# taz.de -- Die Fashion Week und der Krieg: Mehr als Mode
       
       > Die Show des ukrainischen Designers Jean Gritsfeldt wird auf der Berlin
       > Fashion Week zum Statement gegen den Krieg. Der Designer blieb in Kiew.
       
 (IMG) Bild: Mit der Fahne auf dem Laufsteg: Show des Designers Jean Gritsfeldt
       
       Eine halbe Stunde später kommt der krasse Gegenschnitt zum entspannten
       Bussibussi und Smalltalk vor der Prosecco-Bar im Kraftwerk, einem jetzt
       angesagten Veranstaltungsort und früheren Heizkraftwerk in Berlin-Mitte.
       Die Gäste der Show des ukrainischen Modedesigners Jean Gritsfeldt sitzen
       bei heulenden Sirenen und dröhnenden Bombengeräuschen im Dunkeln –
       bedrohlich wirkt die Kulisse der politischsten Show der diesjährigen
       [1][Berlin Fashion Week].
       
       „Es ist egal, was du trägst, während du im Luftschutzkeller sitzt“, sagt
       der 32-jährige Designer zuvor in einer Videobotschaft aus Kiew und erklärt,
       dass heute nicht der richtige Zeitpunkt wäre, um über Fashion zu sprechen,
       sondern die Realität durch Mode zu zeigen. Die bedrohliche Geräuschkulisse
       weicht einem Discobeat, die ersten Füße der gutgekleideten Gäste wippen den
       Rhythmus mit.
       
       Tag 2 der Berlin Fashion Week, die zweimal jährlich stattfindet. In den
       letzten Jahren hatte die Modewoche coronabedingt mit Ausfällen zu kämpfen,
       erst im vergangenen Herbst fanden wieder Shows vor Publikum statt. Nun also
       nochmals erschwerte Bedingungen: Pandemie und Krieg.
       
       Gritsfeldt, einer der bekanntesten Designer der Ukraine, wollte eigentlich
       seine Herbst-Winter-Kollektion vorstellen. Angesichts des russischen
       Angriffskriegs entschied er sich jedoch, in Kiew zu bleiben und eine
       Kollektion mit mehr als einem Dutzend Unterstützer*innen in Berlin zu
       zaubern. Innerhalb einer knappen Woche, wohlgemerkt.
       
       ## Emotionen auf dem Laufsteg
       
       Während das erste Model noch verrenkt tanzend auf den Laufsteg kommt, gehen
       alle weiteren Models andächtig und mit starren Gesichtern über den
       Laufsteg. Muckelige Alltagsklamotten wie Shirts und weite Hosen bis hin zu
       schlichten Neckholderkleidern in Grau und Schwarz zeigen großflächige
       Schriftzüge in Kyrillisch und Englisch wie „Ukraine“, „Glück“ oder
       „Gewissen“.
       
       Diese Kollektion sei nichts weiter als Stimmungen und Emotionen, sagte der
       Designer in seiner kurzen Ansprache, und so wendet sich die Stimmung auf
       dem Laufsteg auch mit dem rot bemalten Model, dessen weißes Shirt und Rock
       aussehen, als wäre es blutgetränkt. Auf dem Shirt prangt der Schriftzug
       „Peace“. Frieden.
       
       [2][Die nachfolgenden Models] tragen luftige, weiße Baumwollhemden mit
       roten Schriftzügen wie „Poesie“ oder „Liebe“ und viel Glitter im Gesicht.
       Der musikalische Klangteppich mit Discoklängen geht über in einen
       weiblichen Gesang, ein ukrainisches Lied wird angestimmt. Am Schluss der
       halbstündigen Show erscheint die obligatorische Braut, aufrecht in einem
       bis zum Bauch ausgeschnittenen Neckholderkleid in Weiß. Star der Show ist
       die riesige ukrainische Flagge, getragen von den Models.
       
       Es wird wieder dunkel im Saal. Auf der Videoleinwand erscheint eine Collage
       von Fotos aus der Ukraine: Ein Vater verabschiedet sich an einem Gleis von
       seinem Kind, dann tauchen in rasend schneller Abfolge Bilder der weltweiten
       Solidaritätsdemos auf. Der Abend, wie kann es auch anders sein, endet mit
       Standing Ovations für den Designer und für die Ukraine.
       
       17 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://fashionweek.berlin/index.html
 (DIR) [2] https://mbfw.berlin/#/post/jean-gritsfeldt-aw22/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ebru Tasdemir
       
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