# taz.de -- Machtprobe in Georgien: Präsidentin soll auf die Anklagebank
       
       > Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ will Salomé Zurabischwili vor
       > das Verfassungsgericht bringen. Grund ist deren Parteinahme für die
       > Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Salomé Zurabischwili vor einer Zeremonie für zwei im März in der Ukraine getötete Georgier
       
       BERLIN taz | Es war nicht die erste Solidaritätsadresse von Salomé
       Zurabischwili an die kriegsgebeutelte Ukraine. „Wir, die Georgier*innen,
       unterstützen Sie und sind mit Ihnen in diesem Kampf gegen die russische
       Aggression“, sagte die georgische Präsidentin am Donnerstag in einer
       Videobotschaft. Der ukrainische Widerstand habe gezeigt, dass die
       angebliche Supermacht nicht stark genug sei, die Ukraine schnell zu
       besiegen und dieses Ziel vielleicht gar nicht erreichen werde. „Wir wissen,
       dass Sie nicht nur für Ihre, sondern auch für unsere Unabhängigkeit und
       Freiheit kämpfen sowie für unseren gemeinsamen Weg nach Europa“, sagte
       Zurabischwili.
       
       Bereits am 14. März hatte die 70-Jährige, die im November 2018 als erste
       Frau in das höchste Staatsamt der Südkaukasusrepublik gewählt worden war,
       den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Mittelpunkt ihres
       jährlichen Berichts zur Lage der Nation vor dem Parlament gestellt. Als sie
       im Plenarsaal erschienen war, hatte sie eine Gesichtsmaske in den
       ukrainischen Nationalfarben blau-gelb getragen und zudem noch den
       Geschäftsträger der Ukraine in Georgien, Andri Kasianow, im Schlepptau
       gehabt.
       
       Die Reaktion der Regierungspartei „Georgischer Traum“ (KO) erfolgte prompt.
       Noch ehe Zurabischwili das Wort ergreifen konnte, bemerkte der
       Exekutivsekretär der KO, Mamuka Mdinaradze, die Anwesenheit des
       ukrainischen Diplomaten sei unangenehm und ein Zeichen mangelnden Respekts
       gegenüber dem Parlament. Die nachfolgenden Ausführungen der Staatschefin
       über den „heldenhaften Kampf der Ukraine, der Respekt, Solidarität und
       Unterstützung verdient“, taten ein Übriges, um die Regierung in Rage zu
       versetzen.
       
       Am nächsten Tag kündigte die KO an, Zurabischwili vor Gericht bringen zu
       wollen. Die Präsidentin sei nach Paris und Brüssel gereist, ohne die
       Regierung vorab zu konsultieren. Das beweise, dass sie die Verfassung
       vorsätzlich verletzt habe. In dieselbe Kategorie falle Zurabischwilis
       Weigerung, mehrere Kandidat*innen der Regierung für Botschafterposten
       zu bestätigen.
       
       ## Offener Schlagabtausch
       
       Die KO werde sich nun an das Verfassungsgericht wenden, um eine Verletzung
       selbiger durch die Präsidentin feststellen zu lassen, heißt es in einer
       Erklärung vom 15. März. Mittlerweile hat die KO auch noch ein
       verfassungsänderndes Gesetz auf den Weg gebracht. Bisher kann das
       Verfassungsgericht nur Dekrete des Staatsoberhauptes auf deren
       Rechtmäßigkeit überprüfen. Künftig wäre das auch im Fall von Aktionen, wie
       beispielsweise Reisen, möglich.
       
       Der aktuelle Schlagabtausch dürfte einige überraschen. Denn jahrelang galt
       Zurabischwili, die bei ihrer Wahl 2018 von dem „Georgischen Traum“ des
       milliardenschweren Geschäftsmannes Bidsina Iwanischwili unterstützt worden
       war, als dessen treue Gefolgsfrau. Doch das war einmal. Spätestens seit dem
       Beginn von Russlands Angriffen auf die Ukraine am 24. Februar ist der
       Konflikt zwischen Zurabischwili und [1][der Regierung von Irakli
       Gharibaschwili] offen ausgebrochen.
       
       Der hatte, allen Solidaritätsprotesten tausender Georgier*innen mit der
       Ukraine zum Trotz, [2][eine Beteiligung Georgiens an Wirtschaftssanktionen
       gegen Russland mit der Begründung abgelehnt], dass der Krieg auf fremdem
       Territorium stattfinde. Daraufhin berief die Ukraine ihren Botschafter aus
       Georgien zurück.
       
       Zurabischwili stellte sich nicht nur an die Seite der Demonstrant*innen,
       sondern forderte darüber hinaus auch die Regierung dazu auf, sich eindeutig
       auf Seiten der Ukraine zu positionieren. Die Absage Gharibaschwilis an
       Sanktionen hatte sie gegenüber dem Sender France 24 mit den Worten
       kommentiert, derartige Äußerungen seien zum jetzigen Zeitpunkt sinnlos.
       
       ## Parlamentsstimmen reichen nicht
       
       Verfasssungsjurist*innen räumen dem jüngsten Vorstoß der KO nur wenig
       Chancen ein. Doch selbst wenn das Verfasssungsgericht zugunsten der KO
       entscheiden sollte, könnte sie allein kein Amtsenthebungsverfahren in Gang
       setzen, da ihr dazu im Parlament die notwendigen Stimmen fehlen.
       
       Für viele politische Beobachter*innen geht es weniger um juristische
       Finessen als vielmehr um den Versuch der KO, die zusehends unabhängiger
       agierende Präsidentin politisch zum Schweigen zu bringen. Die georgische
       Nichtregierungsorganisation „Bündnis junger Anwält*innen“ (GYLA) sieht in
       dem verfassungsändernden Gesetz ein Instrument, um mit Zurabischwili
       Rechnungen zu begleichen.
       
       Und die werden länger. Jüngsten Umfragen des Caucasus Research Resource
       Centers von Anfang März zufolge liegt die Zustimmung zu Zurabischwilis
       Umgang mit dem Ukraine-Krieg bei 48 Prozent, Gharibaschwili kommt auf zwei
       Prozent.
       
       Derweil machen in Georgien Witze die Runde, das Land bereite sich darauf
       vor, eine/n zweiten Präsident*in ins Gefängnis zu stecken. Ex-Staatschef
       Michail Saakaschwili ist, unter anderem wegen Machtmissbrauchs, schon seit
       Herbst 2021 in Haft.
       
       26 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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