# taz.de -- Robert Habeck zur Energieversorgung: „Ich bin nicht Minister für Grüne“
       
       > Er wollte Windräder bauen, jetzt kämpft er für billiges Benzin. Der
       > Wirtschafts- und Klimaminister erklärt, warum er gegen ein Gas- und
       > Ölembargo ist.
       
 (IMG) Bild: Robert Habeck am 24. März 2022 in seinem Ministerbüro
       
       Der Minister sieht müde aus und das hat einen Grund. Am
       Donnerstagnachmittag empfängt der grüne Wirtschafts- und Klimaminister
       Robert Habeck zum Interview nach einer durchgemachten Nacht. Bis acht Uhr
       morgens hat er mit den Koalitionspartnern über das Entlastungspaket
       verhandelt. Dann schnell nach Hause, duschen, Zähne putzen und wieder in
       den Bundestag: Rede zur Vorstellung seines Haushalts. Am Nachmittag sitzt
       er in seinem riesigen Amtszimmer im Wirtschaftsministerium. Nach einer
       kurzen Pause eine Cola gegen die Müdigkeit. Dann geht es los. 
       
       taz am wochenende: Herr Habeck, eine Frage, die man eigentlich nicht laut
       stellen darf: Ist dieser fürchterliche Krieg in der Ukraine die
       Gelegenheit, auf die alle gewartet haben, die die Energiewende
       voranbringen wollen? 
       
       Robert Habeck: Jeden Tag sterben Menschen, werden verletzt, sitzen
       verzweifelt in Kellern, in der Hoffnung, von Bomben verschont zu bleiben.
       Also nein, alle Menschen wären froh, wenn es den Krieg nicht gäbe. Aber was
       zu spüren ist, ist die Entschlossenheit und die Geschlossenheit, dem etwas
       entgegenzusetzen. Wir wollen unabhängig werden von russischen Importen. Und
       dazu braucht es die Energiewende. Die Stimmung ist: Komm, jetzt ziehen wir
       es durch.
       
       Sogar die FDP nennt die Erneuerbaren inzwischen Freiheitsenergie. 
       
       Wer das Klima schützt, schützt die Freiheit. Diese Erkenntnis hat jetzt
       noch mal eine neue Dimension. Alles hängt daran, dass sie auch trägt, wenn
       es zum Schwur kommt. Aber den Schwur bereiten wir vor, mit allem, was wir
       haben.
       
       Was heißt das? 
       
       Wir bringen zu Ostern ein Gesetzespaket mit 56 verschiedenen
       Einzelmaßnahmen auf den Weg. Die wichtigsten davon: die größte Reform des
       EEG, die es je gab, mit neuen Ausbauzielen und der Abschaffung der Umlage,
       neuen Regelungen für Offshore-Wind und Photovoltaik, Änderungen im
       Gebäude-Energie-Gesetz. Auch in der Fläche wollen wir mehr
       Windenergieanlagen installieren. Im Sommer kommen dann noch die Regeln zum
       Netzausbau. Dazu ein großes Effizienzprogramm. Das ist dann unser Fahrplan
       für die nächsten Jahre, um Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu
       machen.
       
       Aber das meiste davon war ja schon vor Kriegsbeginn geplant. Hätten Sie
       unter dem Druck des Krieges nicht noch mehr durchsetzen können? 
       
       Nein, die Ziele waren ja schon so extrem ehrgeizig. Deutschlands
       Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität werden wir nur in einem großen,
       gemeinsamen Kraftakt erreichen, zu dem alle Ebenen – Bund, Länder,
       Kommunen, Unternehmen, private Haushalte – etwas beitragen. Der Ausbau von
       Windkraft und Photovoltaik in den jetzt vorgesehenen Größenordnungen wird
       das Land verändern und fordern. Noch mehr geht einfach nicht, auch schon
       physisch. So viele Hände gibt es gar nicht, die das alles umsetzen und
       verbauen. Aber wenn wir uns in den nächsten acht Jahren an die zwei Prozent
       der Landesfläche für Windanlagen heranarbeiten und die Verfahren
       beschleunigen, dann wäre das schon ein wahnsinniger Erfolg.
       
       Dafür sind Sie auf die Länder angewiesen. Müssen Sie da den Druck nicht
       noch mehr erhöhen? 
       
