# taz.de -- Berliner Grünen-Spitze im taz-Interview: „Wir haben als Grüne die Konzepte“
       
       > Susanne Mertens und Philmon Ghirmai leiten als Duo den Berliner
       > Grünen-Landesverband. Über den Anspruch „alle mitzunehmen“ in dieser
       > Stadt.
       
 (IMG) Bild: Wollen Ansprechpartner*innen der Stadtgesellschaft sein: Philmon Ghirmai und Susanne Mertens
       
       taz: Frau Mertens, Herr Ghirmai, wie ist denn eigentlich gerade die
       Stimmungslage bei Ihnen im Grünen-Landesverband? 
       
       Susanne Mertens: Ich nehme eine gute Stimmung wahr. Ich nehme
       Aufbruchstimmung wahr – dass jetzt genau die Zeit ist, etwas zu bewegen.
       Klimaschutz, Energiewende, das sind jetzt die Themen, die nach vorne
       getrieben werden müssen – nicht nur in Berlin, sondern bundesweit.
       
       Wir hätten jetzt eher gedacht, dass es da aktuell ein paar Bauchschmerzen
       gibt – immerhin geht [1][ein grüner Wirtschaftsminister gerade fossile
       Energien bei zweifelhaften Geschäftspartnern einkaufen], der Wehretat wird
       erheblich erhöht, und man diskutiert über längere Laufzeiten von
       Atomkraftwerken … 
       
       Mertens: Wir haben als Grüne die Konzepte, wir haben jetzt die Chance, alle
       mitzunehmen, und das ist die große Herausforderung und unsere Aufgabe: die
       grünen Kernthemen Klimaschutz und Energiewende nach vorne zu bringen.
       
       Meinen Sie, dass die Grünen-Basis das auch so positiv interpretiert wie
       Sie? 
       
       Philmon Ghirmai: Niemand nimmt die aktuelle Situation leicht. Und natürlich
       ist es für uns Grüne keine Selbstverständlichkeit, Rüstungsgüter in ein
       Kriegsgebiet zu exportieren. Zugleich hat die Ukraine ein Recht auf
       Selbstverteidigung. Diese Diskussionen führen wir parteiintern sehr
       ernsthaft und offen. Und zur Energiepolitik: Ja, auch deren
       sicherheitspolitische Dimension ist nun noch deutlicher geworden. Damit
       steigt der Druck, unabhängiger zu werden von fossilen Energieträgern – ob
       das jetzt Windkraft oder Solardächer sind. Umso mehr müssen wir
       Berlin-Brandenburg als Metropolregion zusammendenken, wenn wir zu einer
       stärkeren Unabhängigkeit bei der Energieversorgung kommen wollen.
       
       Gehen wir mal in die Berliner Landespolitik: Die Besetzung der Kommission,
       die einen Gesetzentwurf für die [2][Enteignung großer Wohnkonzerne
       erarbeiten soll, steht nun weitgehend fest]. Was hoffen die Grünen
       eigentlich zu erreichen? 
       
       Ghirmai: Wir wollen dem Volksentscheid gerecht werden.
       
       Was heißt das für Sie? 
       
       Ghirmai: Wir wollen der komplexen Sachlage gerecht werden. Dieser Artikel
       15 im Grundgesetz wurde noch nie angewendet. Damit gehen
       verfassungsrechtliche Fragen einher, die kann man nicht nur mit Gutachten
       klären. Es kann aber nicht nur um das Ob gehen, sondern es muss auch über
       das Wie gesprochen werden. Dazu gehören etwa auch immobilienwirtschaftliche
       und finanzpolitische Aspekte. Wir wünschen uns eine produktive Diskussion
       und dass der Senat am Ende eine Grundlage hat, um über ein Gesetz zu
       entscheiden.
       
       In der Linken gibt es vermehrt Stimmen, die sagen: Wenn die Ziele der
       Initiative nicht durchkommen, wenn das Parlament am Ende kein
       Enteignen-Gesetz verabschiedet, dann ist die Koalition vorbei. Wie
       beurteilen Sie das? 
       
       Mertens: Das ist jetzt der Blick in die Glaskugel. Das primäre Ziel ist,
       dass die Kommission sich sachorientiert dem Thema widmet und sich jeder in
       der Kommission gut abgebildet fühlt.
       
