert – sie haben das Dokument aus einer ganz neuen Sichtweise
       geschrieben.
       
       Bislang taten die Berichte des Weltklimarats mehr oder weniger so, als
       würde der Mensch alleine auf dem Planeten leben. Es ging um physikalische
       Grundlagen, um die Folgen des Klimawandels auf den Menschen, um technische
       Lösungen. Alles, was mit Artenvielfalt zu tun hatte, dafür war der weniger
       bekannte Weltbiodiversitätsrat zuständig. Diese auf den Menschen zentrierte
       Sichtweise hat der Weltklimarat nun aufgegeben.
       
       Von der ersten bis zur letzten Zeile deklinieren die Autoren die
       Auswirkungen des Klimawandels sowohl für den Menschen als auch die Natur
       durch. Als die südafrikanische Biogeografin Debra Roberts den Bericht
       vorstellte, den sie maßgeblich koordiniert hat, forderte sie einen „neuen
       sozialen Pakt“ zwischen den Menschen sowie den Lebewesen, mit denen wir die
       Erde teilen. Und die Chefin des UN-Umweltprogramms Inger Andersen erklärte:
       Die Menschheit habe in ihrer Geschichte die Natur immer wie „ihren
       schlimmsten Feind“ behandelt, nun müsse sie einsehen, dass sie unrecht
       hatte.
       
       Der Klimawandel hat begonnen, das Gesicht der Ökosysteme auf der ganzen
       Welt zu verändern und zwar schneller, als es Ökologen vorausgesagt haben:
       Ganze Wälder sterben aufgrund von Dürren, Bränden oder Insektenbefall ab.
       Der Amazonas-Regenwald verliert zunehmend seine Widerstandsfähigkeit gegen
       Megadürren und könnte sich bald schon in eine Savanne verwandeln, heißt es
       in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie im Fachblatt Nature Climate
       Change.
       
       ## Tiere flüchten ins Kühle
       
       Korallenriffe und Tangwälder gehen aufgrund von marinen Hitzewellen ein.
       Feuchtgebiete trocknen aus. Fledermäuse, Hummeln oder Opossums fallen in
       großer Zahl während extremer Hitze tot vom Himmel oder von Bäumen. Und die
       Hälfte aller beobachteten Arten hat sich schon auf den Weg in kühlere
       Gefilde gemacht – sie wandern in Richtung der Pole, die Berge hinauf, die
       Ozeane hinab. „Niemand hat all das schon zum jetzigen Zeitpunkt erwartet“,
       sagt die Ökologin Camille Parmesan von der Plymouth Universität, eine der
       Hauptautorinnen des Berichts.
       
       Erst jetzt, da erste Ökosysteme kippen, erkennt man, was man an ihnen hat.
       Ohne die Natur, so die Botschaft des Weltklimaberichts, können wir es nicht
       mehr schaffen, den Klimawandel in den Griff zu kriegen. Ökosysteme
       speichern riesige Mengen an CO2 – in den Ozeanen, im Boden und der
       Vegetation. Diese Fähigkeit nimmt allerdings im Zuge des Klimawandels
       mancherorts schon ab: Bestimmte Gebiete im Amazonas-Regenwald haben sich
       ebenso wie im borealen Nadelwald in Nordamerika von einer
       Treibhausgas-Senke in eine Quelle verwandelt. Auch der auftauende
       Permafrostboden entlässt bereits große Mengen an Methan und Kohlendioxid.
       
       Ohne [2][widerstandsfähige Ökosysteme] dürfte es schwerfallen, uns an die
       Folgen des Klimawandels anzupassen. „Bei jeder Entscheidung müssen wir
       zuerst überlegen: Welches Ökosystem kann uns am besten helfen“, sagt
       Parmesan. „Und dann müssen wir alles dafür tun, dass dieses so gesund wie
       möglich ist.“
       
       Gibt man begradigten Flüssen ihr natürliches Bett zurück, lässt die Ufer
       bewachsen und schützt Feuchtgebiete, bremst das Überschwemmungen infolge
       von extremen Regenfällen, da Wasser besser versickern kann und die
       Fließgeschwindigkeit abnimmt. Mangrovenwälder, Korallenriffe und Salzwiesen
       schützen die Küsten davor zu erodieren, dämpfen Sturmfluten ab und wirken
       sogar dem Meeresspiegelanstieg entgegen.
       