       Wir könnten da als Bund vieles auch allein machen, aber wir wollen das als
       gesellschaftliche Gemeinschaftsleistung vollbringen.
       
       Und wenn das nicht klappt mit der Gemeinschaftsleistung? 
       
       Im ersten Jahr der Legislaturperiode musst du anschieben, reden, fördern,
       überzeugen. In der Mitte der Legislatur muss ein Schalter umgelegt werden.
       Da muss es dann eine gesellschaftliche Dynamik geben: dass man Zustimmung
       gewinnt, wenn man Wind- und Sonnenkraft ausbaut und Landtagswahlen
       verliert, wenn man sich dagegenstellt. Wenn das nicht passiert, wird ein
       Bundesminister scheitern, auch wenn er noch so fleißig ist. Und weil ich
       nicht scheitern will, ist es meine Aufgabe, diese Dynamik zu orchestrieren.
       Die Logik ist: Jedes Land trägt Verantwortung, und wer die Veränderung mit
       aufs Gleis setzt, wird davon profitieren. Aber ein Verharren im Weiter-so
       darf politisch nicht belohnt werden.
       
       Ein Verharren im Weiter-so gibt es aber beim Tempolimit. Warum ist das
       nicht durchsetzbar, obwohl es die Ölimporte verringern und bei den
       Klimazielen helfen würde? 
       
       Es ist kein Geheimnis, dass ich ein Tempolimit richtig finde. Wir reden ja
       viel über ein Embargo von russischem Öl. Ein Drittel unseres Öls kommt aus
       Russland. Und auch beim Klimaziel im Verkehr sind noch nicht alle Antworten
       gefunden. Aber ich weiß, dass unsere Koalitionspartnerin, die FDP, da
       anders draufschaut. Beim zweiten Problemfeld, bei den Gebäuden, haben wir
       jetzt im Entlastungspaket viele gute Sachen hinbekommen: Der neue
       KfW-Standard 55 für Neubauten ab nächstem Jahr, und ab 2024 gibt es keine
       reinen neuen Gasheizungen mehr.
       
       Sie müssen laut Gesetz ein Sofortprogramm vorlegen. Aber alle diese
       Maßnahmen wirken nicht sofort. 
       
       Nein, natürlich wirken die Maßnahmen erst mit der Zeit. Ich habe ja schon
       gesagt, dass wir 2022 und wahrscheinlich auch 2023 kaum eine Chance haben,
       die Klimaziele im Gesetz in allen Ressorts einzuhalten. Da war die aktuelle
       Explosion der Preise noch nicht einberechnet. Es könnte sein, dass dadurch
       die Emissionen stärker sinken als wir dachten. Nur ist das keine
       Erfolgsmeldung: Denn bei den Unternehmen und bei einigen Bürgerinnen und
       Bürgern geht die blanke Existenzangst um. Manche Industriezweige fahren
       jetzt schon die Produktion zurück, Aluminium beispielsweise. Eine
       Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Abbruch von Produktionsketten,
       Abwanderung von Industrie – das ist kein Klimaschutz, den man feiern
       sollte. Im Gegenteil: Es ist das Scheitern von Politik, wenn man die eine
       Krise, den Krieg, braucht, damit die andere Krise, die Klimakrise, nicht so
       schlimm wird.
       
       Sie bekommen jetzt eine Minute zum Jammern: Was hat die Vorgängerregierung
       Ihnen hinterlassen, wo Sie sagen: Oh, mein Gott! 
       
       Ich habe ein paar Sachen vorgefunden, wo man sagt: Wie kann das eigentlich
       sein? Wir haben keine politische Möglichkeit, um eine Versorgungskrise im
       Gasbereich zu unterbinden? Oder, dass die Überförderung bei der
       Neubauförderung nicht erkannt wurde, das war schlechtes politisches
       Handwerk, das viel Geld kostet. Wer zu lange im Amt ist, verliert die
       Selbstkritik. Sollte ich sehr lange Minister sein, werde ich auch
       irgendwann im eigenen Saft schmoren. Das Gute an der Demokratie ist aber:
       Es kommen neue Leute, die hinterfragen das.
       