       Die Grünen haben es bisher nicht geschafft, klar zu sagen, ob sie nun für
       oder gegen Enteignungen sind – richtig? 
       
       Mertens: Also, wenn wir sagen, wir wollen eine Kommission, die sich dem
       Thema sachorientiert zuwendet, dann ist es nicht vorteilhaft, das Ergebnis
       vorwegzunehmen. Der Auftrag muss jetzt sein an die Kommission: Bitte, füllt
       diesen Auftrag mit Leben.
       
       Ghirmai: Wir sind beim Enteignen-Thema als Grüne klar positioniert! Und in
       der Koalition gab es bei dieser Frage eine klare Einigung auf das weitere
       Vorgehen.
       
       Das stimmt – aber Sie als Landesvorsitzende könnten ja unabhängig von der
       Koalition eine eigene Position haben. Erwartet das die Grünen-Basis nicht
       auch von Ihnen? 
       
       Ghirmai: Ja, aber Alleingänge bringen jetzt nichts für die Sache. Und
       darüber hinaus sind wir intern durchaus in sehr guten Gesprächen.
       
       Mit [3][Bettina Jarasch verantworten die Grünen in dieser Koalition das
       wichtige Ressort für Verkehr und Umwelt]. Konnte Jarasch schon Akzente
       setzen? 
       
       Ghirmai: Ich habe schon den Eindruck, dass wir etwa bei der Verkehrswende
       schon einen Schritt vorangekommen sind.
       
       Wo denn konkret? 
       
       Ghirmai: Die Mobilitätswende ist ein Thema, das dezentral und mit den
       Bezirken vorangebracht werden muss. Insofern sind wir sehr optimistisch,
       weil wir seit den Wahlen im Herbst auch ungewöhnlich viele grüne
       Stadträt*innen stellen, die auf Bezirksebene dieses Thema verantworten.
       
       Das ist jetzt aber nicht unbedingt das Verdienst von Bettina Jarasch. 
       
       Ghirmai: Ich will sagen: Wir haben als Grüne für die Mobilitätswende nicht
       nur Bettina Jarasch. In der Senatsverwaltung kann bei ihr viel
       zusammenlaufen: Sie ist für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der
       Fahrradschnellwege zuständig, die Bezirke etwa für Themen wie Kiezblocks
       oder den Ausbau des Fahrradnetzes in den Nebenstraßen. Bettina Jarasch
       sorgt dafür, dass das in Zukunft besser koordiniert wird und man zügiger in
       die Umsetzung kommt, etwa beim Ausbau des Radwegenetzes. Das ist auch ein
       großes Versprechen, das wir erfüllen müssen. Denn die Leute wollen ja die
       Verkehrswende.
       
       „Die Leute“, sagen Sie: Wenn dem so wäre, dann wären die ersten
       [4][E-Autos, die Tesla seit vergangener Woche in Grünheide ausliefert],
       keine SUVs. Dann wären das Kleinwagen für jene ohne guten ÖPNV-Anschluss.
       
       Mertens: Ich glaube, das sind jetzt sehr viele Themenkomplexe auf einmal.
       
       Warum? Die Mobilitätswende setzt eine Verhaltensänderung voraus. Die ist
       aber im praktischen Handeln – beim Tesla-Beispiel: das Käuferverhalten –
       oft nicht zu erkennen. 
       
       Mertens: Ich glaube, worüber große Einigkeit herrscht, ist, dass die
       Mobilitätswende vollzogen werden muss. Die Stadt läuft mit Autos zu, das
       muss man gar nicht mehr erklären. Diese Einigkeit habe ich zumindest im
       Wahlkampf erlebt. Wir sind auch gewählt, weil die Menschen von uns
       erwarten, dass wir die Lösungen liefern. Konsens sehe ich auch darüber,
       dass CO2 reduziert werden muss, aber die Alternativen zum Auto auch klar
       dargestellt werden müssen: Dass ich trotzdem individuell mobil bleibe.
       
       Wie sehr hat es Sie geärgert, als sich die Regierende Franziska Giffey im
       Februar öffentlich dafür aussprach, [5][den Ausbau der U7 zum BER zu
       priorisieren] – obwohl Verkehr das Ressort von Jarasch ist? 
       
