# taz.de -- Wahlkampffinale im Saarland: Fast ohne Amtsbonus
       
       > Mit gewaltigem Rückstand geht Ministerpräsident Tobias Hans in die
       > Landtagswahl. Sie ist der erste Test für die CDU unter Parteichef
       > Friedrich Merz.
       
 (IMG) Bild: Tobias Hans posiert nicht nur vor Tankstellen, er versucht es auch mit einer Pferdestärke
       
       ST. WENDEL taz | „Mer han grad iwwer dich geschwätzt.“ Mit großem Hallo und
       herzlichen Umarmungen empfangen seine ParteifreundInnen Tobias Hans in der
       Fußgängerzone von St. Wendel. Ein Ministerpräsident zum Anfassen, trotz
       Corona. In der kleinen Kreisstadt an der Grenze zu Rheinland-Pfalz ist die
       Unions-Welt noch in Ordnung. Absolute Mehrheit für die CDU im
       Stadtparlament, ihr Bürgermeister erreichte zuletzt fast 70 Prozent.
       
       Der 44-jährige Regierungschef ist im Land unterwegs, um sein Amt zu
       verteidigen. In St. Wendel ist das ein Heimspiel. Doch im Land spürt er den
       Gegenwind. In den Umfragen liegt die [1][SPD mit Spitzenkandidatin Anke
       Rehlinger] vorn. Hans muss am 27. März liefern. Das erwartet auch die
       Bundespartei.
       
       Für den neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ist die Landtagswahl im
       Saarland die erste von vier wichtigen Wahlen in diesem Jahr. Im Mai steht
       schließlich die Entscheidung über die Zukunft des bevölkerungsreichste
       Bundeslands NRW an. Seit Armin Laschets missglücktem Ausflug in die
       Bundespolitik regiert dort der CDU-Newcomer Hendrik Wüst – noch. Die CDU
       hat in diesem Jahr viel zu verlieren. Für [2][CDU-Chef Merz] könnte die
       Wahl im Saarland der Anfang vom Ende in seinem neuen Amt werden.
       
       Auf dem Schlossplatz von St. Wendel haben MitstreiterInnen Plakatwände,
       Tische und Sonnenschirme aufgestellt. Es ist ein schöner Tag, die Sonne
       scheint. Hinter einem dampfenden Waffeleisen werkelt Hermann Josef Scharf.
       Seit 2009 vertritt der 60-jährige CDU-Politiker die Region im Landtag,
       davor war er Bundestagsabgeordneter. Mit seinen ParteifreundInnen backt er
       an diesem Tag süße Teile mit den drei Buchstaben aus. Waffeln mit dem
       Parteiemblem: C-D-U zum Reinbeißen. Die süßen Düfte locken Passanten an.
       „Tobias“ muss natürlich probieren. „Ich ess’ jetzt garantiert nicht das C
       als Erstes!“, verspricht er.
       
       ## Der MP und seine Oma
       
       Die Stadt, über der die Wallfahrtskirche des heiligen Wendelin thront, ist
       schließlich katholisch geprägt. Für die meisten ist er hier „der Tobias“.
       Das sei eben so im Saarland, erklärt er den Journalisten aus Berlin, die
       ihn an diesem Tag begleiten. Hans trifft hier viele alte Bekannte. In einem
       Ortsteil von St. Wendel ist er aufgewachsen. „Frau Müller“ erzählt ihm, sie
       habe seine Oma gut gekannt. Hans schwärmt von seinen Besuchen bei den
       Großeltern in Niederlinxweiler. „Das war für mich als Kind die große, weite
       Welt, weil es einen Bahnanschluss gab“, erklärt Hans. Er war im nahen
       Oberlinxweiler zu Hause, ohne eigenen Bahnhof.
       
       Die JournalistInnen in seiner Entourage erleben ihn bodenständig und
       leutselig, sogar ein bisschen selbstironisch. Frau Müller drückt ihm denn
       auch die Daumen für den 27. März, wie die meisten, die mit ihm hier ins
       Gespräch kommen. Eine Mittfünfzigerin bekennt sich als CDU-Stammwählerin.
       Diesmal sei sie unsicher, was sie wählen soll, sagt die Verkäuferin. Die
       Coronapolitik im Saarland habe sie nicht überzeugt, sagt sie offen zum MP:
       „Es ging zu viel hin und her, man wusste oft gar nicht mehr, was gerade
       gilt.“
       
       Die [3][Saarbrücker Zeitung hat dem Regierungschef eine „erratische“
       Coronapolitik bescheinigt]. Mal war er bei Öffnungen vorgeprescht, mal bei
       der Verschärfung von Maßnahmen. Zuletzt zog er an der Seite des neuen
       CDU-Chefs Merz gegen die allgemeine Impfpflicht für Pflegekräfte zu Feld,
       der er im Bundesrat noch zugestimmt hatte. Die Pflicht kommt nun doch, mit
       den Stimmen des Saarlands. In seiner Lesart haben die Ampelparteien in
       Berlin auf die Kritik aus der Union reagiert und in letzter Minute
       nachgebessert. Seine schlechten Umfragewerte erklärt er damit, dass er als
       Regierungschef die schlechten Botschaften habe überbringen müssen.
       