       Habeck sitzt auf der Couch in seinem Ministerbüro, konzentriert
       vornübergebeugt. Er spricht mit leiser, belegter Stimme. Der riesige Raum
       ist karg möbliert. Deutschland- und EU-Fahne in der Ecke sind der einzige
       Schmuck. Die Schränke, bei seinem Vorgänger Peter Altmaier voller Geschenke
       und Andenken, sind noch leer. Der große Schreibtisch ist säuberlich
       aufgeräumt. Das habe er früh von einem seiner Büroleiter gelernt, sagt
       Habeck: Abends muss der Schreibtisch leer sein wie eine Landebahn. 
       
       Sie kommen gerade aus einer Verhandlung, die Ampel hat sich die ganze Nacht
       um ein Entlastungspaket gestritten. Wie schwierig ist denn die Umsetzung
       all dieser großen Ziele mit FDP und SPD? 
       
       Ich will es mal so beantworten: Dass wir unterschiedlich auf Dinge gucken,
       dass wir eine unterschiedliche politische Wertevorstellung haben, das ist
       einfach so. Bei vielen gesellschaftspolitischen Fragen passen wir sehr gut
       zusammen. Und es gibt andere Sachen, wo Ordnungsrecht und haushalts- oder
       finanzpolitische Aspekte berührt sind, wo die Spannungen größer sind. Und
       das sind jetzt interessanterweise eher die Bereiche, die ich betreue. Aber
       ich habe sehr gute Kollegen, mit denen ich das auch auf dieser
       handwerklichen Ebene immer wieder gut lösen kann. Mit dem Finanzministerium
       und auch ausdrücklich mit dem Verkehrsministerium.
       
       Im Entlastungspaket geben Sie viel Geld aus, um den Benzinpreis zu senken.
       Wie schwer fällt Ihnen das als Politiker einer Partei, die diesen Preis mal
       auf fünf D-Mark hochsetzen wollte? 
       
       Das fällt mir nicht so schwer, weil ich sehe, wie die Preise für viele
       Leute extrem bedrückend sind. Bei Speditionen, Unternehmen, bei
       Taxifahrern, bei Berufspendler entstehen da materielle Nöte. Und die hohen
       Preise für Heizen und Strom werden mit Verzögerung ein noch größeres
       Problem darstellen. Das wird vielen Leuten richtig wehtun, da müssen wir
       Entlastung schaffen. Ich finde es aber noch besser, dass wir im
       öffentlichen Nahverkehr das Angebot attraktiver machen.
       
       Mehr als die Hälfte der Preissteigerung bei Benzin und Diesel bleibt als
       Extragewinn bei Raffinerien und Zwischenhändlern. Muss man das noch mit
       Staatsgeldern subventionieren? Hätte man das nicht mit Gewinnabschöpfung
       mit Preisobergrenzen verhindern können? 
       
       Übergewinne abzuschöpfen finde ich als Idee richtig und sie sollte
       unbedingt auf der politischen Agenda bleiben. Kriegsgewinnlertum darf kein
       Geschäftsmodell sein. Wir haben die Abschöpfung der Gewinne aber nicht in
       dieses Paket reinbekommen, weil es noch kein durchgerechnetes,
       rechtssicheres Modell gibt. Das Steuerrecht ist komplex, und der Schuss
       muss sitzen.
       
       Ein Geschäftsmodell, das in der akuten Krise jedenfalls wieder zurück ist,
       heißt Kohle. Die bisherige Planung zum Kohleausstieg beruhte darauf, dass
       es billiges Gas gibt. Muss man da nicht ganz neu nachdenken? 
       
       Die Notwendigkeit, aus der Kohle schnell auszusteigen, bleibt. Ohne hier
       wieder zu jammern: Die alte Bundesregierung hat zwei Gesetze geschaffen,
       die nicht miteinander kompatibel sind. Einmal das Kohleausstiegsgesetz mit
       2038 als Enddatum und einmal das Klimaschutzgesetz mit seinen
       Minderungspfaden bis 2030 auf minus 65 Prozent und bis 2040 auf minus 88
       Prozent der Emissionen gegenüber 1990. Wenn der Kohleausstieg erst 2038
       erfolgt, ist das schlicht unmöglich. Die Ministerpräsidenten der
       Kohleländer haben darauf hingewiesen, dass es quasi eine Art
       Vertrauensschutz gibt mit dem Kohleausstieg 2038. Es gibt aber auch einen
       Vertrauensschutz gegenüber der Gesellschaft und anderen Staaten, um die
       Klimaziele zu halten. Dafür stehe ich. Wir müssen die Klimaschutzziele
       einhalten und dafür die Hilfen für die betroffenen Regionen beschleunigen.
       