       ## Die Natur kann uns helfen
       
       Statt Wälder für Ackerbau und Tierhaltung zu roden, lässt sich beides
       kombinieren: Die Wurzeln der Bäume halten den Boden zusammen und speichern
       Wasser, das Blätterdach kühlt und schützt vor Hitze und Trockenheit.
       „Vieles davon haben wir bislang nicht mal in Betracht gezogen“, kritisiert
       Parmesan.
       
       Selbst in Städten lässt sich der Natur helfen, damit sie uns hilft: Parks,
       Stadtbäume, begrünte Dächer und Fassaden sowie innerstädtische
       Naturschutzinseln und Feuchtgebiete schützen vor Überschwemmungen, indem
       sie Wasser aufsaugen, und schaffen ein kühleres Mikroklima. Und das kann in
       Städten, die sich im Vergleich zu ihrem Umland unverhältnismäßig stark
       aufheizen, Tausende Menschenleben retten.
       
       Die Stadt New York zum Beispiel legte schon im Jahr 2010 ein
       2,4-Milliarden-US-Dollar-Programm für grüne Infrastruktur auf, um sich an
       den Klimawandel anzupassen. Dazu gehören Feuchtgebiete und mit Bäumen
       bepflanzte Mulden in Parks, in denen sich Regenwasser sammeln kann,
       Straßen, die regendurchlässig und mit Bäumen gesäumt sind, sowie grüne
       Dächer.
       
       Andersherum unterstützen grünere Städte die Artenvielfalt. Australische
       Ökologen haben vor ein paar Jahren Golfplätze, Parks und Gärten im Südosten
       von Melbourne untersucht und kamen 2017 im Journal of Applied Ecology zum
       Ergebnis, dass schon 10 bis 30 Prozent mehr einheimische Baumarten mitsamt
       Unterwuchs die Belegung mit Fledermäusen, Vögeln, Bienen und Käfern um bis
       zu 130 Prozent erhöhte.
       
       ## Endlich begreift es auch die Politik
       
       Je mehr Raum die Natur zurückbekommt, umso besser können Tier- und
       Pflanzenarten auch auf den Klimawandel reagieren, also in kühlere Gefilde
       abwandern – im Idealfall entlang von geschützten Korridoren oder
       Trittsteinen von Schutzgebiet zu Schutzgebiet sowie durch vielfältigere
       Wälder als bisher, die sich als stabiler gegen den Klimawandel erweisen.
       
       Ganz neu ist die Erkenntnis natürlich nicht, dass der Mensch im Kampf gegen
       den Klimawandel abhängig ist von Ökosystemdienstleistungen. „Ökologen sagen
       das schon seit langer Zeit“, sagt Parmesan. „Aber jetzt erkennen die
       Regierungen der Welt das auch an.“
       
       Daran werden sie sich in Zukunft messen lassen: Ob sie die Ökosysteme ihrer
       Länder erhalten, schützen und wiederherstellen. Am meisten würde es aber
       helfen, den Ausstoß von Treibhausgasen rasch zu senken. Denn so gut uns die
       Natur auch helfen mag, sie gelangt irgendwann an ihre Belastungsgrenze.
       Schon jetzt – bei einer globalen Erwärmung von 1,2 Grad Celsius – beginnt
       es, dass manche Ökosysteme ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können.
       
       Deshalb, so Parmesan, sei das Kalkül auch so problematisch, sich ein wenig
       mehr Zeit und die Erde über die Marke von 1,5 oder 2 Grad Celsius erwärmen
       zu lassen, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann – etwa dank
       technologischer Neuerungen wie der Fusionsenergie zur Stromerzeugung –
       wieder unter jene Schwelle abkühlen lässt.
       
       „Die Biosphäre befindet sich bereits heute im Niedergang und je stärker
       sich die Erde erwärmt, desto mehr wird uns die Kontrolle entgleiten“, sagt
       die Ökologin. Sollte der Klimawandel im derzeitigen Tempo voranschreiten,
       könnten bis zum Jahr 2070 ein Drittel aller Pflanzen- und Tierarten
       aussterben.
       
       5 Mar 2022
       
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