       Ghirmai: Wir haben bei der Mobilität ja schon in der letzten Wahlperiode
       viel auf den Weg gebracht, und ich lese das Wahlergebnis auch als eine
       Bestätigung dieser Politik. Da geht es auch nicht nur ums Fahrrad: Wir
       haben einen unfassbar guten Nahverkehrsplan beschlossen, der letzte Senat
       hat Verkehrsverträge vereinbart, über die Milliardeninvestitionen in den
       Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs fließen. Um unser Ziel einer autoarmen,
       teilweise autofreien Stadt zu erreichen, müssen wir allen
       Berliner*innen auch wirklich ein Angebot machen, das ihnen den Umstieg
       auf den öffentlichen Nahverkehr ermöglicht. Wir haben Ideen zur
       Verkehrswende, die anderen Parteien eben auch – das gehört dazu.
       
       Die Frage zielte mehr darauf, wie sehr es bei den Grünen Unmut darüber
       gibt, dass Frau Giffey nun in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem
       U-Bahn-Ausbau verbunden wird. 
       
       Mertens: Es geht nicht um einen Wettlauf. Es geht nur zusammen und
       gemeinsam. Und dazu gehören Ideen. Die kann man aufnehmen, die kann man
       verwerfen. Wir haben dazu in der Koalition einen Weg vereinbart, und den
       gehen wir jetzt.
       
       Ghirmai: Unsere Leute interessieren sich für Ergebnisse, nicht für
       Ankündigungen.
       
       Die Mobilitätswende drängt, und sie kostet viel Geld. Nun muss das Land
       auch noch Zehntausende Geflüchtete versorgen. Wird am Ende nicht genug Geld
       für alles da sein? 
       
       Ghirmai: Es gibt ja Verkehrsverträge, die geschlossen worden sind.
       
       Die muss man aber auch bezahlen. 
       
       Ghirmai: Der Einzelplan liegt gerade beim Parlament …
       
       Es geht ja auch nicht um den gerade im Parlament diskutierten Haushalt,
       sondern um die Finanzen der nächsten Jahre. 
       
       Ghirmai: Wir haben [6][eine globale Klimakrise]. Das war kein Wahlkampf-Gag
       der Grünen, das ist bittere Realität. Das heißt, wir müssen Berlin
       klimaneutral umbauen. Dafür müssen wir massiv investieren, vor allem in die
       Verkehrs- und in die Wärmewende. Deswegen stellt sich die Frage gar nicht,
       ob das Sachen sind, die wir einsparen können, um etwas anderes zu
       finanzieren. Ganz im Gegenteil: Mobilitätswende und Energiewende, das muss
       stattfinden.
       
       Dürfen für mehr Klimaschutz die Mieten teurer werden? Energetische
       Sanierung gibt es ja nicht für umsonst. 
       
       Ghirmai: Das muss so ausgestaltet sein, dass die Menschen natürlich
       trotzdem ihre Wohnung behalten können. Das ist für uns Grüne gar keine
       Frage: Dass wir eine soziale Mieter*nnenpartei sind, ist zumindest in
       Berlin urgrünes Selbstverständnis. Wir sind da sehr klar positioniert –
       auch was den Schutz der BestandsmieterInnen angeht. Wir sagen nicht, dass
       die Lösung nur in Bauen, Bauen, Bauen besteht. Wir sagen sehr klar: Die
       soziale Frage löst sich im Bestand.
       
       Was dieses Selbstverständnis angeht: Sie sind nun gut dreieinhalb Monate im
       Amt – wo wollen Sie hin mit dem Landesverband, der in letzter Zeit enorm
       gewachsen ist? 
       
       Mertens: Wir wollen Berlin zu einer sozialen, klimaneutralen
       Zukunftshauptstadt machen. Wir Grüne haben den Anspruch, in dieser Stadt
       alle mitzunehmen und weiterhin vorne mitzuspielen. Da ist es wichtig,
       Strukturen zu schaffen, um die Beteiligung der Mitglieder zu gewährleisten
       und trotzdem operativ zu bleiben. Auch nach außen hin wollen wir die
       Ansprechpartner*innen für die Stadtgesellschaft sein. Im Wahlkampf
       haben wir erlebt: Wir Grüne sind das schon für viele, und wir werden auch
       gesehen als diejenigen, die sich um die Lösung der Probleme kümmern.
       
       28 Mar 2022
       
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