       Schneller weg vom Gas heißt aber: mehr Kohle und mehr C02. 
       
       Schneller weg vom Gas kommen wir durch den schnelleren Ausbau der
       Erneuerbaren und einer früheren Umstellung auf Wasserstoff. Auf zusätzliche
       Kohle wollen wir nur im Notfall zurückgreifen. Es sollen zwar mehr
       Kohlekraftwerke in die Sicherheitsbereitschaft, das heißt aber nicht, dass
       diese dann tatsächlich auch zum Einsatz kommen. Wenn wir in den nächsten
       Jahren mehr Kohle verfeuern sollten, müssen wir natürlich den zusätzlichen
       CO2-Ausstoß ausgleichen. Und ich bin da optimistisch: Beim Wasserstoff
       jedenfalls gibt es eine unglaubliche Dynamik.
       
       Sie waren gerade in den Golfstaaten auf Energie-Shopping-Tour. Gibt es da
       jetzt Zusagen, was die Preise und die Mengen angeht? 
       
       Ja, es gab politische Zusagen und deswegen bin ich dorthin gefahren. Mengen
       und Preise verhandeln im Detail die Unternehmen.
       
       Die Bilder, wie Sie vor dem Emir von Katar einen Diener machen, sind ja
       nicht überall so gut angekommen. Wie schwer fällt es Ihnen, bei diesen
       Regimes, die Menschenrechte missachten und Kriege führen, als Bittsteller
       aufzutreten? 
       
       Ich würde die Rollen auch anders beschreiben: Katar und die Vereinigten
       Emirate haben Interessen, wir haben Interessen. Und wir haben sehr höflich,
       sehr offen und klar miteinander gesprochen – über das, was uns verbindet,
       und das, was uns trennt. Es waren schwierige Gespräche, weil ich natürlich
       einerseits ein Ziel hatte und andererseits wusste, wer meine
       Gesprächspartner sind.
       
       Wenn wir von dort Gas oder Wasserstoff beziehen sollten – wie verhindern
       wir, dass wir in eine neue Abhängigkeit von Despoten rutschen? 
       
       Indem wir nicht alle unsere Chips auf eine Karte, auf ein Feld setzen.
       Schon alleine Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen in der
       Konkurrenz. Katar produziert Flüssiggas, die Emirate planen mit Wasserstoff
       – je mehr wir davon bekommen, desto schneller sind wir aus dem Flüssiggas
       raus. Davor war ich in Norwegen, den USA, wir reden mit Kanada und anderen
       Ländern. Am Ende wollen wir ein System, bei dem vielleicht jedes Land 10
       bis 20 Prozent liefert, aber nicht noch mal knapp 55 wie jetzt aus
       Russland. Wenn dann ein Land ausfällt, können die anderen das auffangen.
       
       Damit sind wir bei der aktuellen Debatte über einen Importstopp für Öl, Gas
       und Kohle aus Russland. Sie bremsen da. Müssten Sie nicht eigentlich den
       Abschied davon vorantreiben? 
       