       ## Hans von der Tankstelle
       
       Ende Februar, bis zum Wahltermin sind es da noch drei Wochen, hat Hans eine
       Kampagne losgetreten, die ihn auf einen Schlag bundesweit bekannt gemacht
       hat. Vor der Esso-Tankstelle in Bexbach, an der er täglich mit seiner
       Dienst-Mercedes vorbeikommt, hat der Ministerpräsident mit seinem Handy ein
       Video aufgenommen, gegen die „Bereicherung“ des Staates, der von den
       „irren“ Spritpreisen profitiere.
       
       Das Selfie lief auf allen TV-Kanälen, wurde in den sozialen Medien
       millionenfach geteilt. Es gab Zustimmung, aber auch Hohn und Spott. Mit
       zerzausten Haaren und starrem Blick fordert Hans da die Absenkung der
       Steuern auf Benzin und Energie. Nicht nur die Geringverdiener müssten
       entlastet werden, „auch die fleißigen Leute, die jeden Tag tanken müssen,“
       sagt er da.
       
       Die Einteilung in Geringverdiener und die Fleißigen, die tanken müssen?
       „Völlig daneben“, urteilt Hans’ Saarbrücker Koalitionspartner SPD. Doch das
       Thema trifft den Nerv der Leute. Das Saarland ist Pendlerland. In den
       Städten kommt man vielleicht mit dem ÖPNV zur Arbeit, auf dem Land ist man
       aufs Auto angewiesen. Wie bestellt trifft Hans auf dem Schlossplatz von St.
       Wendel ein junges Paar. Er ist Schichtleiter beim Pharmaunternehmen
       Fresenius Medical Care, sie arbeitet als Pflegerin.
       
       Die hohen Spritpreise machen ihnen beiden zu schaffen. Er fährt täglich mit
       dem Auto zur Arbeitsstelle, 15 Kilometer hin und 15 zurück. Sie wohnen mit
       ihren beiden Kindern in einem Einfamilienhaus. Die Ölheizung muss raus. Sie
       wollten auf Holzpellets umstellen, doch die Berliner Ampelregierung will
       solche Heizungen aus der Förderung nehmen. „Das werden die hoffentlich noch
       einmal überdenken“, macht ihnen Hans Mut, schließlich sei das Heizen mit
       Holz CO2-neutral und nachhaltig.
       
       Gewinnt er die Wahl, werde die CDU ein großzügiges Förderprogramm für
       Solardächer auflegen, verspricht er. Die beiden nehmen Kulis und
       Gummibärchen für die Kinder mit. Wem sie ihre Stimme geben werden, sagen
       sie nicht, nur dass der CDU-Mann ihnen aus der Seele gesprochen hat.
       
       ## Fehlender Amtsbonus
       
       Der erfahrene Landtagsabgeordnete Scharf hat die Hoffnung noch nicht
       aufgegeben, dass der Ministerpräsident die Stimmung noch drehen kann. Wie
       vor fünf Jahren. Da lag die CDU auch lange hinter der SPD. Im Endspurt
       holte Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer den Rückstand auf. Sie
       konnte mit ihren Amtsbonus wuchern. Einen solchen hat sich Kandidat Hans,
       der seit März 2018 regiert, nicht so recht erarbeiten können. Scharf
       kandidiert auf einem sicheren Listenplatz. Er wird in den Landtag
       einziehen. Doch ob seine Partei Regierungspartei bleibt? Es kommt auf die
       letzten Tage vor der Wahl an, da sind sich alle einig.
       
       Doch dann werden die Gespräche am CDU-Infostand durch ein lautes Dröhnen am
       Himmel gestört. Ein Galaxy-Transportflugzeug dreht über dem Turm von St.
       Wendelin zum Landeanflug auf die nahe gelegene US-Airbase Rammstein ab.
       „Die ist voll beladen, wir hören das am Geräusch“, sagt Scharf. Der Krieg
       in der Ukraine dominiere alle Debatten, sagt er. Die Themen der
       Landespolitik dringen auch wenige Tage vor dem Wahltermin kaum durch,
       fürchtet auch der Ministerpräsident. Wem das nutzt, ihm oder seiner
       SPD-Herausforderin – niemand wagt eine Prognose.
       
       [4][Hans redet freundlich über die SPD-Wirtschaftsministerin Anke
       Rehlinger], die ihn doch aus der Staatskanzlei verdrängen will. In den
       TV-Runden und Podiumsdiskussionen wirbt der MP unermüdlich um die
       Fortsetzung der Großen Koalition mit ihr. „Wer die Fortsetzung der Großen
       Koalition will, muss CDU wählen, wenn die SPD am 27. März vorne liegt,
       kommt eine Ampel“, behauptet Hans und lästert über die unerfahrenen
       KandidatInnen von FDP und Grünen ab. Die Große Koalition als Hort der
       Sicherheit. Ob er denn auch als Juniorpartner in eine SPD-geführte
       Landesregierung eintreten würde, wird Hans ein ums andere Mal gefragt. Er
       habe darüber noch nicht nachgedacht, wiederholt Hans gebetsmühlenartig,
       obwohl ihm das niemand abnimmt.
       
       Auf beharrliche taz-Nachfrage beim Espresso nach dem Mittagsimbiss gibt er
       indirekt dann doch eine Antwort: „Die Union hat sich noch nie verweigert,
       wenn es ums Land geht.“
       
       22 Mar 2022
       
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