       Das tue ich. Nur bin ich jetzt nicht der Minister für die Grünen, sondern
       trage Verantwortung für das ganze Land. Da muss man die Dinge zu Ende
       denken, bevor man sie entscheidet, in allen Konsequenzen. Ich wundere mich
       über die Leichtfertigkeit, mit der einige immer vom besten Szenario
       ausgehen. Das hat bei Covid-19 nicht geklappt, das hat beim Klimaschutz
       nicht geklappt, das hat bei Putin auch nicht geklappt. Wenn ich sicher
       wäre, dass ein Ölembargo den Krieg nach drei Tagen beenden würde, dann
       würde ich es sofort machen. Aber das ist nicht realistisch, wenn man sieht,
       wie lange Russlands Kriege in Syrien, Abchasien oder Südossetien dauern.
       Unsere Sanktionen müssen so sein, dass wir sie lange durchhalten können.
       Aber jeden Tag erarbeiten wir uns gerade ein Stück mehr Spielraum, indem
       wir die Abhängigkeit konsequent verringern. Wir sind jetzt in der vierten
       Kriegswoche, und die Abhängigkeit von Russland geht bei Öl in den kommenden
       Wochen und Monaten von 35 auf 25 Prozent zurück. Im Sommer werden wir die
       russischen Ölimporte voraussichtlich halbiert haben. Auch bei der Kohle
       reduzieren wir von 50 auf 25 Prozent. Und beim Gas ist der russische Anteil
       von 55 auf 40 Prozent gesunken, zum Jahresende können wir auf 30 Prozent
       kommen – wenn wir es schaffen, auch den Verbrauch zu senken. Jeder Vertrag,
       der endet, schadet Putin.
       
       Sie warnen einerseits vor den Folgen eines Embargos. Andererseits erklären
       Sie, dass wir darauf vorbereitet sind, falls Putin von sich aus die Exporte
       stoppt; dass er dafür nur noch Rubel akzeptiert, könnte ja ein erster
       Schritt in diese Richtung sein. Wie passt das zusammen? 
       
       Das klingt wie das Gleiche, es sind aber zwei verschiedene Dinge. Ich kann
       ein Embargo nur beschließen, wenn ich die Folgen für unser Land
       verantworten kann, das ist meine Pflicht als Minister. Stand jetzt hätte
       ein sofortiges Embargo gravierende Folgen. Wenn Putin entscheidet, alle
       Lieferungen zu stoppen, müssen wir damit umgehen. Und natürlich bereiten
       wir uns auf verschiedene Szenarien vor.
       
       Andere Szenarien sagen, die Folgen seien beherrschbar. Haben Sie dazu
       eigene Rechnungen machen lassen? 
       
       Das Bundesamt für Katastrophenschutz hat 2018 einen Gas-Ausfall in einem
       kalten Winter simuliert – im Rahmen einer bundesweiten Krisenübung. Deshalb
       wissen wir, worauf wir uns vorbereiten müssen. Viele Studien, die
       Entwarnung geben, gehen immer vom optimalen Szenario aus: davon, dass es im
       Winter nicht zu kalt wird; von einem kurzfristigen Einbruch, bei dem die
       Konsequenzen beherrschbar sind, weil die Kräfte des Marktes optimal wirken
       – wenn eine Leitung wegfällt, kauft man halt woanders Gas, man stellt sein
       Verhalten um oder findet effizientere Lösungen. Das ist alles zu kurz
       gedacht. Raffinerien in Ostdeutschland können zum Beispiel nicht mal eben
       ihre Pipelines umlegen, sie werden ihre Produktion erst einmal einstellen
       müssen oder drastisch reduzieren. Das heißt, Lieferketten brechen zusammen,
       weniger Benzin wird ausgeliefert und Menschen könnten ihre Arbeit
       verlieren. Das scheint mir in diesen Studien nicht genug reflektiert worden
       zu sein. Und das bestätigen auch viele der Fachleute, mit denen wir darüber
       reden.
       
       Deutschland ist immer noch nicht auf dem Pfad zu 1,5 Grad. Könnte da gerade
       ein solcher Strukturbruch, das schlagartige Wegfallen von fossilen
       Energien, nicht auch eine Chance sein? 
       
       Die Sehnsucht nach der Katastrophe teile ich nicht. Das ist weder sozial
       noch politisch durchdacht. Wir können nicht mit Deflation und
       Massenarbeitslosigkeit das Klima schützen. Wir müssen eine klimaneutrale
       Gesellschaft aufbauen, ohne dabei soziale Krisen, Armut und politische
       Handlungsunfähigkeit auszulösen.
       
       Aber es gibt doch in der Bevölkerung und gerade bei Ihrer grünen Basis eine
       breite Unterstützung für Tempolimit, höhere Benzinpreise, ein schnelles
       Energieembargo. Gerade waren dafür wieder Zehntausende beim Klimastreik der
       Fridays for Future auf der Straße. 
       
       Erstens sind die Umfragen eher fifty-fifty. Zweitens muss ich mich an
       dieser Stelle im Zweifelsfall frei machen von der Mehrheitsmeinung. Ich
       kann nur entlang dessen entscheiden, was ich für richtig halte im Lichte
       all der Kenntnisse, die in diesem Haus mit hoher Kompetenz gesammelt
       werden. Ich kann in so einer Sache nicht nach Stimmung entscheiden. Ich
       fühle mich Wolodymir Selensky persönlich verbunden. Er war einer meiner
       ersten politischen Besuche an einem heißen Sommertag in der Parteizentrale
       der Grünen. Das war etwas Besonderes. Danach habe ich ihn in Kiew besucht …
       (schweigt) … Ich war da und fühle mich dem Land und ihm persönlich
       verpflichtet. Trotzdem muss ich mich dazu zwingen, jetzt nicht nur aus dem
       Bauch zu handeln. Und schließlich muss man sehen: Das Szenario, über das
       wir reden, lautet nicht: Wir zahlen noch ein bisschen mehr für den Liter
       Benzin, das Heizöl oder das Gas. Sondern: Es gibt nicht mehr genug Benzin,
       Heizöl oder Gas – also einen echten spürbaren Mangel.
       
       Eine Stunde war für das Gespräch angesetzt, nach exakt 55 Minuten ist
       Schluss. Noch fünf Minuten für Fotos, Habeck lässt sich bereitwillig von
       der Fotografin dirigieren. Dann: der nächste Termin, Habeck rennt aus dem
       Zimmer, kommt aber gleich wieder rein und komplimentiert Journalisten und
       Fotografin raus: ein Telefonat mit dem Industrieminister der Vereinigten
       Arabischen Emirate. Dann folgt eine Telefonkonferenz mit Unternehmenschefs.
       Er sehe mit Staunen, sagt Habeck noch zwischen Tür und Angel, wie
       Unternehmenschefs, „die wahrscheinlich noch nie Grün gewählt haben“, den
       Weg der Regierung zur Klimaneutralität immer stärker unterstützten. Dann
       tschüs. 
       
       Anmerkung der Redaktion: Die Antwort von Robert Habeck zur Verringerung des
       Anteils des aus Russland importierten Gases enthielt durch ein Versehen
       zunächst eine falsche Angabe; das Wirtschaftsministerium hat diese
       korrigiert. Die Redaktion hat die Antwort entsprechend angepasst.
       
       25 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malte Kreutzfeldt
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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       Das geplante Billigticket ist wegen der Energiepreise eine gute Idee. Es
       sollte aber gleich umsonst sein – und mehr in den ÖPNV investiert werden.
       
 (DIR) Berliner Grünen-Spitze im taz-Interview: „Wir haben als Grüne die Konzepte“
       
       Susanne Mertens und Philmon Ghirmai leiten als Duo den Berliner
       Grünen-Landesverband. Über den Anspruch „alle mitzunehmen“ in dieser Stadt.
       
 (DIR) +++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: 1.119 tote Zivilisten in Ukraine
       
       Die UN zählen 99 im Ukrainekrieg getötete Kinder. Mehrere Bundesländer
       gehen gegen das russische „Z“-Symbol vor. Die Ukraine kauft
       Panzerabwehrwaffen.
       
 (DIR) Energieimporte aus Russland: Harte Worte an Putin
       
       Die EU, Nato und G7 warnen Russland vor einer Fortsetzung des Kriegs.
       Vorerst gibt es aber kein Importstopp für russisches Gas und Öl.
       
 (DIR) Steigende Benzinpreise in Deutschland: Sprit wird teurer – hurra?
       
       Manche Klimafreunde feiern, dass Öl und Gas endlich mehr kosten. Doch jedes
       Preischaos ist Gift für die Energiewende.
       
 (DIR) Ampel beschließt Entlastungen: Es ist ein Kompromiss
       
       Die Ampel entlastet die Bürger:innen von hohen Energiekosten. ÖPNV für
       neun Euro pro Monat, 300 Euro für Beschäftigte und die Benzinsteuer sinkt.
       
 (DIR) Habecks Suche nach Gaslieferanten: Schmutzige Realpolitik
       
       Gewiss, es ist ein Trauerspiel, dass ein grüner Minister mit Autokraten am
       Golf über Erdgas verhandelt. Doch es ist das kleinere Übel.